Darstellungstheorie entstand ursprünglich nicht als Theorie linearer Darstellungen, sondern als Theorie der Charaktere (nicht notwendig abelscher) Gruppen.
Charaktere abelscher Gruppen, also Homomorphismen in die multiplikative Gruppe der komplexen Zahlen, waren mindestens implizit im 19. Jahrhunderts in Zahlentheorie und harmonischer Analyse vorgekommen. Mittels Dirichlet-Charakteren (Homomorphismen (Z/nZ)x–>Cx) und den ihnen zugeordneten L-Funktionen bewies Dirichlet die Existenz unendlich vieler Primzahlen in arithmetischen Folgen. Noch älter war das Legendre-Symbol, mit dem Gauß das quadratische Reziprozitätsgesetz bewies, und als dessen Verallgemeinerung das Jacobi-Symbol (ebenfalls ein Homomorphismus (Z/nZ)x–>Cx). Der historisch älteste Charakter soll laut Dedekind die Lagrange-Resolvente gewesen sein.
Gruppen wurden im 19. Jahrhundert noch als Permutationsgruppen definiert. In dieser Sprache hatte Sylow die Existenz der maximalen p-Gruppen in endlichen Gruppen bewiesen, und in dieser Sprache war die meiste Literatur verfaßt. Frobenius gab 1884 erstmals einen Beweis der Sylow-Sätze in gruppentheoretischer Sprache, für die Axiomatik verwies er auf Kronecker und Weber. Erst Webers Algebra-Lehrbuch von 1895 machte den axiomatischen Zugang populär.
1896 veröffentlichte Frobenius fünf Arbeiten in den Sitzungsberichte der Königlich preußischen Akademie der Wissenschaften. Darunter war die Arbeit, in der er den Frobenius-Automorphismus einführte (und einen Dichtheitssatz bewies, der später von Tschebotareff verallgemeinert wurde), und eine Arbeit Über Gruppencharaktere. Letztere hatte ihren Ausgangspunkt in der Beobachtung, dass für endliche abelsche Gruppen die Gruppendeterminante in durch Charaktere gegebene Linearfaktoren zerfällt, während dies für nichtabelsche Gruppen nicht der Fall ist. Frobenius konnte die Gruppendeterminante aber auch in diesem Fall in (evtl. nichtlinearen Polynome) faktorisieren – mit Hilfe gewisser (nicht mehr multiplikativer) „Charaktere“. Die „Charaktere“, die er für diesen Zweck auf komplizierte Weise definierte, waren Lösungen eines gewissen Systems von Gleichungen.
Die einfachste nichtabelsche Gruppe ist S3, die Gruppe der Permutationen von drei Elementen. Deren sechs Elemente sind das neutrale Element (1) sowie – in Zykelschreibweise – die Permutationen (12), (23), (31), (123), (132). Für diese hat man im Sinne von Frobenius drei Charaktere: zwei Charaktere vom Grad 1, die tatsächlich Homomorphismen nach Cx entsprechen, nämlich – wenn man die sechs Elemente der S3 in obiger Reihenfolge festlegt und die Werte des Charakters auf den sechs Elementen als Vektor schreibt – der triviale Homomorphismus (1,1,1,1,1,1) und der Signum-Homomorphismus (1,-1,-1,-1,1,1), sowie einen Charakter vom Grad 2, nämlich (2,0,0,0,-1,-1). Diese drei Vektoren sind orthogonal zueinander und Frobenius bewies allgemein für die von ihm definierten Charaktere – die noch nichts mit Darstellungen durch Matrizen zu tun hatten – die Orthogonalitätsrelationen, denenzufolge die aus den Charakteren gebildeten Vektoren stets orthogonal zueinander sind. (Für Darstellungen zyklischer Gruppen entspricht das bekannten Beziehungen zwischen Einheitswurzeln.)
Ziel der Arbeit Über Gruppencharaktere war die Entwicklung einer allgemeinen Methode zur Berechnung der Charaktere einer gegebenen endlichen Gruppe. Frobenius berechnete die Charaktertafeln für die Symmetriegruppen der platonischen Körper und für PSL(2,Z/pZ), was für p=3 und p=5 der Symmetriegruppe des Tetraeders und Ikosaeders entspricht. Daneben führte er induzierte Darstellungen ein und bewies den Reziprozitätssatz, der induzierte Darstellungen und die Einschränkung von Darstellungen miteinander in Beziehung setzt.
Im Jahr danach betrachtete er in der Arbeit über die Darstellung der endlichen Gruppen durch lineare Substitutionen erstmals Darstellungen endlicher Gruppen durch Matrizen und fand den Zusammenhang zu Charakteren: Charaktere sind die Spuren von Darstellungen. Im Falle der S3 entsprechen die beiden multiplikativen Charaktere natürlich den 1-dimensionalen Darstellungen und der Charakter vom Grad 2 entspricht der 2-dimensionalen Darstellung, bei der die S3 die Ecken eines gleichseitigen Dreiecks permutiert.
Zu einer Darstellung betrachtete er die Gruppenmatrix (Xgigj-1)i,j im von formalen Variablen Xg erzeugten Gruppenring und er fand, dass deren Determinante ein Produkt irreduzibler Faktoren der Gruppendeterminante ist. Die irreduziblen Faktoren entsprechen den irreduziblen Summanden der Darstellung. Die Zerlegbarkeit von Darstellungen einer endlichen Gruppen in irreduzible Summanden wurde zwei Jahre später von Maschke bewiesen, natürlich nicht in der Sprache der linearen Algebra, sondern in Matrizensprache: Eine Darstellung der Form ist äquivalent zu einer Darstellung der Form
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