Einen Sensationsfund im All verkündet der Spiegel heute (Spiegel 33/13.8.2016). Denn: “Proxima Centauri, der nächstgelegene Fixstern, wird offenbar von einem erdähnlichen Planeten umkreist.” Ja, das wäre tatsächlich eine Sensation. Die eigentliche Sensation ist aber die Tatsache, dass die Medien die Sache mit der “zweiten Erde” immer noch nicht kapiert haben. Mir vergeht ja langsam ein wenig die Lust, immer den Spielverderber spielen zu müssen. Als 2011 eine “zweite Erde” entdeckt wurde, habe ich erklärt warum das nicht stimmt. Als 2012 erneut die Entdeckung einer “zweiten Erde” verkündet wurde, habe ich erklärt warum das nicht stimmt. Ich habe es 2014 getan und 2015 erklärt warum die von den Medien gefeierte “zweite Erde” keine solche ist. Und 2016 ist es wohl wieder so weit…
Es geht um Proxima Centauri. Ein ganz besonderer Stern; nämlich der Stern, der unserer eigenen Sonne am nächsten liegt. Nur knapp 4 Lichtjahre trennen uns von unserem Nachbarn, einem kleinen roten Zwergstern. Mit freiem Auge ist er am Himmel nicht zu sehen, aber die Astronomen haben ihm trotzdem ihre Aufmerksamkeit gewidmet. Im Rahmen des “Pale Red Dot”-Projekts haben Wissenschaftler der Europäischen Südsternwarte ESO den Stern seit Anfang des Jahres beobachtet. Mit dem Ziel, dort Planeten zu finden. Planeten bei anderen Sternen kennen wir schon ein paar Tausend, aber sie umkreisen Sterne, die weit entfernt sind. Wenn wir einen Planeten in unserer unmittelbaren Nachbarschaft hätten, wäre das ein großer Fortschritt.
Die Beobachtungskampagne scheint erfolgreich gewesen zu sein, wie der Spiegel verkündet. Allerdings, ohne großartig viele konkrete Daten zu nennen. Der Artikel erklärt weder, wie groß und schwer der Planet ist, noch gibt es Informationen über seine Umlaufbahn. Das liegt vor allem daran, dass diese Daten auch noch gar nicht veröffentlicht worden sind. Der Spiegel-Artikel von Olaf Stampf bezieht sich auf die Aussage eines “Astrophysiker[s], der an der Suche beteiligt war”. Die Europäische Südsternwarte selbst sagt (noch) gar nichts. Sie bestätigt die Meldung nicht und dementiert sie auch nicht sondern stellt nur fest, dass sie eventuelle Entdeckungen zu gegebener Zeit publizieren wird.
Da also noch keine wissenschaftliche Facharbeit vorliegt, kann man auch noch nichts seriöses über den potentiellen Planeten von Proxima Centauri sagen. Bis auf eines: Es handelt sich nicht um die Entdeckung einer “zweiten Erde”! Das habe ich in den vergangenen Jahren ja schon oft genug erklärt: Um zu wissen, ob auf einem anderen Planeten ähnlich lebensfreundliche Bedingungen wie auf der Erde herrschen, braucht man gewissen Informationen. Man muss wissen, wie groß und schwer der Planet ist. Wie weit entfernt er von seinem Stern ist. Man muss ebenfalls wissen, wie seine Atmosphäre zusammengesetzt ist. Idealerweise weiß man auch noch über Phänomene wie tektonische Aktivität oder ein Magnetfeld Bescheid. Denn all das bestimmt die Bedingungen auf der Oberfläche und die Lebensfreundlichkeit.
Mit den technischen Mitteln die uns derzeit zur Verfügung stehen können wir das aber gar nicht feststellen. Wir können nur messen wie groß und schwer ein Planet ist und wie weit er sich von seinem Stern befindet. Daraus können wir berechnen, ob der Planet vielleicht eine feste Oberfläche so wie die Erde hat und ob dort theoretisch Temperaturen herrschen könnten, die die Existenz von flüssigem Wasser erlauben. Aber ohne die restlichen Parameter zu kennen, hilft uns das in Sachen “zweiter Erde” nicht viel. Wenn wir in unserem Sonnensystem nur die Größen, Massen und Abstände der Planeten betrachten, würden wir zu dem Schluss kommen das Venus, Erde und Mars potentielle “zweite Erden” mit lebensfreundlichen Bedingungen sind. In der Realität trifft das aber nur auf die Erde zu; Mars und vor allem Venus sind absolut lebensfeindliche Umgebungen, was wir aber erst durch eine Analyse ihrer Atmosphären und der andere oben genannten Parameter feststellen konnten.
Wir wissen also noch viel zu wenig über den Planeten von Proxima Centauri, um ihn zu einem lebensfreundlichen Planeten zu erklären. Der Spiegel-Artikel erklärt auch, dass er mit der sogenannten Radialgeschwindigkeitsmethode entdeckt wurde (die ich hier genauer erklärt haben). Diese Methode ist wunderbar erfolgreich wenn es darum geht Planeten zu entdecken. Aber mit ihr ist es nicht möglich, die Größe eines Planeten zu bestimmen. Und selbst die Masse lässt sich nur innerhalb gewisser Grenzen bestimmen (warum das so ist, habe ich hier erklärt).
