Der Abelpreis (mit fast 106$ der höchstdotierte Mathematikpreis) geht dieses Jahr an Michel Talagrand für seine Arbeiten zur Wahrscheinlichkeitstheorie.

Der Abelpreis wird jährlich von der Norwegischen Akademie der Wissenschaften vergeben. Er gilt als eine Art Ersatz dafür, daß es keinen Nobelpreis für Mathematik gibt. Über die Gründe, warum Nobel keinen Mathematik-Nobelpreis stiftete, gibt es viele anekdotische Erklärungen, die aber nach allgemeiner Meinung alle in das Reich der Fabel gehören.

Die Verleihung findet am 21. Mai in Oslo statt.

Die Pressemitteilung des Abelpreiskomitees erwähnt drei Arbeitsgebiete, für die Talagrand die Auszeichnung erhält: Suprema stochastischer Prozesse, Konzentration von Maßen, und Spin-Gläser. In allen Fällen bestanden die Beiträge Talagrands im Beweis von Ungleichungen und der Anwendung von Banachraum-Methoden.

Suprema korrelierter Zufallsvariablen abzuschätzen ist ein klassisches Problem der Wahrscheinlichkeitstheorie. Zu Talagrands Beiträgen schreibt die Laudatio:

Building on the works of Fernique and Dudley, Talagrand developed his theory of generic chaining, which provides sharp upper and lower bounds on the expectation of suprema of Gaussian processes. This illuminated the mysterious connection between the distance function (on the underlying index set) determined by the covariance of the process and the expectation of its supremum.

Das klassische Beispiel einer Konzentration von Maßen ist das Gesetz der großen Zahlen. Viele Zufallsvariablen liegen mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Nähe ihres Erwartungswerts.

Talagrand provided quantitative versions of this phenomenon that hold in great generality, including the case of discrete random variables. This result applies to functions of independent variables that are Lipschitz with respect to the Euclidean metric and convex, yielding one of several celebrated “Talagrand inequalities”. It laid the groundwork to a non-asymptotic theory of independence applicable to high-dimensional statistical problems.

Spin-Gläser sind ungeordnete magnetische Systeme, für die exakte Lösung eines Spinglas-Modells erhielt Parisi 2021 den Physik-Nobelpreis. Er gab auch eine Formel für die freie Energie dieses Modells an.

Guerra showed rigorously that this formula is an upper bound for the free energy. In a groundbreaking article, Talagrand proved the complementary lower bound, hence completing the proof of the Parisi formula. This provided the foundation for the development of a mathematical theory of spin glasses and its application in statistical learning.

Die gesamte Laudatio ist auf https://abelprize.no/sites/default/files/2024-03/citation_english_AbelPrize2024.pdf

Informationen zur Geschichte des Abelpreises findet man hier. Die bisherigen Preisträger seit 2003 sind:
2003 Jean-Pierre Serre (Frankreich): Homotopietheorie, Algebraische Geometrie
2004 Michael Atiyah (GB), Isadore Singer (USA): Globale Analysis
2005 Peter Lax (USA): Partielle Differentialgleichungen, Streutheorie
2006 Lennart Carleson (Schweden): Harmonische Analysis, Dynamische Systeme
2007 Srinivasa Varadan (Indien): Wahrscheinlichkeitstheorie, Große Abweichungen
2008 Jacques Tits (Belgien), John Thompson (USA): Gruppentheorie
2009 Michael Gromov (Frankreich): Riemannsche und Symplektische Geometrie, Geometrische Gruppentheorie
2010 John Tate (USA): Algebraische Zahlentheorie, Elliptische Kurven
2011 John Milnor (USA): Differentialtopologie
2012 Endre Szemeredi (Ungarn): Graphentheorie
2013 Pierre Deligne (Belgien): Algebraische Geometrie
2014 Yakov Sinai (Russland): Dynamische Systeme
2015 John Nash, Louis Nirenberg (USA): Partielle Differentialgleichungen
2016 Andrew Wiles (GB): Algebraische Zahlentheorie, Elliptische Kurven
2017 Yves Meyer (Frankreich): Harmonische Analysis
2018 Robert Langlands (Kanada): Darstellungstheorie, Zahlentheorie
2019 Karen Uhlenbeck (USA): Geometrische Analysis
2020 Hillel Furstenberg (Israel), Grigori Margulis (USA): Ergodentheorie
2021 László Lovász (Ungarn), Avi Wigderson (Israel): Diskrete Mathematik, Theoretische Informatik
2022 Dennis Sullivan (USA): Topologie, Dynamische Systeme
2023 Luis Caffarelli (Argentinien): partielle Differentialgleichungen

Kommentare (4)

  1. #1 Joseph Kuhn
    22. März 2024

    Rein statistisch gesehen sind ziemlich wenig Deutsche unter den Preisträgern seit 2003, noch weniger als Frauen. Ob das noch bloßer Zufall ist?

  2. #2 Nicker
    22. März 2024

    Bemerkenswert ist auch, dass im Zeitraum von 2005 bis 2023 kein Preisträger aus China kam. Japan und Korea tauchen auch nicht auf.

  3. #3 Thilo
    22. März 2024

    Ein Abelpreis für Yau oder Tian würde wohl als politische Stellungnahme für die eine oder andere Seite gesehen werden, allenfalls müßte man beiden gemeinsam den Preis verleihen. 🙂

  4. #4 Nicker
    22. März 2024

    Die Konkurrenz zwischen Yau und Tian könnte man ja überbrücken , indem man zwei Mathematiker aus ihren Reihen auswählt und den Preis aufteilt.
    Interessant ist auch, dass bei der Schachweltmeisterschaft keine zwei Sieger möglich sind. Das wäre doch eine echte PR- Neuerung.
    Wahrscheinlich würde das aber Magnus nicht zulassen .
    und eher seinen Kontrahenten ko schlagen.(Magnus Carlsen kommt ja aus Norwegen und dass der Abelpreis in Norwegen verliehen wird, dass ist kein Zufall mehr.)
    Ob die Spitzenmathematiker auch so “eigen” sind wie die Schachspieler.
    Thilo, ich muss so ein trockenes Thema einfach mal aufpimpen, zumal der gegenwärtige Schachweltmeister Ding Liren ein Chinese ist.