In der Genetik wird bekanntlich die These diskutiert, daß alle menschlichen mütterlichen Linien auf eine Frau zurückgehen, die vor etwa 200.000 Jahren in Afrika lebte.

Einen ähnlichen Effekt in sehr viel kürzeren Zeiträumen kann man auch bei Mathematiker-Stammbäumen beobachten, also wenn man zurückverfolgt, wer der Doktorvater, der Doktorvater des Doktorvaters und wiederum dessen Doktorvater eines Mathematikers gewesen ist.

Den Stammbaum eines Mathematikers zurückverfolgend landet man meist bei David Hilbert oder Solomon Lefschetz.

(Selbst komme ich über meine beiden Promotions-Gutachter in 6 bzw. 5 Generationen zu Lefschetz und über meinen Diplomarbeits-Betreuer in 5 Generationen zu Hilbert.)

Hilbert (1862-1943) hatte 75 Doktoranden und insgesamt 27276 in der Datenbank Math Genealogy erfaßte Nachkommen, Lefschetz (1884-1972) hatte nur 26 Doktoranden, von diesen aber 8305 Nachkommen. (Hilbert dominierte lange Zeit die Mathematik in Göttingen und Lefschetz sorgte dafür, daß nach 1933 Princeton die Rolle Göttingens als mathematisches Zentrum übernahm.)
Wenn man weiter zurückgeht, wird die Zahl der Nachkommen natürlich größer. Gauß hat nur 10 erfaßte Doktoranden, aber 75055 Nachkommen (darunter Hilbert und Lefschetz samt deren Nachkommen), Leibniz bringt es mit nur zwei Doktoranden gar auf 101472 Nachkommen (darunter auch wieder Hilbert samt Nachkommenschaft).

Das habe ich soweit aus einem Artikel kopiert, den ich vor 5 Jahren mal geschrieben hatte. (Die Zahlen habe ich aktualisiert.) In Nature News gab es nun letzte Woche einen Artikel Majority of mathematicians hail from just 24 scientific ‘families’, der in der Zeit noch weiter zurückgeht und herausfindet, dass die meisten Mathematiker (genauer zwei Drittel) aus 24 “Familien” stammen. Wenig überraschend ist die größte Familie die einzige, deren Beginn im 15. Jahrhundert angesetzt wird:
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Die mit Abstand größte Familie hat also Sigismondo Polcastro. Von dem habe ich noch nie gehört, in der Datenbank kommt er nur als Zweitgutachter von Pietro Roccabonella vor, dessen Student Niccolò Leoniceno unter “Biology and other natural sciences” klassifiziert wird, ebenso wie dessen Doktorand Andries van Wesel und auch die nächsten 5 Generationen bis Adriaan van den Spieghel 1603 und dann noch mal 5 Generationen weiter bis Johann Andreas Segner 1728. Die erste mathematische Dissertation in diesem Stammbaum stammt von Johann Georg Büsch, der laut Datenbank 1752 in Göttingen über “General algebraic systems” promovierte. (Ich nehme an, das ist die englische Übersetzung des lateinischen Titels.) Dessen Doktorand Johann Elert Bode promovierte dann in Astronomie und erst mit Johann Pfaff, bei dem Bode 1786 Zweitgutachter war, haben wir einen richtigen bekannten Mathematiker im Stammbaum. Der wiederum war dann der Doktorvater von Carl Friedrich Gauß und das erklärt die große Nachkommenschaft: über Gerling und Plücker kommt man zu Felix Klein, und über den und Lindemann zu David Hilbert.

Langer Rede kurzer Sinn: die Autoren der Studie hätten nicht bloß die Daten maschinell verarbeiten, sondern auch die Stammbäume mal von einem Mathematiker anschauen lassen sollen. Es handelt sich beim größten Unterbaum nicht um die Polcastro-Familie, sondern um die Pfaff- oder Gauß-Familie. Daß die von der Datenanalyse als Polcastro-Familie erfaßt wurde ist ein Artefakt der Datenbank, die im Falle der Gauß-Vorfahren eben bis zu Polcastro zurückgeht, während bei anderen Familien schon früher (also in einem späteren Jahrhundert) Schluß ist.

Kommentare (3)

  1. #1 anderer Michael
    11. September 2016

    Sigismondo Polcastro war Mediziner.
    Unabhängig davon, welchen Sinn kann denn ein solcher Stammbaum überhaupt machen?
    Oder ist es nur eine akademische Spielerei?
    Ich bin auch promoviert, mit etwas Glück landet mein Stammbaum bei Leibniz, Gauss oder Leonardo da Vinci (sofern dieser an einer Universität dementsprechend tätig war).

  2. #2 michanya
    9. Oktober 2016

    … Scio ne sciam – ich weiss dass ich nichts weiss –
    und – ich trage all das meine bei mir – waren die besten Philosophen.

    habeNix – Nirvana – biotec4u

  3. #3 michanya
    9. Oktober 2016

    … und natürlich – HEUREKA – die Wanne ist voll – leider war seine Frau eine xantippe.

    Ansonsten Clans – da gäbe es den DenverClan und Dallas – im Öl business und aus den USA …

    Alles oder nichts – biotec4u