Algebraische Varietäten (klassisch: Nullstellenmengen von Polynomen) heißen isomorph, wenn es zueinander inverse polynomielle Abbildungen zwischen ihnen gibt. Algebraische Varietäten können beliebig komplizierte Singularitäten haben, was ihre Klassifikation völlig aussichtslos macht.
Man versucht deshalb eine Klassifikation unter einem schwächeren Äquivalenzbegriff, der birationalen Äquivalenz: zwei Varietäten heißen birational äquivalent, wenn es zueinander inverse rationale Abbildungen zwischen ihnen gibt. Rationale Abbildungen sind Quotienten f/g zweier polynomieller Abbildungen, oder abstrakt: auf dem Komplement einer Untervarietät kleinerer Dimension definierte Abbildungen. Zum Beispiel ist die stereographische Projektion eine birationale Abbildung der affinen Gerade auf den Einheitskreis, deren Inverses in (0,-1) nicht definiert ist.
Für komplexe algebraische Kurven war schon im 19. Jahrhundert bekannt, dass ihre Singularitäten aufgelöst werden können, sie also birational äquivalent zu einer Kurve ohne Singularitäten sind. Außerdem – und das gilt nur in komplexer Dimension 1 – ist jede Kurve nur zu einer einzigen glatten (d.h. singularitätenfreien) Kurve birational äquivalent: birational äquivalente glatte Kurven sind isomorph. Damit reduziert sich die Klassifikation komplexer algebraischer Kurven auf die Klassifikation Riemannscher Flächen, von denen Riemann (ohne Beweis) behauptet hatte, dass sie durch ihr topologisches Geschlecht g und (für g ≥ 2) jeweils 3g-3 komplexe Parameter klassifiziert werden können. (Für g=0 folgt aus dem Riemann-Roch-Theorem, dass alle Kurven birational äquivalent zur projektiven Geraden sind. Für g=1 ist die j-Invariante elliptischer Kurven der einzige komplexe Parameter.)
Für komplexe algebraische Flächen hatten Clebsch und M. Noether sowie Cayley verschiedene Begriffe eines Geschlechts eingeführt: das (in Analogie zum Geschlecht von Kurven definierte) geometrische Geschlecht pg und das (in Castelnuovos Version des Riemann-Roch-Theorems für komplexe Flächen vorkommende) arithmetische Geschlecht pa. Beide sind birationale Invarianten. Die beiden Invarianten stimmten nicht immer überein und ihre (stets nichtnegative) Differenz pg-pa bezeichnete man als Irregularität der Flächen. Wie der Name nahelegt, ist sie Null für Flächen ohne Singularitäten und sogar allgemeiner für Flächen, die sich in den P3C einbetten lassen.
Der Fundamentalsatz für irreguläre Flächen behauptet die Gleichheit , wobei b1 die erste Betti-Zahl (die Dimension der ersten Homologiegruppen) der algebraischen Fläche und P der Vektorraum der Picard-Integrale erster Art ist. In heutiger Sprache ist
, woraus wegen
und
die Gleichheit
folgt.
Die italienischen Geometer interessierten sich freilich nicht für diese topologischen Interpretation von dim(P), sondern interpretierten P mittels Deformationen von Kurven, wie sie überhaupt die Geometrie algebraischer Flächen auf die Untersuchung linearer Systeme von Kurven (durch r gegebene Basispunkte) auf diesen Flächen zurückzuführen versuchten.
Für eine als Nullstellenmenge einer Funktion f0 gegebene Kurve C0 auf der Fläche betrachteten sie den Vektorraum der Funktionen, die außerhalb C0 keine Polstellen haben (und auch auf C0 keine Polstellen höherer Ordnung als die Nullstellenordnung von f0). Für eine Basis f1,…,fr dieses Vektorraums definieren die Nullstellenmengen von f0+t1f1+…+trfr eine r-parametrige Familie von Kurven, ein sogenanntes „lineares System“. In CP2 entsteht jede Kurvenfamilie (jedes „algebraische System“) auf diese Weise als lineares System, aber auf komplexen Flächen komplizierterer Topologie kann es algebraische Systeme geben, die kein lineares System sind. (Enriques zeigte, dass lineare Systeme dadurch charakterisiert sind, dass es durch r generische Punkte von C0 genau eine weitere Kurve in der r-Parameter-Familie gibt.) Der Vektorraum P entspricht nun gerade dem Vektorraum der vollständigen (d.h. nicht in einem größeren System enthaltenen) algebraischen Systeme modulo dem Vektorraum der vollständigen linearen Systeme, und der Fundamentalsatz behauptet also, dass dessen Dimension mit der Irregularität pg-pa übereinstimmt.
Zu einem algebraischen System hat man seine charakteristische Serie, das sind die (r-1)-parametrigen linearen Systeme, die „in C0 durch die infinitesimal nahen Kurven des algebraischen Systems ausgeschnitten werden“, die man also durch Ableiten nach einem der ti-Parameter in t=0 erhält. (In heutiger Sprache: die Nullstellenmenge eines Schnitts des Normalenbündels.)
Ein wesentlicher Schritt zum Beweis des Fundamentalsatzes sollte der Vollständigkeitssatz sein, der behauptet, dass das charakteristische System in einem vollständigen (r-1+pg-pa)-parametrigen algebraischen System enthalten ist. Der Vollständigkeitssatz wurde 1905 von Enriques bewiesen und wenige Monate später bewies Castelnuovo, dass aus dem Vollständigkeitssatz der Fundamentalsatz folgt. Bald nach Enriques gab auch Severi einen Beweis des Vollständigkeitssatzes und einige Jahre später noch Poincaré, der aber anders als die beiden Italiener transzendente Methoden (komplexe Analysis und Topologie) statt nur den Methoden der algebraischen Geometrie verwandte. Es stellte sich später heraus, dass die Beweise der beiden Italiener falsch waren, so dass Poincarés transzendenter Beweis lange der einzig gültige blieb. Einen Beweis mit den Mitteln der algebraischen Geometrie fand erst ein halbes Jahrhundert später Alexander Grothendieck, der aber wiederum die Arbeiten der italienischen Schule überhaupt nicht gekannt hatte und erst durch David Mumford auf diese Anwendung seiner abstrakten Methoden auf die klassische algebraische Geometrie hingewiesen wurde. Das Problem der italienischen Geometer war im Nachhinein vor allem gewesen, dass sie nicht mit nilpotenten Elementen im Koordinatenring gearbeitet hatten, also die Nullstellenordnung einer Kurve nicht berücksichtigten.
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