Mit Cohens Erzwingungs-Technik wurden weitere Unabhängigkeitsresultate erzielt, aus denen folgte, dass viele der offenen Fragen der Kardinalzahlarithmetik unabhängig von den Axiomen der Mengenlehre sind. (Die Kardinalzahlarithmetik befaßt sich mit den Operationen Addition, Multiplikation und Potenzieren für Kardinalzahlen, die anders als in der Ordinalzahlarithmetik nicht durch transfinite Induktion, sondern durch Mengenoperationen definiert werden. So ist die Potenz einer Kardinalzahl zu einer anderen Kardinalzahl definiert als die Mächtigkeit der Menge der Abbildungen zwischen Mengen der entsprechenden Kardinalität.) Während Addition und Multiplikation leichter zu verstehen sind, stellt das Potenzieren von Kardinalzahlen viele schwierige Probleme, die oft nur durch Hinzunahme weiterer Axiome zu lösen sind. Viele glaubten jetzt, die Probleme der Kardinalzahlarithmetik seien gelöst in dem Sinne, dass es überhaupt keine offenen Probleme mehr gebe, die sich mit den Axiomen der Mengenlehre lösen ließen. William Easton, ein Informatiker, der in Princeton über Mengenlehre promoviert hatte, bewies aber dass die verallgemeinerte Kontinuumshypothese, derzufolge es keine Kardinalitäten zwischen der Kardinalität einer Menge und der ihrer Potenzmenge gibt, für reguläre Kardinalzahlen in nahezu beliebiger Weise verletzt sein kann. Man ging allgemein davon aus, dass der Beweis mit mehr Anstrengung auch für singuläre Kardinalzahlen funktionieren müßte. Auch wenn die verallgemeinerte Kontinuumshypothese unabhängig von den Axiomen der Mengenlehre ist, gelang es Saharon Shelah 1972, Keislers Resultat auch ohne die Annahme der verallgemeinerten Kontinuumshypothese zu beweisen. Er begann zu dieser Zeit mit seinen Arbeiten zur Stabilitätstheorie, die die Klassifikation der Modelle einer Theorie zum Ziel hat. Überraschend bewies dann Jack Silver 1974, dass die kleinste Kardinalzahl, für die die verallgemeinerte Kontinuumshypothese falsch ist, keine singuläre Kardinalzahl mit überabzählbarer Kofinalität sein kann. Dieses Ergebnis überraschte auch ihn selbst und widerlegte den Glauben, dass sich mit den Axiomen der Mengenlehre keine nichttrivialen Sätze der Kardinalzahlarithmetik beweisen lassen.

Saharon Shelah ist mit mehr als tausend Veröffentlichungen der neben Pál Erdős produktivste Mathematiker des Jahrhunderts, in seinen Arbeiten geht es unter anderem um eine Klassifikation aller vollständigen Theorien. (Eine Theorie heißt vollständig, wenn für jede Formel entweder die Formel oder ihre Negation beweisbar ist.) Eine der zentralen Fragen auf diesem Gebiet ist die Vermutung von Morley, dass für eine vollständige Theorie T die Anzahl I(T,κ) der Isomorphismen-Typen von Modellen der Kardinalität κ eine monoton wachsende Funktion von κ (für überabzählbare κ) ist. In zwei 1980 geschriebenen und 1982 im Israel Journal of Mathematics veröffentlichten Arbeiten hat Shelah diese Vermutung “fast bewiesen”. Das Hauptresultat dieser Arbeiten ist das Main Gap Theorem: entweder ist I(T,κ) das maximal mögliche, d.h. I(T,\aleph_\alpha)=2^{\aleph_\alpha} für alle α, oder für alle α ist I(T,\aleph_\alpha) echt kleiner als \beth_{\omega_1}\left(\vert\omega+\alpha\vert\right). Anschaulicher gesagt hat man die Dichotomie, dass eine Theorie entweder in jeder Kardinalität die maximal mögliche Anzahl von Modellen hat und damit völlig unzugänglich ist, oder dass man sie als einen Baum abzählbarer Modelle zerlegen kann.

Bild: https://owpdb.mfo.de/detail?photo_id=5969

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Kommentare (1)

  1. #1 rolak
    27. Mai 2021

    sorry4quasiOT, aber steht jenes pittoreske Symbol eventuell tatsächlich symbolisch für ‘ehrlich langwierige Berechnungen’? 😉