Leibniz oder Madhava?
Bekanntlich gibt die Taylor-Reihe des Arkustangens mit die Formel
. Die wird in europäischen Kulturen meist als Leibniz-Reihe bezeichnet, war aber dem indischen Mathemtiker Madhava bereits im 14. Jahrhundert bekannt, veröffentlicht etwa hundert Jahre später um 1500 in der von Nilakantha Somayaji in 432 Sanskrit-Versen in acht Kapiteln geschriebenen astronomischen Abhandlung Tantrasamgraha.
Für praktische Berechnungen ist die Reihe wenig geeignet, wie man sich leicht durch Berechnen einiger Partialsummen plausibel machen kann. Tatsächlich braucht man Summanden für die Berechnung der ersten s Nachkomastellen.
Strings
Im Juni ging durch die Medien, dass man als Anwendung der Stringtheorie jetzt die Kreiszahl besser berechnen könne. Zunächst von indischen Medien gehypt („Indian physicists untangle new pi series that could change maths forever“ hieß die Überschrift auf India Today), fand es die Pressemitteilung über eine am 28. Mai von zwei Physikern in Physical Review Letters veröffentlichte Arbeit „Field Theory Expansions of String Theory Amplitudes“ dann auch in große europäische Zeitungen. Tatsächlich hatten zwei indische Stringtheoretiker eine neue Formel für die Kreiszahl
gefunden:
Dabei ist eine beliebige komplexe Zahl und der Index
steht für das Pochhammer-Symbol
.
Die Reihe konvergiert immerhin schneller als die Madhava-Reihe, freilich nicht schneller als andere bekannte Entwicklungen wie etwa die der Chudnovskys.
In stringkritischen Blogs wurde die Berichterstattung dann auch eher als weiteres Beispiel schlechten Wissenschaftsjournalismus wahrgenommen. Not Even Wrong berichtete unter der ironischen Überschrift „Latest Breakthrough from String Theory“. Ein besorgter indischer Mathematiker kommentierte dort: “India at the moment is hyper-nationalistic, so such exaggerated news coverages aren’t uncommon (in fact they are extremely common).“
Auf https://mathoverflow.net/questions/473931/possible-new-series-for-pi wurde schließlich die Frage diskutiert, was aus Mathematiker-Sicht von der Formel zu halten ist und ob sie überhaupt neu sei. Repräsentativ die Antwort von Jesus Guillera:
I have not seen this formula for
before in the literature despite that I know many other formulas. Although the series is not good for computing
(contrary to what is stated in the press), it could have some interest. In the paper there is also a formula of the same style for
. Taking the limit of it as
we obtained a well-known alternating series with a better convergence.
Wieviele Stellen von Pi braucht man?
Wikipedia liefert da ein paar prägnante Beispiele: Um den Umfang eines Kreises bis auf 1 mm genau zu berechnen braucht man: bei einem Radius von 30 Metern vier Dezimalstellen, beim Erdradius zehn Dezimalstellen, bei einem Radius mit dem Abstand Erde-Sonne 15 Dezimalstellen. Und um den größten in unserem Universum vorstellbaren realen Kreis mit der Genauigkeit einer Planck-Länge zu berechnen reichen 62 Dezimalstellen.
Aber natürlich kommt in der Mathematik und Physik überall vor, nicht nur bei der Berechnung von Kreisumfängen: Bei der Berechnung der Riemannschen Zeta-Funktion, in Fourier-Transformationen, wie sie etwa bei der Heisenbergschen Unschärferelation vorkommen, in den Feldgleichung der Allgemeinen Relativitätstheorie.
Wieviele Stellen von braucht man also in physikalischen Anwendungen? Es gibt ein Committee on Data for Science and Technology, das die zu verwendenden Werte vieler Naturkonstanten festlegt.
selbst wird von ihnen nicht berechnet, aber natürlich alle möglichen von
abhängenden Naturkonstanten. Die Mitarbeiter benutzen für ihre Berechnungen immerhin 32 Stellen von
. Das sind doppelt so viele bei der NASA, die ihre Raumschiffe mit nur 16
-Stellen steuert.
Was man wirklich nicht braucht
Vor ungefähr zehn oder zwölf Jahren gab es mal eine (immerhin kostenlose) App, mit der man „beliebig viele“ (tatsächlich maximal hunderttausend) Stellen der Kreiszahl berechnen konnte. Ein 1,8MB großes Programm, das einen 100KB großen konstanten String ausgeben konnte. Tausend oder zweitausend Stellen wurden praktisch instantan berechnet, bei zwanzigtausend Stellen dauerte es schon einige Sekunden und für hunderttausend Stellen brauchte man etwas Geduld.
Die App gibt es nicht mehr, dafür kann man im AppStore heute (zunächst kostenlos, für speziellere Funktionen dann aber 3,99) eine App erwerben, mit der sich die Ziffern von üben lassen. „Pi mit einem Quiz auswendig“ verspricht die Werbung. Das Spiel besteht dann aber einfach nur daraus, dass man die Ziffern von
eingibt und verloren hat, sobald man eine Ziffer falsch eingibt. Das kann man dann beliebig oft wiederholen.
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