Im Film “Don’t Look Up” droht der Weltuntergang. Seiner Abwendung steht die massive Wissenschaftsignoranz von Politik und Gesellschaft gegenüber. Der Film ist natürlich eine überzogene Satire, die aber dennoch Bezüge zur Realität enthält. Die Corona-Pandemie hat uns das erste Mal so richtig vor Augen geführt was es bedeutet, wenn die Welt zur Bewältigung einer Krise auf die Wissenschaft und vor allem das Verständnis und die Akzeptanz der Wissenschaft angewiesen ist.
Krise aus Unwissenheit
Wir müssen nicht darüber diskutieren, ob Wissenschaft wichtig für unser Leben ist. Das ist sie und deswegen wäre es ebenso wichtig, dass möglichst viele Menschen darüber Bescheid wissen. Man kann in dieser Welt aber auch recht gut zurecht kommen wenn man keine Ahnung von den Ergebnissen und Methoden der Forschung hat. Das gilt auch für viele Krisensituationen. Wenn ein anderes Land angreift, dann braucht man Diplomatie oder Militär; gegen Terrorismus kann man (unabhängig von der moralischen/ethischen Bewertung) mit ausreichend viel Geld, Sicherheitspersonal und Überwachung ankämpfen. Wenn ein Erdbeben das Land verwüstet, kann die Politik den Katastrophenschutz alarmieren und jede Menge Geld und Ressourcen auf das Problem werfen, bis es verschwunden ist. Und so weiter: Das ist zwar jetzt alles ein wenig vereinfacht, aber im Prinzip gibt es sehr viele Krisen, die durchaus bewältigt werden können, ohne dass die Wissenschaft involviert wird. Wenn es darum geht, die Schäden eines Erdbebens zu beseitigen, dann braucht man vor allem viele Menschen und viele Ressourcen – es ist aber ziemlich egal, ob diejenigen die im Schutt schaufeln oder diejenigen die das Geld und das Material bereitstellen, Naturwissenschaft studiert haben oder an Verschwörungstheorien glauben. In einem militärischen Konflikt spielt es keine Rolle, ob die Bevölkerung den Unterschied zwischen Astronomie und Astrologie versteht oder weiß, was der Unterschied zwischen Tot- und Lebendimpfstoff ist.
Die Corona-Pandemie ist anders. Man kann sie in erster Näherung vielleicht als Naturkatastrophe betrachten. Sie ist aber insofern besonders, als dass sie erstens die gesamte Welt betrifft. Und zweitens nur dann bewältigt werden kann, wenn sich ausreichend viele Menschen ausreichend vernünftig – das heißt auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse – verhalten. Das mag trivial klingen; es lohnt sich aber, ein wenig genauer auf diese Situation zu schauen.
Pandemien gab es schon immer auf diesem Planeten. Lange bevor wir Menschen von der Existenz der Viren erfahren haben; lange bevor wir verstanden haben wie Viren uns krank machen; wie Infektionskrankheiten übertragen werden; wie man sich davor schützen kann und auch lange bevor wir gelernt haben, uns mit Impfungen dagegen zu wehren. Dieses Unwissen hat die Pandemien noch schrecklicher gemacht als sie sowieso schon waren. Aber auch mit all dem Wissen das wir jetzt haben ist Corona-Pandemie noch schlimm genug; mehr als 5 Millionen Menschen sind bis jetzt daran schon gestorben. Denn es ist zwar äußerst gut, dass wir jetzt verstehen wie ein Virus uns krank macht und welche Strategien dagegen existieren. Das allein reicht aber nicht. Es reicht nicht, wenn die Wissenschaft herausfindet, wie die Ansteckungen ablaufen wenn die Politik daraufhin nicht entsprechende Maßnahmen trifft, um die Ansteckungen zu verhindern. Es reicht nicht, wenn die Wissenschaft eine Impfung gegen die Erkrankung entwickelt, wenn die Menschen sich dann nicht impfen lassen. Die Corona-Pandemie zeigt uns mehr als deutlich, dass die Wissenschaft sich selbst nicht genug sein darf. Diese Krise werden wir nur dann bewältigen, wenn die Menschen auch verstehen, was die Wissenschaft herausgefunden hat. Und genau dieses “Verstehen” ist das große Problem.
Die (oder zumindest eine) Grundlage der Wissenschaftskommunikation ist das Erklären. Was ist ein Virus? Wie funktioniert ein mRNA-Impfstoff? Wie funktioniert die Ansteckung und wie wahrscheinlich ist eine Infektion unter bestimmten Umständen? Wie und warum funktioniert eine FFP2-Maske? Was ist der R-Wert? Und so weiter – Erklären ist wichtig. Wissenschaftskommunikation darf aber nicht einfach nur in der Übersetzung wissenschaftlicher Fakten bestehen! Wenn das so wäre, dann wäre die Situation ja recht simpel. Die Forschung forscht und immer wenn eine neue Studie erscheint, wird sie von entsprechend ausgebildeten Menschen “übersetzt” und in den Zeitungen, im Fernsehen, den sozialen Medien verbreitet. Die Gesellschaft weiß Bescheid und verhält sich entsprechend. Alles ist gut, die Welt ist gerettet.
