Letzte Woche fand die re:publica in Kreuzberg unter dem Motto „tl;dr“ („zu lang, hab‘s nicht gelesen“) statt. Einen bemerkenswerten Vortrag über das Verhältnis von Wissen und Meinung hielt dort Wikimedia-Deutschland-Chef Abraham Taherivand. Seine Beschwerde: für viele wäre heute nur noch wahr, was ihre Meinung bestärkt.
In meinen Augen ist das größte Problem heute nicht, dass zuviel Wissen noch in irgendwelchen Archiven versteckt ist und darauf wartet, befreit zu werden. Das Problem ist, dass zuviel des befreiten Wissens verzerrt wird von Meinungen. „Freies Wissen“ ist Wissen, das frei ist von Meinungen in einer Welt, die von Meinungen zunehmend destabilisiert wird.
Während die sozialen Medien dieses Problem massiv verstärkten, würde die Wikipedia ihm entgegenwirken.
Wenn sich eine subjektive Meinung in einen Wikipedia-Artikel einschleicht, dann kann man sich darauf verlassen, dass sie von der Community kenntlich gemacht wird und dass darüber diskutiert wird, gestritten wird und nach Belegen gefragt wird.
Er erklärt das mit der – im Vergleich zu Wissenschaft und Journalismus – speziellen Zusammensetzung ihrer Autorenschaft.
In zwanzig Jahren Berufserfahrung habe ich Einblick in verschiedenste Industrien gewonnen, aber ich habe wirklich niemals zuvor diesen puren Fokus gesehen. Ich habe mich deshalb gefragt, woher kommt diese Reinheit? Warum funktioniert Wikipedia, obwohl sie weder Geld noch Karriere als Anreiz hat? Als geschäftsführender Vorstand und in den letzten 7 Jahren hatte ich das Privileg, viele Beobachtungen aus erster Hand zu machen.
Nach seiner Beobachtung gäbe es in der Wikipedia einen hohen Anteil von „Menschen mit Neurodiversität“ (vulgo: Autisten).
Manchen Menschen fällt es sehr schwer zu lügen, weil sie extrem sachbezogen sind und keinen Sinn in einer Lüge sehen.
Diese Menschen hätten das Potential, die unsichtbaren Stabilisatoren der Gesellschaft zu werden, so seine These. Er selbst, als „neurotypischer“ Mensch, sei dort (in der Wikipedia-Community) aber immer vorbildlich integriert worden, wie er noch betont.
Leider gab es im Anschluß an den Vortrag keine Diskussion. Den 30-minütigen Vortrag kann man im unten verlinkten Video zwischen 5:04 und 5:34 anschauen.
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