Antwort: Eigentlich nie wirklich – wir können immer von dem ausgehen, was wir in und aus der Vergangenheit lernen konnten, und dies in die Zukunft extrapolieren. Gewiss mit einem “Sicherheitszuschlag” – aber ob der nun fünf, zehn oder auch zehntausend Prozent sein sollte, wer vermag das zu sagen? Denn der Haken ist, dass wir oft gar nicht wissen, wie “typisch” unsere vergangenen Erfahrungen sind. Dass ich hier auf die Einschätzungen von Erdbeben und -Folgerisiken abhebe, dürfte sowieso jedem klar sein, also ohne Umschweife: Seismographen gibt es seit dem späten 19. Jahrhundert, die heute üblichen Breitband-Messgeräte, die eine genauere wissenschaftliche Analyse der Beben erst möglich machen, kamen in den 70-er Jahren des 20. Jahrhunderts auf. Ein paar Jahrzehnte – geologisch gesehen noch nicht mal ein Augenblick. Nur weil wir uns an den stärksten Beben unserer Zeit orientieren, heißt das nicht, dass wir irgend etwas darüber wissen, welche seismischen Maxima über einen längeren Zeitraum wirklich zu erwarten sind. Selbst unsere schlimmsten Annahmen können, wie die Ereignisse in Japan (das Beben sowohl, als auch der Tsnumai) gezeigt haben, zu optimistisch gewesen sein.
Ehe ich nun zum Punkt dieses Eintrags komme, in dem es um fossile Erdbebenspuren gehen wird, hier noch mal eine visuelle Erinnerung daran, welche Folgen solche Fehleinschätzungen haben können: Die Flutmauern, die in Japan nicht zuletzt als Arbeitsbeschaffungs- und Wirtschaftsförderungsmaßnahmen sehr großzügig – nach Ansicht der Anwohner, denen damit der Blick aufs Meer verbaut wurde, sogar zu großzügig – geplant wurden, hatten gegen solche Wassermassen keine Chance.
Ton abdrehen und nach vier Minuten abschalten, wäre mein Tipp.
Nach diesem voyeuristischen Umweg nun zurück zum Thema: Woher soll man wissen, welche Stärke Beben vor, sagen wir mal, Tausenden oder Zehntausenden, ja, warum nicht Millionen von Jahren hatten? Einen Hinweis darauf geben uns fossile Sedimente, wie der israelische Geophysiker Shmulik Marco mit seinem Kollegen Eyal Heifetz und dem Doktoranden Nadav Wetzler herausfand: In dem Paper
, das vor etwa einem Jahr im Journal Geology erschien (und hier in Marcos Publikationsliste hier unter der Nummer 43 verlinkt ist), haben die drei Autoren gezeigt, dass sich in limnischen Sedimentschichten (will heißen: dem zu Stein gewordenen Schlamm von Gewässerböden) verräterische Spuren “fossiler” Erdbeben finden. Durch das Beben wirken Scherkräfte auf die abgelagerten Schichten ein, und diese Scherkräfte wiederum hinterlassen, als Folge der Kelvin-Helmholtz-Instabilität, deutlich erkennbare Verwirbelungen an den entsprechenden Schichtengrenzen. Diese Verwirbelungen sind in ihrer Charakteristik abhängig von der Stärke der Scherkräfte – und sie lassen sich in Simulationen auch nachvollziehen, wie diese Abbildung aus dem Paper zeigt:
Die beiden unteren Muster beispielsweise sind in der Simulation mit einer lateralen Beschleunigung von 0.6 g erzielt worden (die weiteren Parameter wie Sedimentdichte und Schichtstärke, sowie die verwendeten Simulationen, sind im Paper detailliert beschrieben, für alle, die es noch genauer wissen wollen).
Nun, so weit, daraus einen “fossilen Seismometer” ableiten zu können, sind die israelischen Forscher noch nicht, auch wenn dies in einer Pressemitteilung der American Friends of Tel Aviv University so angedeutet wird:
We’ve expanded the window of observation beyond 100 years, to create, if you will, a ‘fossil seismograph
wird Professor Marco dort zitiert. Im Paper selbst hingegen heißt es wohl zutreffender
These relations may enable the estimation of paleo-earthquake magnitude.
(Hervorhebung von mir.)
Aber auch ein “echtes” Seismogramm ist ja erst mal nur eine Reihe von Zacken auf Papier – Zacken, die durch die Beschleunigungskräfte des Bebens verursacht werden. Wenn es Marco – oder anderen Geologen – gelingt, seine Beobachtungen zu kalibrieren und zu generalisieren (für verschiedene Sediment-Dichten, beispielsweise, oder verschiedene Körnigkeiten, die eventuell auch noch eine Rolle spielen), dann wäre allerdings ein solcher fossiler Seimsograph gefunden, der uns verraten kann, wie heftig Beben in erdgeschichtlichen (und nicht nur kulturgeschichtlichen) Dimensionen sein können. Und dann wird man sicher besser, wenn auch nie mit allerletzter Sicherheit, abschätzen können, ob und wie weit unsere Risikoeinschätzungen daneben liegen. Ich bin gespannt …
Nachtrag: Inzwischen hat mit auch Professor Marco noch ein kurzes Statement zum “fossilen Seismometer” gegeben. Er schrieb mir
Fossil earthquake records are valuable because the one-century-long instrumental (seismographs etc) records of eqs are too short to tell us about the recurrence intervals of large quakes that are rare at any single place. We can also learn about spatial distribution of damage, the local effects of amplification or attenuation of seismic vibrations, the effects of historical eqs on humanity (see Leroy et al’s paper in my web page). “Never happened” is not a term that I would use in any geological context because of our limited information…
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