Man weiß seit dem 17. Jahrhundert, dass Energie und Impuls Erhaltungsgrößen sind. Im 18. Jahrhundert wurde mit dem Drehimpuls noch eine weitere Erhaltungsgröße gefunden.

Seit Lagrange beschreibt man die Dynamik t—->q(t) mechanischer Systeme dadurch, dass für eine gewisse Lagrange-Funktion L – zum Beispiel L=Ekin-Epot für Systeme mit einem (verallgemeinerten) Potential und holonomen Zwangsbedingungen – das Wirkungsfunktional \int_{t_1}^{t_2}L(t,q(t),q^\prime(t))dt minimiert werden soll. Mit den klassischen Methoden der Variationsrechnung erhält man daraus die Bewegungsgleichungen \frac{\text{d}}{\text{d}t} \frac{\partial L}{\partial \dot{q}_i} - \frac{\partial{L}}{\partial q_i} = 0 .
Mit diesem Ansatz sieht man in einigen Fällen unmittelbar weitere Erhaltungsgrößen: wenn die Lagrange-Funktion nicht von der Koordinate qk abhängt, dann verschwindet die Ableitung des Funktionals nach qk und damit ist \frac{\partial L}{\partial \dot{q}_k} eine Erhaltungsgröße, denn ihre Zeitableitung verschwindet.

Sophus Lie propagierte im 19. Jahrhundert, dass Invarianzeigenschaften einer Differentialgleichung unter einer differenzierbaren Gruppenwirkung gewisse Relationen zwischen ihren Lösungen nach sich ziehen sollten. Dieser Aspekt der Lie-Theorie wurde dann aber nicht weiter bearbeitet.

Erst Emmy Noether – 1915 von Hilbert nach Göttingen geholt, um ihre Expertise in algebraischer Invariantentheorie in die mathematische Physik und insbesondere die allgemeine Relativitätstheorie einzubringen – schrieb dann eine Arbeit über Invarianten in der Physik, die damals wenig beachtet wurde, später aber als grundlegendes Prinzip der Physik gelten würde. In der (in erster Fassung im Juli 1918 und in endgültiger Form im September eingereichten) Arbeit “Invariante Variationsprobleme” bewies sie, dass jeder Invarianz eines physikalischen Systems (unter der Wirkung einer Lie-Gruppe) eine physikalische Erhaltungsgröße entspricht: aus der Zeitinvarianz folgt die Energieerhaltung, aus der Translationsinvarianz folgt die Impulserhaltung, aus der Rotationsinvarianz folgt die Drehimpulserhaltung. Noethers Arbeit erlaubt die Bestimmung der Erhaltungsgrößen eines physikalischen Systems, wenn seine Symmetrien bekannt sind.

Nach Kriegsende konnte Noether dann in Göttingen habilitieren, was ihr 1915 von den Mitgliedern der philosophischen Fakultät noch verweigert worden war. Das Noether-Theorem stieß zunächst (anders als Noethers spätere Arbeiten zur Algebra) auf kein so großes Interesse in der Fachwelt. Man sah in ihm nur die allgemeinstmögliche mathematische Formulierung von im Speziellen bereits bekannten physikalischen Gesetzen. Erst in der zweiten Jahrhunderthälfte, beispielsweise beim Standardmodell, begannen Symmetrien, eine zentrale Rolle in der Physik zu spielen. Physikalische Systeme durch ihre Eichinvarianzgruppe zu beschreiben wurde zum bestimmenden Paradigma der Physik.

Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Noether_(petite_image).png

Kommentare (2)

  1. #1 Frank
    Bellhem
    20. März 2020

    Das Buch “Emmy Noether’s Wonderful Theorem” ist sehr gut was Noethers Arbeit angeht. Wer die Person kennenlernen möchte sollte zu “Emmy Noether: The Mother of Modern Algebra”, oder zu “Meine Herren, dies ist keine Badeanstalt: Wie ein Mathematiker die Welt veränderte” greifen.
    Viele Grüsse an die Freunde dieses Blogs, Frank

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