Am Mittwoch beginnt der alle vier Jahre stattfindende Weltkongreß der Mathematiker, der dieses Jahr eigentlich in St. Petersburg stattfinden sollte, was (erst) im Februar dieses Jahr rückgängig gemacht wurde. Weil es für eine Neuorganisation des Kongresses mit üblicherweise mehreren Tausend Teilnehmern dann zu spät war, findet er jetzt als Online-Event statt.

Immerhin kann man damit nun teilnehmen ohne sich räumlich fortbewegen zu müssen. Offensichtlich wollen das auch viele, die Teilnehmerzahl übertrifft die Erwartungen: obwohl es keinen Anmeldeschluß gab, kann man sich wegen der hohen Nachfrage seit einigen Wochen nicht mehr anmelden. Ich hatte mich zum Glück rechtzeitig angemeldet und bekomme deshalb seit Sonntagabend diese Begrüßungsseite angezeigt:

Aktuell findet in Helsinki die Generalversammlung der Internationalen Mathematischen Vereinigung statt. Sie hat entschieden, dass der nächste ICM 2026 in Philadelphia, USA stattfinden wird. Der in New York ansässige Blog “Not even wrong” kommentiert dazu:

With the 2022 experience in mind, hopefully the IMU will for next time have prepared a plan for what to do in case they again end up having a host country with a collapsed democracy being run by a dangerous autocrat.

Ebenfalls in Helsinki wird am Dienstag die Verleihung der Fields-Medaillen stattfinden. Um diese online zu sehen, muss man nicht angemeldet sein, man kann die Übertragung direkt auf YouTube verfolgen:

Die Namen der Preisträger sind wie immer noch geheim und es gibt natürlich zahlreiche Spekulationen. Die Arbeiten der Preisträger werden wieder im Quanta Magazine ausführlich besprochen werden. Tatsächlich war bei den letzten beiden Kongressen (2014 und 2018) das Quanta Magazine die einzige Zeitschrift, die zeitnah und im Detail berichten konnte. Grund dafür war ein “Embargo”: Reporter, die die Namen der Preisträger vorab erfahren wollen, müssen unterschreiben, diese vor der Preisverleihung nicht zu kontaktieren und erst recht natürlich auch keine anderen Mathematiker. Da Journalisten in der Regel kaum in der Lage sein werden, aus eigenem Wissen etwas über die Preisträger und ihre Arbeit zu schreiben, macht dies eine zeitnahe, ausführliche Berichterstattung praktisch unmöglich. Angeblich soll diese Bevorzugung des Quanta Magazines (oder eher die Benachteiligung aller anderen Journalisten) damit zusammenhängen, dass die das Quanta Magazine herausgebende Simons Foundation einen großen finanziellen Beitrag zu den Fields-Medaillen leistet, deren Preisgelder die IMU alleine nicht mehr aufbringen konnte. (Nachtrag: Laut Kenigs heutiger Rede erfolgt die Finanzierung aber mit Hilfe der Heidelberg Laureate Foundation, nicht der Simons Foundation).) Die vom Quanta Magazine geschriebenen Artikel von 2018 waren wirklich gut, aber eine solche Embargopolitik ist natürlich sehr fragwürdig. (Es ist nicht klar, ob es diesmal genauso laufen wird. „Nature“ hat auf Twitter eine Berichterstattung angekündigt; man wird sehen, was das heißt.)

Es gibt ein Programmheft mit Uhrzeiten und Zusammenfassungen der Vorträge. Es ist zwar wegen der Überlastung nicht mehr möglich, sich für das Life-Event anzumelden, die Vorträge werden aber zeitnah auf YouTube eingestellt werden. Tatsächlich finden viele der Vorträge mit einem Life-Publikum statt, weil sich Vortragende zusammengetan haben, um an einem Ort mit größerem Publikum jeweils ihre Vorträge zu halten. So finden etwa Vorträge zu Zahlentheorie und algebraischer Geometrie in Zürich statt, Vorträge zu Geometrie, Topologie und verwandten Gebieten in Kopenhagen, Vorträge zu Dynamik in Jerusalem, zu Wahrscheinlichkeit und mathematischer Physik in Helsinki, zu angewandter Mathematik in London und zu Lie-Theorie in Singapur.

Kommentare (2)

  1. #1 Uwe
    Berlin
    5. Juli 2022

    Das Gruselige ist ja, dass dieser Fall:
    “in case they again end up having a host country with a collapsed democracy being run by a dangerous autocrat”
    für den geplanten Veranstaltungsort durchaus möglich ist.

  2. #2 Anders Denker
    7. Juli 2022

    Die Primzahlen-Fields-Medaille triggerte das Keyword Mandelbrotmenge, die in der komplexen Zahlenebene erzeugt wird durch die Rekursions-Formel z[n+1] = z[n]^2 + c, wobei z,c Elemente der Menge der komplexen Zahlen C sind und n=1,2,3,4,5,6, … Element der natürlichen Zahlen N ist.

    Der Artikel Mandelbrot_set der Wikipedia fängt mit der konkreten Primzahl 2 an und hört im Absatz Multibrot sets mit der konkreten Primzahl 3 auf. Der Exponent wird nicht abstrahiert, was undidaktisch ist, und längere Polynome werden nicht dargestellt. Immerhin taucht der Begriff Parametrisierung auf.

    Natürlich wird nicht alles erwähnt, um autodidaktischen Mathematikern dies und das fürs Homeoffice übrig zu lassen, z.B. das Ersetzen des Primzahl-Exponents 2 durch n/m, oder beschränkter Zahlenmengen als two real numbers zwecks Simulation von complex-number operations zu nutzen, um die Konvergenz-Spiralen anzuschauen.

    Die Primzahl 2 führt u.a. zum 202nd Carnival von fractalkitty:
    – 202 is a strobogrammatic number
    – 202 is composite number consisting of the prime factors of 2 and 101, which are also strobogrammatic.
    – 202 is a HoayNumber, Smith Number, Squarefree semiprime, and a palindrome.
    Check out oeis org if you are curious about 202 or any number.

    Rhetorische Frage:
    Wurde Carnival of mathematics nach dem Buch Mathematical Carnival von Martin Gardner ins (Online-)Leben gerufen?