Und genaugenommen ist noch nicht einmal sicher, ob da überhaupt ein Planet ist! Der anonyme Astronom aus dem Spiegel-Artikel sagt “Wir bewegen uns an der Grenze des messtechnisch Machbaren.”. Manche erinnern sich vielleicht: 2012 wurde schon mal die Entdeckung eines Planeten in unserer Nachbarschaft verkündet; diesmal bei Alpha Centauri, der ein klein wenig weiter weg ist als Proxima Centauri. Auch da bewegte man sich an der Grenze des Messbaren und tatsächlich stellte sich der “Planet” später als Messfehler heraus.
Aber selbst wenn wir davon ausgehen, dass der Planet existiert (was ich für durchaus plausibel halte) und selbst wenn wir davon ausgehen, dass er die richtige Größe und Masse und den richtigen Abstand hat, dann wäre es dort mit hoher Wahrscheinlichkeit immer noch sehr ungemütlich. Da Proxima ein so kleiner Stern ist, muss der Planet ihm sehr nahe sein, um genug Wärme abzukriegen. Proxima ist aber auch ein sehr aktiver Stern, der immer wieder massive Aktivitätsausbrüche hat; viel stärker als unsere Sonne. Das alles macht es zweifelhaft, ob dort überhaupt lebensfreundliche Planeten existieren können (über Proxima Centauri und die Bedingungen dort habe ich hier mehr erzählt).
Das alles hindert den Spiegel aber nicht daran, gleich im ersten Absatz seines Artikels darüber zu spekulieren, wie die “Tiere und Pflanzen” auf Proximas Planet aussehen würden: “Nur mit dunkler Färbung wären die Alien-Gewächse in der Lage, das schummrige Sternenlicht für ihre Fotosynthese zu nutzen.”
Es ist schon ein ziemlich gewagter Schritt: Von der anonymen Ankündigung der Entdeckung eines Planeten dessen Existenz nicht bestätigt ist und auf dem absolut lebensfeindliche Bedingungen herrschen können zu “Alien-Gewächsen” und “exotischen Organismen” (Immerhin wird dann im weiteren Text aber noch erwähnt, dass man erst zukünftige Atmosphärenanalysen abwarten muss, um wirklich zu wissen, wie es dort aussieht). Und auch ein weiteres Standard-Element aller “Zweite Erde wurde entdeckt”-Artikel darf im Spiegel natürlich nicht fehlen: Berechnungen, wie lange denn nun Astronauten brauchen würden, um dorthin zu fliegen…
Ich habe ja schon öfter erklärt, warum mich diese Fixierung der Medien auf die “zweite Erde” so sehr stört. Einmal ist es natürlich einfach schlechter Journalismus, wenn man die Fakten auf diese Weise interpretiert und nicht berücksichtigt, dass wir noch keine Möglichkeit haben die Bedingungen auf anderen Planeten zu untersuchen. Aber es ist auch schlecht für die Wissenschaft selbst, wenn ständig die “Entdeckung” von irgendwas verkündet wird, das weder entdeckt wurde noch (derzeit) entdeckt werden kann. Denn wenn dann mal eine echte zweite Erde gefunden wird (und das wird mit hoher Wahrscheinlichkeit im nächsten Jahrzehnt passieren), dann interessiert auf einmal keinen mehr. Bzw. die Leute sind verwirrt (so wie das ja auch beispielsweise bei den ewigen “Wasser auf dem Mars!”-Schlagzeilen der Fall ist).
Vor allem aber ärgert mich eines: Dass bei der Fixierung auf die “zweite Erde” und außerirdisches Leben die ganze interessante Wissenschaft ignoriert wird! Es gibt so viel mehr über die all die Planeten da draußen im Universum zu wissen als nur ob es sich um eine “zweite Erde” handelt! Dort warten völlig andere Welten auf uns; Welten die sich massiv von der Erde und den anderen Planeten in unserem Sonnensystem unterscheiden. Ja, wir können darauf vielleicht nicht leben (was sowieso egal ist weil wir in absehbarer Zukunft keine Möglichkeit haben sie zu erreichen) – aber ihre Erforschung kann uns die grandiose Vielfalt näher bringen, die in unserem Universum herrscht!
Wenn da tatsächlich ein Planet unseren Nachbarstern umkreist, dann wäre das tatsächlich eine Sensation. Wir hätten eine wunderbare Möglichkeit, mehr über die fremden Welten zu erfahren und das ganz in unserer Nähe. Es wäre eine Sensation über die zu berichten sich lohnt. Aber wenn weiterhin das ganze Interesse der Medien nur der “zweiten Erde” gilt, dann besteht die Gefahr, dass diese Sensation – wenn sie dann irgendwann mal offiziell von der ESO verkündet wird – keinen mehr interessiert. Weil es halt dann doch nichts mit “Alien-Gewächsen” zu tun hat…
Ich bin jedenfalls schon sehr gespannt, ob, wann und vor allem was die Europäische Südsterwarte veröffentlichen wird. Eine neue Welt bei Proxima Centauri wäre großartig. Völlig egal, ob es eine “zweite Erde” ist oder nicht!
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