Hossenfelder verwendet in ihrem Buch auch Stephen Kings “Tommyknockers” als
tolle Metapher für die Stringtheorie: Ein außerirdischer Gegenstand unbekannten Verwendungszwecks tief vergraben in der Mathematik.
Sie räumt zwar ein, dass (im Gegensatz zur Wirbeltheorie) die Stringtheorie tief in Theorien verwurzelt sei, die nachweislich die Welt beschreiben, kommt aber dennoch nach gut dreihundert Seiten zu dem Schluß
Physik ist nicht Mathematik. Es ist die richtige Auswahl der Mathematik.
Mathematische Anwendungen der Physik
Auf mathoverflow wurden im August die Anwendungen der Stringtheorie diskutiert. Am bemerkenswertesten fanden die auf https://mathoverflow.net/questions/338904/mathematical-uses-of-string-theory Abstimmenden monströsen Mondschein, Witten’s Vermutung über Schnittzahlen im Modulraum und die Spiegelsymmetrie zwischen Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten.
Monströser Mondschein nennt man die Tatsache, dass die Koeffizienten in der Fourierreihenentwicklung der j-Funktion (das ist die erzeugende Funktion des Rings der holomorphen SL(2,Z)-invarianten Funktionen auf der oberen Halbebene) sich alle als Dimensionen von Darstellungen der Monstergruppe (einer einfachen Gruppe mit mehr als 1054 Elementen) realisieren lassen.
Ein Physiker (Lubos Motl auf Quora) erklärt es so: Man betrachtet ein “physikalisches” System, nämlich die 2-dimensionale “worldsheet conformal field theory”, welche die Bewegung eines Strings auf einem 24-dimensionalen Torus beschreibt, den man als Quotient des R24 nach dem Leech-Gitter konstruiert. Die Symmetriegruppe des Leech-Gitters ist die einfache Gruppe Co0, durch die Betrachtung der Strings hat man eine größere Symmetriegruppe, eben die Monstergruppe. Damit geben alle Energieniveaus Darstellungen der Monstergruppe.
Die Zustandssumme dieses Systems ist die j-Funktion und aus der Stringtheorie weiß man, dass die Koeffizienten der Zustandsssumme gerade die Anzahlen der Zustände in den jeweiligen Energieniveaus sind.
Das ist freilich nur die Heuristik. Richard Borcherds Beweis der Mondscheinvermutung vermeidet den Physikerjargon völlig, spricht von Vertexoperatoralgebren statt von Stringtheorie und wird in jedem Fall auch dann mathematisch korrekt bleiben, wenn die Stringtheorie sich als physikalisch falsch herausstellen sollte.
Borcherds beschreibt den Zusammenhang zur in seinem Artikel “Sporadische Gruppen und Stringtheorie” so:
A classical string moving in space-time can be represented by a map from S1xR1 to Rn,1 […] The quantization of the string is roughly a representation of some Lie subalgebra of the Lie algebra of functions on phase space. Which subalgebra and which representation we take are up to the person doing the quantization. (This is a gross simplification of what is usually meant by quantization.)
Und tatsächlich verwendet er andere Stringtheorien, um analoge Vermutungen für andere einfache Gruppen zu beweisen. Man fragt sich dann natürlich als Laie, ob alle diese Stringtheorien auch noch etwas mit Physik zu tun haben.
Bei der Witten-Vermutung geht es um die Schnittzahlen von je dim(Mg,n) Hyperflächen in der Kompaktifizierung des Modulraums Mg,n der komplexen Strukturen auf einer Fläche vom Geschlecht g mit n ausgezeichneten Punkten. Man kann diese Schnittzahlen verschiedener Hyperflächen als Koeffizienten einer Potenzreihe F organisieren und die überraschende Vermutung Wittens – motiviert durch den Vergleich der Zustandssummen zweier hypothetischer topologischen Quantenfeldtheorien – besagt, dass eine Lösung der KdV-Gleichung ist, die eigentlich einmal zur Untersuchung von Flachwasserwellen in engen Kanälen eingeführt worden war: sie beschreibt Wellenpakete, die sich ohne Änderung ihrer Form durch ein dispersives, nichtlineares Medium bewegen.
Es gibt inzwischen zahlreiche Beweise dieser Identität, von denen aber keiner den ursprünglichen physikalischen Ansatz verwendet.
Kontsevich bewies die Formel ursprünglich, indem er ein fast-kombinatorisches Modell des Modulraums angab, um F durch Matrixintegrale auszudrücken und dann “extrem hochmächtige Kombinatorik” anwandte, um die Eigenschaften des Matrixintegrals zu zeigen, aus denen die gewünschte Differentialgleichung folgt. Am verständlichsten gilt heute Mirzakhanis Beweis, sie interpretierte die Modulräume als Modulräume hyperbolischer Metriken und erhielt die Schnittzahlen als Koeffizienten von Polynomen, die das Volumen der Weil-Petersson-Metrik (auf diesem Modulraum) berechnen.
Bei der Anwendung der “Mirror Symmetry” in der Mathematik geht es darum, jeder Calabi-Yau-Mannigfaktigkeit eine Spiegelmannigfaltigkeit zuzuordnen. Eine Gruppe von vier Physikern hatte sich Anfang der 90er Jahre mit Hilfe der Spiegelmannigfaltigkeit das Problem vorgenommen, die Anzahl Nd der Kurven vom Grad d in der Quintik zu berechnen. Für die Spiegelmannigfaltigkeit gab es wieder (wie schon für die ursprüngliche 3-Faltigkeit) eine nirgends verschwindende 3-Form, die man über die Spiegelmannigfaltigkeit integrieren kann, womit man eine von ψ abhängende Zahl bekommt. Diese Funktion in ψ soll dann gerade, so behaupteten sie, die erzeugende Funktion der Nd sein. Auf einer Tagung trugen sie ihre Berechnungen vor: auf einer Quintik solle es 317206375 kubische Kurven geben. Zwei Mathematiker kamen zu einem anderen Ergebnis. Wer hatte recht? Einen Monat später fanden die Mathematiker den Fehler in ihrem Computerprogramm und nach der Korrektur bekamen sie dasselbe Resultat wie die Physiker. Die Physik hatte gewonnen.
Der erste allgemeine Fall, für den man die Spiegelsymmetrie beweisen konnte, betraf Hyperflächen in torischen Varietäten, also Varietäten mit einer C*-Wirkung. Die kann man durch Polytope beschreiben und Batyrev bewies, dass sich in diesem Fall Spiegelsymmetrie gerade durch eine Spiegelsymmetrie der assoziierten Polytope manifestiert. Wie schon bei der Witten-Vermutung benutzte auch hier der Beweis kombinatorische Methoden, die mit der ursprünglich für die Heuristik verwendeten Physik nichts mehr zu tun hatten.
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