Letzte Woche fanden in Leipzig die ersten „Topic Days“ statt, ein neues Veranstaltungskonzept der Deutschen Mathematiker-Vereinigung. Thema war der hundertste Todestag von Felix Klein.
Die Veranstaltung wurde stark öffentlich beworben, in vielen Leipziger Straßenbahnen hingen die „In Mathe war ich schon immer gut“-Plakate und Informationen über das Schülerprogramm und das für die breite Öffentlichkeit bestimmte Abendprogramm des ersten Tages.
Das Schülerprogramm fand am Montagvormittag statt, es bestand aus einem Vortrag „Figuren, Fliesen, Felix – auf den Spuren der Symmetrie“ (Max Hoffmann) und fünf parallel stattfindenden Workshops
In den Vorträgen am Montagnachmittag ging es dann darum, wie sich Einflüsse von Felix Klein in heutigen Entwicklungen widerspiegeln. Eingeleitet vom Leipziger Dekan Bernd Kirchheim, der zunächst erzählte, dass auch zu DDR-Zeiten in Weimar Kleins Erlanger Programm einen guten Ruf genoss (und für ihn damals der Ortsname “Erlangen” einen sehr exotischen Klang hatte), ging es in den vier Vorträgen um die historische Entwicklung der Geometrie, Kleins Einfluss auf die Mathematikdidaktik, seine Aktivitäten im Modellbau und die Bedeutung des Erlanger Programms.

“Felix Klein im Kontext” von Jürgen Jost übernahm dabei die Einordnung Kleins in die Geschichte der Geometrie. Das Beltrami-Klein-Modell hatte die nicht-euklidische (hyperbolische) Geometrie zum Teil der projektiven Geometrie gemacht und Klein und Lie hatten die Konzepte der Gruppentheorie in die Geometrie eingeführt.

Einen anderen Zugang zur hyperbolischen Geometrie gab Riemanns Habilitationsvortrag von 1854. Der Physiker Helmholtz hatte postuliert, dass die metrische Struktur des physikalischen Raumes so sein müsse, dass sich starre Körper frei bewegen können, was dann zur Annahme konstanter Krümmung führt. Lie regte dieser Ansatz, dessen fehlende mathematische Präzision er kritisierte, zur Entwicklung seiner Theorie der Transformationsgruppen an. Die Zugänge von Riemann (Metrik) und Klein (Gruppen und Invarianten) wurden als gegensätzlich empfunden. Jedenfalls hat man auch in Riemanns Ansatz die Wirkung der Diffeomorphismengruppe durch Koordinatentransformationen und aus dem metrischen Tensor mussten sich Invarianten gewinnen lassen, die koordinatenunabhängig sind: Riemanns Definition der Schnittkrümmung. Klein stellte später in seinen Vorlesungen über die Mathematik des 19. Jahrhunderts den Zusammenhang mit der Invariantentheorie heraus. Die weitere Entwicklung führte dann über die Feldgleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie, deren linke Seite divergenzfrei ist, was auf Anfrage von Klein und Hilbert von Emmy Noether als Spezialfall eines allgemeinen Prinzips für unter Lie-Gruppen invariante Variationsintegrale hergeleitet wurde – die Ableitung der Euler-Lagrange-Gleichung liefert einen divergenzfreien Ausdruck – und das Hilbert-Funktional zum Ricci-Fluss als Gradientenfluss des normalisierten Hilbert-Funktionals und den Arbeiten von Hamilton und Perelman hierzu, die insbesondere Einstein-Metriken auf den unzerlegbaren Bausteinen von 3-Mannigfaltigkeiten liefern.

Henrike Allmendinger widmete sich dem Einfluss von Felix Klein auf die Mathematikdidaktik. Die auf Reformvorschläge der Unterrichtskommission der Gesellschaft Deutscher Naturforscher auf Initiative Felix Kleins zurückgehende Meraner Reform von 1905 hatte als Schwerpunkte die Erziehung zum funktionalen Denken, die Einführung von Funktionsbegriff und Analysis (an preußischen Gymnasien seit 1925) und die Stärkung des Anschauungsvermögens. Weitere Prinzipien Kleins waren die Verknüpfung der Gebiete, das genetische Prinzip (Entwicklung anhand von Fragen, selbst erfinden), die Verknüpfung mit Interessen in jeweiligen Entwicklungsstufen und das Verwenden anschaulich fassbarer Formen. Das Ziel, Elementarmathematik und Hochschulmathematik in Einklang zu bringen, verfolgten nicht zuletzt Kleins Vorlesungen über Elementarmathematik vom höheren Standpunkt. Der Vortrag baute in weiten Teilen auf Original-Zitaten Felix Kleins auf, die sich auch heute noch gut verwenden ließen.
Einen Abriss über die Geschichte des mathematischen Modellbaus zwischen 1868 und 1907 gab der Vortrag von Jürgen Richter-Gebert. Die Postkarte unten zeigt einen der vier Räume der ersten größeren mathematischen Ausstellung in Deutschland, die 1893 in München aus Anlass der Jahrestagung der Deutschen Mathematiker-Vereinigung eröffnet wurde – zehn Jahre vor Gründung des Deutschen Museums.

Der Vortrag von David Rowe handelte schließlich vom Erlanger Programm. In diesem ging es um euklidische und projektive Geometrie in analytischer Betrachtungsweise. Klein zeigte, wie sich Cayleys (über das Doppelverhältnis definierte) projektive Metrik in anderen Kontexten wie der französischen Kugelgeometrie und Plückers Liniengeometrie einführen läßt. Er entwickelte ein Programm für eine Invariantentheorie der Untergruppen der projektiven Gruppe. Geometrien mit gleicher Automorphismengruppe betrachtete er als identisch, was es ermöglicht die eine über die andere zu studieren. (Ein auf Poincaré zurückgehendes Beispiel wäre das Studium der Lorentz-Transformationen als Isometrien der Minkowski-Metrik.)

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