Falls ich nicht schon ein paarmal erwähnt habe: Ich bin Geograph, habe mein einschlägiges Diplom 1984 an der TU München erworben. Und wenn ich Leuten erzähle, dass ich Geograph bin, kommen oft Fragen wie “Ach, und was ist die Hauptstadt von …?” oder “Und wo liegt …?” Der Versuch zu erklären, dass dies lexikalisches Wissen ist, und dass Wissenschaft nicht darin besteht, solche Fakten in Massen zu speichern (obwohl ein gewisses Maß an Faktenwisen natürlich immer nötig ist), stieß oft auf Befremden. Denn nur allzu oft ist es genau dieses “Wissen”, das sie selbst im Schulunterricht eingedrillt bekamen und als Fakten dann (messbar) in Tests reproduzieren mussten. Obwohl ich sicher bin (oder zumindest aus tiefstem Herzen hoffe), dass sich die Schulpädagogik seither ein Stück weiter entwickelt hat und lexikalisches Wissen durch Einsicht abgelöst wird, dass Zusammenhänge zwischen Fakten viel wichtiger sind, habe ich diesen Videoclip, in dem der New Yorker Physiker Michio Kaku diesen Zwang zum lexikalischen Lernen als Verdummungs-Prozess verurteilt, mit großer Anteilnahme angesehen:

Ich habe zwar vage in Erinnerung, dass ich nicht immer alles, was Kaku öffentlich von sich gegeben hat, als zustimmungswürdig empfand – aber dass die Foukussierung eines Schulsystems auf in Tests abfragbares und reproduzierbares “Wissen” mehr schadet als nützt, habe ich in meinen Jahren als Vater, der mit den Folgen von George W. Bushs “Bildungsinitiative” No Child Left Behind leben musste, sehr deutlich und direkt miterleben müssen.

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Kommentare (10)

  1. #1 WolfStark
    3. März 2013

    Selbst Geologie studierend, kann ich den Kommentar umso mehr nachvollziehen, da kommt es auch vor, dass man mal einfach stumpf Namen auswendig lernt, was völlig unnötig ist und sich durch eine praktische und theoretische Wiederholung sehr viel einfacher gestattet und wovon man am Ende des tages auch einfach mehr hat als vom bloßen auswendig lernen für diesen einen Test.
    Ich schätze überall, von Schule über Abitur und Studium bis zur Ausbildung kennt man das und es ist so eine Sache, die man zu vermeiden sein sollte.

  2. #2 Henning
    Region Hannover
    3. März 2013

    Ja, aber welche Folgen hatte No Child Left Behind letztlich für Dich?

  3. #3 rolak
    3. März 2013

    🙂 bei 24″ wird ‘weather’ mit ‘clima’ untertitelt…

    In letzter Zeit habe ich diverse BBC-Dokus durchgeackert – da ist in den letzten Jahren Kaku fast ständiger Gast. Er kann ja auch derart begeistert und begeisternd schwärmen, doch ich bin des öfteren versucht die Daumen zu drücken daß ihm nicht ein überpoetisches, falsche Ideen vermittelndes Wortbild herausflutscht…

  4. #4 nihil jie
    4. März 2013

    @rolak

    in den Dokus erweckt das gesagte des Herrn Kaku oft das trügerisch Bild als ob alles was da gesagt wird absolut machbar und gesichert wäre… wahrscheinlich gleich morgen, oder zumindest in 2 Jahren schon 😉 zumindest kommt es mir so vor wenn ich mich mit bekannten darüber austausche. “Aber der… na wie heißt der noch.. na der japanisch aussehende Forscher… der hatte gesagt, dass das so ist” kommt da oft… klar… Zeitreisen werden 2015 schon Realität und die Reise ins Parallelisieren bestimmt 2020 *gg

  5. #5 Chris
    4. März 2013

    Obwohl ich sicher bin (oder zumindest aus tiefstem Herzen hoffe), dass sich die Schulpädagogik seither ein Stück weiter entwickelt hat…

    Hat sie leider nicht.
    Die Hoffnung stirbt zuletzt.

  6. #6 threepoints...
    4. März 2013

    Haha, wer denkt, man würde sich angesichts solcher Erkenntnisse (und möglicherweise auch realen Begebenheiten mit den entsprechenden Folgen) in Bildungssystemen wirklich ein Beispiel nehmen, der ist wirklich naiv.

