Physik ist keine Mathematik und Mathematik ist keine Physik. Einer hilft dem anderen. Aber in der Physik muss man die Verbindung von Wörtern mit der realen Welt verstehen.}
Richard Feynman
Atiyah über Ästhetik
Michael Atiyah war ein regelmäßiger Sprecher auf dem Heidelberg Laureate Forum (nämlich bei fünf der sechs Foren von 2013 bis 2018) mit stets sehr interessanten Vorträgen zu Grundlagenfragen der Mathematik. 2014 hielt er den Eröffnungsvortrag unter dem harmlosen Titel “Beauty in Mathematics”. Im Vortrag ging es vor allem um zwei Themen, die Geschichte der Eichtheorie und des Atiyah-Bott-Fixpunktsatzes. Die Eichtheorie war von Hermann Weyl als (physikalisch falscher) Ansatz entwickelt worden, um Relativitätstheorie und Elektromagnetismus zu vereinen und war dann (neben den innermathematischen Anwendungen) später von Bedeutung für die Entwicklung der Quantenfeldtheorie.
Nach dieser Geschichte wartete man als Hörer natürlich gespannt darauf, ob Atiyah jetzt auch noch was zur aktuellen Situation der Stringtheorie sagen würde. Es kam dann aber auch in den Zuschauerfragen nichts mehr dazu. Dafür wurde nach Hales computerformalisiertem Beweis der Kepler-Vermutung gefragt. Atiyah hatte sich ja in den 80ern dezidiert kritisch zum Beweis der Klassifikation endlicher einfacher Gruppen geäußert und er hatte erwartungsgemäß eine ähnliche Meinung zur Kepler-Vermutung: er verwies auf G.H.Hardy, den er am Beginn des Vortrags bereits zitiert hatte mit dem Bonmot, es gäbe keinen dauerhaften Platz für häßliche Mathematik – zu schönen Theoremen würden sich früher oder später auch schöne Beweise finden, häßliche Beweise seien nur ein vorübergehender Entwicklungsschritt, man sei eben noch nicht zum wahren Wesen vorgedrungen. In den letzten Minuten ging es dann noch um die Hirnforschung, ob man Emotionen von Mathematikern im Hirnscanner messen könne, positive beim Anblick schöner Formeln oder (wonach von einem Zuhörer gefragt wurde) auch negative.
Die Riemann-Vermutung
Hermann Weyl war bekanntlich ein Apologet der wechselseitigen Befruchtung von Mathematik und Physik, was er beispielsweise in den Vorworten seiner Bücher zum Ausdruck brachte: “Ich kann es nun einmal nicht lassen, in diesem Drama von Mathematik und Physik – die sich im Dunkeln befruchten, aber von Angesicht zu Angesicht so gerne einander verkennen und verleugnen – die Rolle des (wie ich genugsam erfuhr, oft unerwünschten) Boten zu spielen.”
Weniger angetan von physikalischen Argumenten war wohl Enrico Bombieri. Berühmt ist seine e-Mail, in der er am 1. April 1997 einen angeblichen Beweis der Riemann-Vermutung verkündete.
[…] a young physicist […] saw in a flash that one could set the whole thing in a combinatorial setting using supersymmetric fermionic-bosonic systems (the physics corresponds to a near absolute zero ensemble of a mixture of anyons and morons with opposite spins) and, using the C-based meta-language MISPAR, after six days of uninterrupted work, computed the logdet of the resolvent Laplacian, removed the infinities using renormalization, and, lo and behold, he got the required positivity of Weil’s explicit formula! Wow!
Schönheit in der Physik
Zweifel an der Stringtheorie als physikalischer Theorie haben spätestens seit Peter Woits Buch “Not even wrong” auch das breitere Publikum erreicht. Das erste deutschsprachige Buch dazu – wenn man einmal von Alexander Unzickers “Vom Urknall zum Durchknall” absieht – erschien letztes Jahr als Übersetzung von Sabine Hossenfelders Buch “Lost in Math” unter dem Titel “Das häßliche Universum”.
Eine ketzerische Position: Was läuft falsch in der gegenwärtigen Physik? Physiker glauben häufig, dass die besten Theorien schön, natürlich und elegant sind. Was schön ist, muss wahr sein, Schönheit unterscheidet erfolgreiche Theorien von schlechten. Sabine Hossenfelder zeigt jedoch, dass die Physik sich damit verrannt hat: Durch das Festhalten am Primat der Schönheit gibt es seit mehr als vier Jahrzehnten keinen Durchbruch in der Grundlagenphysik. Schlimmer noch, der Glaube an Schönheit ist so dogmatisch geworden, dass er nun in Konflikt mit wissenschaftlicher Objektivität gerät: Beobachtungen können nicht mehr länger die kühnsten Theorien wie z.B. Supersymmetrie bestätigen. Um aus dieser Sackgasse herauszukommen, muss die Physik ihre Methoden überdenken. Nur wenn Realität als das akzeptiert wird, was sie ist, kann Wissenschaft die Wahrheit erkennen.
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