Nur erklären ist nicht genug
Dass es so nicht funktioniert zeigt die Realität. Die Wissenschaft hat in beeindruckender Geschwindigkeit eine enorm große Menge an Wissen über die Corona-Pandemie gewonnen. Impfstoffe wurden ebenso beeindruckend schnell entwickelt. Es gibt kaum ein wissenschaftliches Thema, über das so viel so gut aufgearbeitete Information für die Menschen bereit gestellt wird; in so gut wie allen möglichen Medien. Und trotzdem stagniert die Impfquote; steigt der Widerstand gegen die Maßnahmen; werden Wissenschaftler:innen, Gesundheitspersonal und Wissenschaftskommunikator:innen nicht nur verbal sondern zum Teil auch körperlich angegriffen. Das Problem besteht nicht (nur) in fehlender Information. Es ist wichtig sie bereit zu stellen; es ist aber ebenso wichtig den Menschen zu vermitteln was Wissenschaft eigentlich ist. Wie groß hier die Defizite sind hat ja erst die kürzlich veröffentlichte Eurobarometer-Studie zur Wissenschaft gezeigt. Erschreckend viele Menschen sind der Ansicht, Wissenschaft hätte nichts mit ihrem Leben zu tun. Oder denken, die Wissenschaft habe sich nach dem zu richten, was die Mehrheit der Bevölkerung denkt. Solche Ansichten werden nicht verschwinden, wenn man nur oft genug erklärt, wie ein Impfstoff funktioniert!
Ich kann allerdings auch nicht sagen, wie man sie zum Verschwinden bringt. Wenn ich das wüsste, dann wäre ich schon längst damit beschäftigt, genau das zu tun. Ein möglicher Ansatz (der meiner persönlichen Erfahrung und Meinung entspringt, nicht durch Daten belegt und auch nicht neu ist): Wissenschaft muss nicht nur ihre Forschung kommunizieren, sondern auch sich selbst. Das heißt, dass die Wissenschaft zumindest dann wenn sie mit der Öffentlichkeit kommuniziert ihre für die Forschung notwendige abstrakte Objektivität ablegen muss. Zumindest zum Teil, aber “Die Wissenschaft” muss in der Kommunikation zu den Menschen werden, von denen sie betrieben wird, wenn sie die Menschen wirklich erreichen will. “Die Wissenschaft” darf keine abstrakte Entität sein, die abseits und außerhalb der Gesellschaft existiert. Was sie ja in der Realität auch nicht tut; “Die Wissenschaft” wird von unzähligen Menschen betrieben die so unterschiedlich sind, wie Menschen eben sind und die als Individuen auf verschiedenste Arten Teil der Gesellschaft sind. Die Virologin ist mehr als nur Wissenschaftlerin sondern geht abends im Verein Fußballspielen; der Epidemiologe betreibt nebenbei einen Podcast über Computerspiele; die Ärztin sammelt seltene Rosen in ihrem Garten und der Biologe existiert auch außerhalb der Uni und geht Bergsteigen. Beziehungsweise hätte man hier genau so gut irgendwelche Hobbys, Tätigkeiten o.ä. einsetzen können, die eher negativer konnotiert sind. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind Menschen und genau so nett oder unfreundlich wie der ganze Rest. Man wird dort nicht weniger Trottel finden als anderswo; es sind halt dann nur Trottel, die in einem bestimmten Gebiet besser Bescheid wissen als andere. Aber darum geht es eigentlich nicht. Es geht darum, dass die Wissenschaftskommunikation in den meisten Fällen für meinen Geschmack zu wenig menschlich ist.
Allgemeinverständlich zu erklären was man herausgefunden hat, ist vergleichsweise einfach. Aber sinnvolle Wissenschaftskommunikation muss auch erklären warum man sich überhaupt die Mühe gemacht hat, das herauszufinden und warum es die Menschen interessieren sollte, dass man es herausgefunden hat. Und hier kommt man mit reiner Objektivität nicht immer ans Ziel. Warum ich meine Forschungsarbeit cool finde, hat unter Umständen subjektive und persönliche Gründe, die nicht durch irgendwelche neutralen Daten belegt werden können. Wenn ich aber will, dass andere das verstehen, muss ich genau diese subjektive Motivation kommunizieren. Nur wenn ich ein Mensch bin anstatt “Die Wissenschaft” kann ein anderer Mensch nachvollziehen was ich wirklich getan habe und auch verstehen, warum das Ergebnis meiner Forschung wichtig ist – und im Fall der Coronakrise daraus entsprechend vernünftige Verhaltensweisen ableiten.
