Periodische Bahnen kommen in der Physik überall vor, von Planetenbahnen bis zum harmonischen Oszillator. In der Geometrie interessierte man sich zunächst im Zusammenhang physikalischer Anwendungen für geschlossene Geodäten. Poincaré bewies in seinen Arbeiten zum Dreikörperproblem, dass kleine Deformationen der runden Sphäre immer noch unendlich viele geschlossene Geodäten haben. Auch in Hadamards Arbeiten über Geodäten ging es ursprünglich darum, das Verhalten der Trajektorien dynamischer Systeme zu verstehen.
Die Krümmung einer Fläche bestimmt, wie schnell im selben Punkt startende Geodäten auseinanderdriften. Mathematisch wird das durch die Jacobi-Gleichung beschrieben. (Jacobi hatte in den 1830er Jahren Geodäten auf dem Ellipsoid untersucht. Natürlich hatte er noch nicht den Riemannschen Krümmungsbegriff.)
Die Situation ist dabei folgende: man hat eine Menge von Geodäten, die von einem Parameter s abhängen. H(t,s) sei die Geodäte mit Parameter s, zum Zeitpunkt t:
Die Ableitung dH/dt ist die Tangente T an die jeweilige Geodäte. Die Ableitung dH/ds ist das sogenannte Jacobi-Feld J(t,s). Die Größe des Jacobi-Felds mißt, wie schnell die Geodäten auseinanderdriften.
Die Jacobi-Gleichung besagt J”+ R(J,T)T=0, wobei R der Riemannsche Krümmungstensor ist.
Bei konstanter Schnittkrümmung K vereinfacht sich das zu J”+KJ=0.
Für K=0 hat J”=0 (wegen J(0)=0) nur lineare Lösungen: J(t)=Ct, die Konstante C ist dabei die Ableitung in 0: C=J'(0). Für K=1 hat J”+J=0 die Lösungen J(t)=C sin(t). Für K=-1 hat J”-J=0 die Lösungen J(t)= C sinh(t). Bei negativer Krümmung driften die Geodäten also mit exponentieller Geschwindigkeit auseinander.
Jacques Hadamard bewies 1898, dass auf nichtpositiv gekrümmten Flächen S jede geschlossene Kurve in eine geschlossene Geodäte deformiert werden kann, die in ihrer freien Homotopieklasse minimale Länge hat. (Er betrachtete die Exponentialabbildung exp:TxS—->S, die zu einem Basispunkt x jedem Tangentialvektor v den Wert exp(v):=γ(1) der durch γ(0)=x, γ´(1)=v bestimmten Geodäte γ zum Zeitpunkt 1 zuordnet. Er bewies, dass diese Abbildung ein lokaler Diffeomorphismus ist. Daraus folgt, dass es in jeder Homotopieklasse eine eindeutige Geodäte gibt.) Die Verallgemeinerung dieses Satzes auf nichtpositiv gekrümmte Mannigfaltigkeiten beliebiger Dimension heißt heute Satz von Cartan-Hadamard. Der konservative Wissenschaftsphilosoph Paul Duhem interpretierte Hadamards Satz damals als Unmöglichkeit, die Entwicklung eines Systems vorherzuberechnen: eine geringe Störung der Ausgangsannahmen führe zu völlig anderen Trajektorien.
Aus dem Satz von Cartan-Hadamard folgt insbesondere, dass geschlossene Mannigfaltigkeiten nichtpositiver Schnittkrümmung unendlich viele geschlossene Geodäten haben. Man kann sich fragen, ob das auch für andere Riemannsche Mannigfaltigkeiten gilt, beispielsweise für Metriken nichtkonstanter Krümmung auf einer Sphäre. (Offensichtlich stimmt es für die Metriken konstanter Krümmung.)
Marston Morse entwickelte in den 20er Jahren eine „Variationsrechnung im Großen“, mit der er die Geodäten einer Riemannschen Mannigfaltigkeit M untersuchen und entsprechende Sätze beispielsweise auch für Metriken auf der Sphäre beweisen wollte. Sein Ansatz war, auf dem Wegeraum von M – dem Raum der zwei feste Punkte p und q verbindenden Kurven γ – das Energiefunktional (bzgl. der durch die Riemannsche Metrik definierten Norm) zu betrachten. Die p und q verbindenden Geodäten sind kritische Punkte dieses Funktionals, die minimierenden Geodäten sind seine Minima. p und q sind konjugiert entlang der Geodäten, wenn es ein nichttriviales Jacobifeld gibt, äquivalent eine Variation durch Geodäten. Die Jacobi-Felder bilden den Nullraum der Hessischen von E. Die Geodäte als kritischer Punkt des Energiefunktionals ist also genau dann ausgeartet, wenn ihre Endpunkte konjugierte Punkte entlang dieser Geodäten sind. Für nichtkonjugierte Punkte ist der Index der Geodäten (als kritischer Punkt, d.h. der Index der Hessischen von E) gleich der Anzahl der konjugierten Punkte entlang der Geodäten. Kurz: man lernt viel über Geodäten, wenn man die kritischen Punkte des Energiefunktionals versteht.
Das Konzept, die Topologie einer Fläche über die kritischen Punkte einer auf der Fläche definierten Funktion zu verstehen, war schon seit dem 19. Jahrhundert als „Bergsteigerformel“ bekannt. (Möbius hatte eine topologische Klassifikation von Flächen skizziert, die im 2-dimensionalen Fall die Morse-Theorie vorwegnahm.) Morse entwickelte diese Zusammenhänge zunächst für endlich-dimensionale Mannigfaltigkeiten, wobei sein eigentliches Ziel aber die Untersuchung des unendlich-dimensionalen Wegeraums war. Er betrachtete auf einer Mannigfaltigkeit M definierte Funktionen f, deren kritische Punkte alle nicht-ausgeartet sind – heute als Morse–Funktionen bezeichnet – und bewies für diese die Morse–Ungleichungen: für die Anzahl ci der kritischen Punkte von Index i gelten die Ungleichungen und insbesondere
für alle i, wobei bi die Betti-Zahlen der geschlossenen Mannigfaltigkeit M bezeichnet. (Für Flächen war das 1917 von Morse’s damaligem Doktorvater Birkhoff in einer Arbeit über dynamische Systeme mit zwei Freiheitsgeraden bewiesen worden.) Morse formulierte in seiner Arbeit „Relations between the critical points of a real function of n independent variables“ diese Ungleichungen gleich für Mannigfaltigkeiten mit Rand, wodurch die deutlich komplizierter als oben angegeben aussahen.
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