Die Immigration Order war damals Thema zahlreicher mathematischer Blogs und Initiativen: First they came for the Iranians (Scott Aaronson), Fascism and the Current National Emergency (Peter Woit), What Worries Me Most (Leonard Susskind), Statement of Inclusiveness (Juan Souto, Kasra Rafi et al.) und die Petition Academics Against Immigration Executive Order.
Taylor & Francis
Ähnliche Aufregung in der mathematischen Welt löste im Dezember 2018 der Verlag Taylor & Francis mit einer e-Mail an den Teheraner Professor Abbas Fakhari aus. Dessen mit seinem in Brasilien arbeitenden Landsmann Mohammad Soufi geschriebene Arbeit “Saturation of generalized partially hyperbolic attractors” (hier die ArXiv-Version) war nach zwei Jahren Begutachtung bei “Dynamical Systems” angenommen und dort auch bereits auf der Webseite online publiziert worden. Am 7.Dezember erhielt Fakhari dann diese Mitteilung des Verlages:
As a result of our compliance with laws and regulations applied by the UK, US, European Union, and United Nations jurisdictions with respect to countries subject to trade restrictions, it is not possible for us to publish any manuscript authored by researchers based in a country subject to sanction (in this case Iran) in certain cases where restrictions are applied. Following internal sanctions process checks the above referenced manuscript has been identified as falling into this category. Therefore, due to mandatory compliance and regulation instructions, we regret that we unable to proceed with the processing of your paper.
Die Entscheidung paßte wohl in einen allgemeinen Trend, dass iranischstämmige Wissenschaftler bei manchen Konferenzen nicht mehr eingeladen und bei manchen Stipendienentscheidungen benachteiligt werden sollen. Glücklicherweise blieb das Herausgebergremium hart und schickte zwei Tage später einen geharnischten Beschwerdebrief an den Verlag. Innerhalb weniger Stunden zog dann Taylor & Francis seine Entscheidung zurück.
Zusammenbrüche
Evelyn Lamb veröffentlichte damals 2017 auf “undark” einen auf einem Gespräch mit dem Mathematikhistoriker Siegmund-Schultze beruhenden Artikel A Math Lesson From Hitler’s Germany. Sie erinnert dort an die Geschichte des Mathematischen Instituts in Göttingen, das seit Gauss’ Zeiten als das Weltzentrum der Mathematik galt und dieser Position dann 1933 innerhalb kurzer Zeit verlorenging. Interessanterweise, was im Artikel damals nicht erwähnt wurde, nicht nur durch die Vertreibung der jüdischen Mathematiker, sondern weil auch eine Reihe eigentlich nicht betroffener deutscher Mathematiker in diesem gleichgeschalteten Institut dann nicht mehr arbeiten wollten.
Institutions are fragile. They are easier to destroy than build. A few months of Hitler’s policies unraveled two centuries of mathematical progress in Göttingen. That university, and Germany more broadly, never fully recovered. As von Neumann correctly predicted in 1933, “If these boys continue for only two more years (which is unfortunately very probable) they will ruin German science for a generation — at least.”
Profitiert hatte damals vor allem Princeton, das europäischen Immigranten aufgeschlossener gegenüberstand als viele andere amerikanische Universitäten (Harvard unter Birkhoff zum Beispiel war Immigranten gegenüber sehr negativ eingestellt) und in der Folge die Rolle Göttingens als mathematisches Zentrum übernahm. Als anderes Beispiel für den Niedergang eines Instituts bietet sich Moskau an, das in den 50er bis 70er Jahren als vielleicht der Ort auf der Welt mit der meisten mathematischen Aktivität galt, wo dann aber ab Mitte der 70er Jahre (innerhalb der Mathematik) versucht wurde, jüdische Wissenschaftler und Studenten aus den Universitäten fernzuhalten. Profitiert haben auch damals vor allem die USA und in geringerem Maße die europäischen Länder. Und ein weiteres, aktuelleres Beispiel, wäre die Schließung der Central European University in Budapest. Die hatte ein Mathematik-Department mit 14 renommierten Professoren, darunter den Analytiker Gheorghe Morosanu, den Algebraiker Tamás Szamuely, den Gruppentheoretiker Miklós Abert, den Topologen András Stipsicz und den Geometer Károly Böröczky Jr. Bemerkenswerterweise wurde damals schon die Wissenschaft an sich (und ihre internationale Vernetzung) als Bedrohung für den “illiberalen Staat” angesehen wird. In einer Pressekonferenz sprach der ehemalige Bildungsminister Péter Harrach von den Professoren der CEU als „Offizieren einer Okkupationsarmee“.
Kommentare (59)