Achtung: Wer meint, dass auf ScienceBlogs nur über Wissenschaft geschrieben werden darf, sollte am besten gleich weiter klicken (hier, zum Beispiel). Dies ist eine subjektive und ausgiebige Betrachtung, auf eigener Erfahrung basierend, wenn auch durch eine aktuelle Studie über die lebensverkürzenden Nebenwirkungen von Arbeitslosigkeit angeregt.
Ich weiß zwar nicht, wo Friedrich Nietzsche den Spruch “Ein Beruf ist das Rückgrat des Lebens” erstmals niedergeschrieben hat (ich erinnere mich nur daran, dass dies das Thema eines Deutschaufsatzes war, den ich in der 11. Gynasialklasse schreiben musste). Aber dass man sich nach einem Vierteljahrhundert und einem halben Leben mit seinem Beruf, seiner Erwerbstätigkeit so identifizieren kann, dass sie zu einem quasi-anatomischen Teil des Ich wird, kaufe ich dem alten Denker auch ohne Quellennachweis ab – heute mehr denn je. Denn vor nun bald zwei Jahren schien es, als ob mir plötzlich dieses Rückgrat gebrochen wurde – in Form eines in seiner Knappheit verletzenden und in seiner Schroffheit beleidigenden Kündigungsschreibens, das mir relativ wortlos am Freitag morgen des 29. Mai 2009 von meinem damaligen New Yorker Büroleiter in die Hand gedrückt wurde.
Die Nachricht wäre natürlich in jeder Form für mich vernichtend gewesen, da ich mich als Alleinverdiener für Frau und Sohn im extrem teuren New York verantwortlich fühlte. Aber dass gleich zwei FOCUS-Chefredakteure zu feige waren, es mir persönlich – bei solchen Transatlantikbeziehungen gilt auch ein Telefonat oder ein selbst verfasstes Schreiben noch als “persönlich” – mitzuteilen und auch danach nicht mehr für mich erreichbar waren; dass statt dessen ein minimal modifiziertes Formschreiben der Personalabteilung, nebst einem schon unter normalen Umständen lachhaften Abfindungsangebot (nach fast einem Jahrzehnt Redaktionszugehörigkeit), das in der konkreten Situation eines Auslandsmitarbeiters wie ein Hohn wirkte, die Kündigung manifestierte; dass mein langjähriger Kollege und Bürochef, der doch angeblich immer so um das Wohl seiner Mitarbeiter besorgt war, in vorauseilender Komplizenschaft das Schreiben bis zum letztmöglichen Termin (nach dem deutschen Feierabend am letzten Arbeitstag des Monats) zurückgehalten hatte, um mir möglichst wenig Reaktionszeit zu lassen, und mir dann auch noch schnell eine Verzichtserklärung auf juristische Mittel zur Unterschrift unterschieben wollte – all das tut bis heute noch weh.
Und wer jetzt denkt, dass ich diese Behandlung vermutlich verdient hatte – wie mein Vater zu sagen pflegte: irgend einen Grund werden die schon haben – und daher froh sein sollte, dass ich überhaupt den Job so lange hatte: Wie bei den Zebra- und Gnuherden in der Serengeti, wo von der Herde abgetrennte Tiere auch die ersten sind, die den Löwen und Hyänen zum Opfer fallen, war meine Position durch die große räumliche Entfernung von der Redaktionszentrale geschwächt, und zwar so, dass auch ein deutscher Arbeitsvertrag wenig Schutz bot. Denn, so das Argument des Arbeitgebers, ich sei ja als einziger Redaktionsmitarbeiter in New York ein eigener Betrieb gewesen, der aus Kostengründen geschlossen werden muss. Und da ich der einzige Mitarbeiter dieses Betriebs war, musste auch keine Sozialauswahl (die den Arbeitgeber ja zur besseren Begründung der jeweiligen Kündigung zwingen würde) getroffen werden. Das Münchner Arbeitsgericht, vor dem die Sache landete, hätte dazu eine Grundsatzentscheidung treffen müssen – die ihm (zur sichtbaren Erleichterung des Richters) allerdings erspart blieb, weil wir uns dann doch noch auf eine Lösung verständigen konnten, die zumindest das Gerichtsurteil unnötig machte. Diese Lösung als “einvernehmlich” zu bezeichnen, wie der offizielle Wortlaut war, ließe sich etwa damit vergleichen, dass ein Todeskandidat seiner Hinrichtung einvernehmlich zugestimmt habe, weil er ja, vor die Wahl gestellt, ob er erschossen oder erhängt werden will, den Strick gewählt habe …
Warum schreibe ich das? Zum Einen, weil ich damit zeigen will, dass Entlassungen immer eine menschliche Komponente haben, die nicht mit Kosten-Nutzen-Rechnungen erfassbar ist. Manchmal sogar völlig unfassbar sind: Welchem unternehmerischen Zweck dient es, beispielsweise, wenn Mitarbeiter – wie bei NBC im benachbarten Rockefeller Center (“30 Rock”) passiert – nach der Rückkehr von der Mittagspause dadurch von ihrer Kündigung erfahren, dass ihre Hausausweise plötzlich nicht mehr funktionieren? Wenn sie dann, begleitet von Wachleuten, gerade mal so lange an ihren Arbeitsplatz zurückkehren dürfen, um ihre persönlichen Gegenstände einzusammeln und dann in einer Pappschachtel – dem universellen Erkennungszeichen des Gefeuerten – durch das Großraumbüro tragen zu dürfen? Welcher unternehmerische Zweck ist erfüllt, wenn die Summen, die durch den Stellenabbau eingespart werden sollen, dann in exzessiven Managergehältern und -Boni wieder vergeudet werden? (Ich hatte wohl vergessen zu erwähnen, dass während ich noch um meinen Posten ringen musste, sich zeitweise drei Chefredakteure an der FOCUS-Spitze drängelten …)
Kommentare (19)