    Vor allen in den niederen Bildungsgängen (Grund- und Oberschule, Abitur und Grundstudium) ist es ganz und gar nicht erwünscht, die zu dieser Zeit unentschiedene Zukunft der Schüler und studenten die Kunst der eigenen Erkenntnisfähigkeit und die dazu nötige kritikfähigkeit zu beherrschen. Solcherart “ausgebildete” Individuen sind später in den meisten Fachgebieten gar nicht brauchbar – was auch für viele Bereiche der Wissenschaften gilt. Es wird in der Masse dann doch mehr so das utilitaristisch funktionalisierte “Werkzeug” benötigt, als ein selbstständig denkendes und sich selbst bildendes Individuum, das überall querschiesst und aneckt.

    Zudem sei natürlich richtig, dass zur (Aus-)Bildung ein Grundwissen auswändig gewusst sein muß, um eine nütlzliche Bandbreite an Wissen für die Theoretisierung zu haben. Parallel dazu aber ist die Erkenntnis über inhärente Systematiken viel wichtiger. (Hat N. Luhmann darüber eigendlich mal was theoretisiert?)

    Hauptstädte in aller Welt zu kennen, muß dabei aber nicht enthalten sein. Das gehört heute (und eigendlich schon immer) in die eigenen Entdeckungserfahrung und ist heute absolut kein Problem mehr entdecken zu können (neue Medien undso). Ausserdem ist der politische Nationalismus (und die jeweiligen Haupttädte derer) inzwischen kein wirklich wichtiges Detail dieser Welt mehr, um es aus dem Stand wissen zu müssen.

  7. #7 threepoints...
    4. März 2013

    Al kids are geniuses…” sei wohl so gemeint, dass alle das Potenzial dazu haben, was effektiv dabei herrauskommt, ist dann aber durch die Bedingungen bestimmt, die die Entwicklung des Kindes allgemein bestimmen.

    Klingt fast so, als ob man besser gar nichts machen sollte (in sachen systematischer Bildung)?
    Die Systematik ist faktisch eben auch ein relevanter Faktor in der Zerstörung kreativer und somit auch kritischer (denk)Prozesse. Das System als Leitplanke für das Bewusstsein.
    Wie gesagt, dass ist Sinnvoll, wenn man funktionale Werkzeuge erhalten will – und das ist leider in der Hauptsache das Ziel jedes Systems und sowieso Bestandteil und Zielsetzung von Kultur und Zivilisation.

    Der Fortschritt soll sich demnach nicht in der Zielsetzung schon in die “to do-Liste” schreiben, sondern erst mit Blick auf die erstellten Ergebnisse als Angebot zu erkennen geben. Bis dahin gilt: Es muß bisheriges erhalten und weitergegeben werden. Kulturgut- und technikpflege. Auch wichtig. Wie viel entdecken wir heute wieder, weil es etwa schon in der antike bekannt war, aber vergessen wurde.

  8. #8 Daniel
    5. März 2013

    Ein wenig mehr als eine Ansammlung billiger Vorurteile hätte ich dann doch erwartet. Faktenwissen ersetzt kein Verständnis, aber in der Realität ist es nunmal so, dass ohne Faktenwissen gar kein Verständnis aufgebaut werden kann.

  9. #9 threepoints...
    5. März 2013

    Was ist Faktenwissen?

    Bevor du dir nicht selbst mit dem Hammer auf den Finger gehauen hast, kannst du nicht wissen, dass und wie (sehr) es dir schmerzt.

    Die Seminare in der Uni sind aber keine solche Erfarhung, aus der dieses “Faktenwissen” in dem Sinne entstehen kann.
    Und deswegen ist es im “Glauben” das Wissen, welches notwendig sei, um Verständnis und Intelligenz zu entwickeln. Wir wissen es nicht, sondern glauben daran, dass es so sei. Diese Glaubensinhalte können (müssen aber nicht zwangsläufig) im Leben irgendwann durch eigene Erfahrung und Wahrnehmung (Prüfung) bestätigt werden.

  10. #10 Bettina Wurche
    5. März 2013

    LOL.
    Da mußte ich mächtig grinsen.
    Ich habe auch erst in der Zusammenarbeit mit Geographen gelernt, dass sie Soziologen, GIS-Experten und noch ganz anderes sind/sein können.
    Letztendlich sagt mir ein Studienabschluß “nur”, dass die betreffende Person sich auf den Hintern gesetzt und ein Studium durchgezogen hat und dadurch gewisse persönliche Eigenschaften erworben hat. Die je nach Studiengang, Schwerpunkt und Persönlichkeit unterschiedlich sein können.
    Aber wie soll man das jemandem erklären, der nie eine solche Erfahrung gemacht hat?
    Kann manchmal ganz schön kompliziert sein…
    grinz