Aperiodische Teilungen und Quasikristalle
Mathematiker beweisen Unmöglichkeit 5-zähliger Symmetrie, Physiker findet diese in einem Metall und erhält Chemie-Nobelpreis.
So könnte man die Geschichte des Chemie-Nobelpreises 2011 kurz zusammenfassen.
Worum ging es?
Lange ging man davon aus, daß Kristalle gitterförmig angeordnet sind. Das Bild unten zeigt die Struktur von Natriumchlorid (Kochsalz):
Neben den Translationssymmetrien haben manche Gitter noch zusätzliche Rotationssymmetrien. Das NaCl-Gitter zum Beispiel hat Rotationssymmetrien der Ordnung 4. (Heißt: viermalige Hintereinanderausführung der Rotationssymmetrie gibt die Identitätsabbildung.)
Das NaCl-Gitter liefert einem auch eine Parkettierung des 3-dimensionalen Raumes durch Würfel, mit derselben Symmetriegruppe.
In der Physik interessiert man sich im Zusammenhang mit Quasi-Kristallen auch für sogenannte Penrose-Parkettierungen, die jeweils zwei Typen von Kacheln verwenden dürfen (und deren Symmetriegruppe nicht kokompakt ist).
Analog zur Klassifikation der 17 ebenen kristallographischen Gruppen gibt es in Dimension 3 ebenfalls eine Klassifikation der (kokompakten) Symmetriegruppen von Parkettierungen des 3-dimensionalen Raumes. Diese ist erstaunlicherweise älter als der Beweis der 2-dimensionalen Klassifikation: sie wurde 1891 unabhängig durch Fjodorow und Schoenflies bewiesen, es gibt 230 mögliche Symmetriegruppen.
Auch im 3-dimensionalen Fall müssen alle Rotationssymmetrien die Ordnung 2,3,4 oder 6 haben.
Deshalb war es eine große Überraschung als Daniel Shechtman eine Kristallstruktur mit Rotationssymmetrien der Ordnung 5 (und sogar der Ordnung 10) entdeckte. Es dauerte einige Zeit bis seine Entdeckung wirklich anerkannt wurde.
“Danny Shechtman is talking nonsense. There is no such thing as quasicrystals, only quasi-scientists.”
wurde damals ein bekannter Nobelpreisträger zitiert.
Die Arbeit Metallic phase with long-range orientational order and no translational symmetry von Shechtman-Blech-Gratias-Cahn wurde 1984 in Physical Review Letters veröffentlicht, sie beschreibt ein Metall, dessen Symmetriegruppe nicht kokompakt ist (also nicht in die Klassifikation der 230 bekannten kokompakten kristallografischen Gruppen fällt) und die die Symmetriegruppe eines Ikosaeders als Untergruppe enthält, insbesondere also Rotationen der Ordnung 5. Solche Strukturen mit nicht-kokompakten Symmetriegruppen nennt man heute Quasikristalle.
Daß es darüber hinaus auch noch aperiodische Pflasterungen gibt, kam unerwartet – die ersten Beispiele fand wohl Robert Berger in seiner Dissertation (1964), Penrose’s erste Beispiele sind von 1974.
Atomic model of Ag-Al quasicrystal
Aus Mathematiker-Sicht erwähnenswert ist noch, daß der “Raum aller Penrose-Teilungen” ein Anwendungsgebiet für Nichtkommutative Geometrie ist.
Der Raum aller Penrose-Teilungen ist aus topologischer Sicht eigentlich trivial. (Man kann ihn beschreiben als Quotient einer Cantor-Menge bzgl. einer bestimmten Äquivalenzrelation. Die Äquivalenzrelation identifiziert so viele Punkte, daß die einzigen offenen Mengen im Quotientenraum aber die leere Menge und der ganze Raum sind.) Mit topologischen Invarianten kann man bei der Beschreibung dieses Raumes also nichts anfangen. Stattdessen kann man ihm aber eine (nichtkommutative) C*-Algebra zuordnen und mit deren K-theoretischen Invarianten arbeiten. Insbesondere kann man über diesen Zugang beweisen, daß die ‘Dichte’ eines Stücks oder eines Musters (also die relative Häufigkeit, mit der das Muster in einer Penrose-Teilung vorkommt) immer eine ganzzahlige Linearkombination aus 1 und dem goldenen Schnitt sein muß.
Parkettierungen durch Fünfecke
2017 ging der DMV-Journalistenpreis an Robert Gast für den Artikel Das Ende der Fünfeck-Saga über die 15 möglichen Pflasterungen der Ebene durch Fünfecke. Die 15. solche Pflasterung war erst 2015 gefunden wurden, so dass die Wikipedia dann ihre Grafik im Artikel “Parkettierung mit Fünfecken” aktualisieren musste:
In der “Natur” begegnen einem solche 5-Ecks-Pflasterungen aber eher selten und so war ich doch überrascht über diese Lavaformation auf der dem Süden Koreas vorgelagerten Vulkaninsel Jeju, dem Ziel eines damaligen Institutsausflugs:
(Das Bild ist aus der Wikimedia entnommen, weil ich damals keine Kamera dabeihatte.)
Im aktuellen November-Heft der Notices of the AMS gibt es einen Artikel The Hexagonal Tiling Honeycomb von John Baez, der Beziehungen der Honigwaben-Parkettierung zu Neron-Severi-Gruppen abelscher Varietäten, ganzen Eisenstein-Zahlen und der Minkowski-Metrik darstellt.
Glättung von Kacheln
In der eingangs erwähnten Arbeit Soft cells and the geometry of seashells von Domokos, Goriely, Horváth und Regös geht es nun darum, solche polygonalen Parkettierungen zu glätten.
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