In Deutschland hatte Felix Klein um die Jahrhundertwende – beeindruckt von Maschinenlaboratorien, die er auf seiner ersten USA-Reise besichtigt hatte – bei Industriellen für privat mitfinanzierte Universitätslaboratorien geworben, was letztlich zur Gründung der Göttinger Vereinigung zur Förderung der angewandten Physik und Mathematik führte. Als Begründer der numerischen Mathematik galt dann Carl Runge, dem man die Etablierung numerischer Rechen- und Approximationsverfahren (und ihrer praktischen Durchführung mit Rechenmaschinen) als eigene Disziplin der Mathematik verdankt.
Während des zweiten Weltkrieges arbeiteten die in Deutschland gebliebenen Mathematiker an vorgeblich kriegswichtigen Problemen, in Wirklichkeit meist an theoretischen Untersuchungen zu Differentialgleichungen. Nach dem Krieg kehrten die meisten sofort zur reinen Mathematik zurück. Hingegen kam zunächst kaum einer der Emigranten zurück. Anders als in Deutschland hatten in den USA Mathematiker und Naturwissenschaftler, oft aus Europa geflüchtet, eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung neuer Waffen gespielt.
Auf Einladung Oppenheimers war John von Neumann seit 1943 als Berater beim Manhattan-Projekt in Los Alamos, wo er bald ein Experte in numerischen Berechnungen für partielle Differentialgleichungen wurde. Er führte mit hartnäckigem Interesse umfangreiche Rechnungen aus und war – für einen Mathematiker eher ungewöhnlich – stolz auf ausdauernde und sorgfältig ausgeführte Berechnungen.
Anfang der 1940er Jahre hatte man begonnen, sich für digitale elektromagnetische Computer und deren Vorteile gegenüber Lochkarten zu interessieren. Fortschritte bei der Rechengeschwindigkeit waren zunächst nur durch bessere Röhrentechnik zu erzielen. Noch im Krieg hatte IBM die erste Maschine fertiggestellt, natürlich fürs Militär. Die Rechenmaschine mit Vakuumröhren im Rechenwerk und mit auf Aussagenlogik beruhenden Schaltungen wurde beim Militär für lineare Differentialgleichungen und Integralgleichungen eingesetzt: der “Electrical Numerical Integrator and Computer”, kurz ENIAC, mit 17000 Radioröhren von 16 verschiedenen Typen, 30 mal 3 mal 1 Meter groß und mit einem Verbrauch von 140 Kilowatt und entsprechendem Kühlungsbedarf.
Man sah aber keine reale Möglichkeit, die die Speicherkapazität von Rechnern in einem Maße ausweiten würde wie es für die Behandlung nichtlinearer partieller Differentialgleichungen notwendig wäre. Viele Mathematiker hielten auch elektronische Konstruktionen für weniger zuverlässig als elektromechanische und lehnten sie deshalb ab trotz ihrer viel höheren Schnelligkeit.
Die Konstruktion einer solchen elektronischen Maschine wurde das Projekt von Neumanns, für das er zunächst mit der logischen Entwurfsarbeit begann. 1944/45 befaßte er sich mit den logischen Operationen – denen gegenüber er die elektronischen Aspekte als untergeordnet ansah – und wie diese Operationen von einer zentralen Stelle zu koordinieren seien. Ein theoretisches Konzept hatte schon 1936 Alan Turing entwickelt und von Neumanns Ideen waren eine konkrete Realisierung einer universellen Turingmaschine. In seinem Diskussionspapier „First Draft of a Report on the EDVAC“ definierte er in Analogie zum menschlichen Hirn eine Rechnerarchitektur aus Steuereinheit und arithmetischer Einheit sowie einer Speichereinheit, welche Befehle seriell abarbeitet. Auf den dort dargestellten Ideen beruhten dann alle weiteren Entwicklungen von Rechnern, weshalb man von „von-Neumann-Architektur“ spricht. (Die Ingenieure Eckert und Mauchly, die Erbauer des ENIAC und des Nachfolgemodells EDVAC, sahen ihre Anteile später nicht genügend gewürdigt.)
Weil die ENIAC und ihre Nachfolger sehr wenig Speicherplatz für Zwischenresultate hatten, änderte sich die Ökonomie der Berechnungen über Nacht. Statt teurer Multiplikation und billigem Speicherplatz war jetzt die Multiplikation sehr billig und der Speicherplatz sehr teuer.
Neben den Grundlagen der Informatik (und vielen anderen Fragen, so entwickelte er den Sortieralgorithmus Mergesort und mit Ulam die Monte-Carlo-Methode) beschäftigte sich von Neumann in der Nachkriegszeit auch mit den Grundlagen der Numerik, er entwickelte die numerische Stabilitätsanalyse und schrieb mit Goldstine eine Arbeit über die Konditionierung linearer Gleichungssysteme. Goldstine beschrieb die Motivation später so: „Wir versuchten in unserer Arbeit, die Praktiker vor einem Phänomen zu warnen, dass in der Vergangenheit nicht besonders relevant gewesen war, aber in der Zukunft eine konstante Quelle der Angst sein würde: numerische Instabilität. Dabei entwickelten wir auch die heute offensichtlichen Begriffe von gut- und schlecht-konditionierten Matrizen.“
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