Ein Mangel an globaler Vernunft
Vielleicht ist das aber auch alles Quatsch und wir hätten genau so viel Wissenschaftsignoranz in Politik und Gesellschaft wenn die Wissenschaftskommunikation so ablaufen würde, wie es mir vorschwebt? Vermutlich wäre das so; was aber auf jeden Fall klar ist: Wir werden andere Ansätze der Wissenschaftskommunikation brauchen, wenn wir die Corona-Krise bewältigen wollen. Das Besondere an der Pandemie ist ja gerade, dass sie nicht durch eine große Entscheidung “von oben” beendet werden kann (beziehungsweise höchstens indirekt). Am Ende wird sie erst dann vorbei sein, wenn sich das Virus nicht mehr so ausbreiten und uns nicht mehr so krank machen kann wie jetzt. Dazu müssen sehr viele Menschen entsprechend individuelle Entscheidungen treffen: Die Entscheidung, sich impfen zu lassen. Die Entscheidung, Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung einzuhalten. Und so weiter – es sind persönliche Entscheidungen insofern wir sie als Personen treffen müssen. Und wir treffen sie dann auf die richtige Weise, das heißt auf eine Weise die zum Ende der Pandemie führen kann, wenn wir auch verstehen, warum wir sie treffen sollen. Dazu müssen wir nicht nur wissen, was die Forschung herausgefunden hat, sondern dieses Wissen auch akzeptieren. Das gleiche gilt natürlich auch für die Politik; all die schlechten und zu spät getroffenen Entscheidungen die hier getroffen wurden muss ich jetzt nicht extra auflisten. Die Ursache dafür ist die selbe: Auch “Die Politik” besteht ja aus jeder Menge einzelner Menschen…
Die üblichen Methoden zur Krisenbewältigung funktionieren bei der Corona-Pandemie nur bedingt. Wir können das Problem nicht einfach mit Ressourcen und Geld bewerfen, bis es verschwindet (obwohl es durchaus helfen würde, sehr viel mehr Geld und Ressourcen darauf zu werfen als jetzt!). Wir können nicht mit Polizei und Militär alle Viren verhaften und erschießen. Corona ist eine Krise, zu deren Bewältigung ein grundlegendes Verständnis für die Wissenschaft notwendig ist. Nicht nur bei einem Teil der Bevölkerung sondern überall. Genau daran scheitern wir gerade und genau daran kann auch die Bewältigung der viel größeren Krise scheitern, der wir uns gegenüber sehen. All das, was für Corona gilt, gilt für die Klimakrise noch viel mehr. Auch hier handelt es sich um eine Krise, die nicht von einem einzigen Land gelöst werden kann, sondern nur von allen gemeinsam. Selbst wenn wir in Deutschland oder Österreich alle geimpft sind, nützt uns das gar nichts, wenn die Pandemie anderswo tobt und neue Mutationen hervorbringt. Und wenn nur wir in Deutschland oder Österreich für Klimaschutz kämpfen, wird dass das Klima nicht retten. Es braucht globale Kooperation und Solidarität – was ganz für sich schon ein massives Problem ist; in so etwas sind wir ganz schlecht – und die kriegen wir sowohl bei der Pandemie als auch bei der Klimakrise nur dann, wenn den Leuten klar ist, was eigentlich gerade passiert.
Corona und der Klimawandel zeigen uns, wie Krisen aussehen, die nur durch Vernunft bewältigt werden können. All das “Machertum” und die übliche Machohaftigkeit der Politik läuft hier ins Leere; die Pandemie ist kein Waldbrand und kein Hochwasser. Es nützt nichts, wenn man demonstrantiv in Gummistiefeln durch die Gegend latscht. Populismus ist dem Virus ebenso egal wie dem Klima. Die beiden Krisen zeigen uns, wie wir daran scheitern, gemeinsam vernünftig zu sein. Die Pandemie werden wir überstehen; im schlimmsten Fall wird sie so beendet werden, wie Pandemien in der Geschichte der Menschheit immer beendet worden sind: Wenn “ausreichend” viele Menschen erkrankt und verstorben sind. Aber sie wird enden und das wird in vergleichsweise naher Zukunft passieren. Die Klimakrise wird die Welt auf Jahrzehnte hinaus beschäftigen; das was wir jetzt tun oder nicht tun wird entscheiden, wie die Welt in den nächsten Jahrhunderten aussehen wird. Unvernunft können wir uns hier nicht mehr leisten.
P.S. Selbstverständlich ist nicht alles was in der Corona-Pandemie schief gelaufen ist, auf mangelhafte Wissenschaftskommunikation zurückzuführen. Auch nicht auf fehlendes Wissen in der Bevölkerung. Das wäre zu einfach. Viele Menschen lehnen Impfung und Maßnahmen vermutlich nicht vorrangig aus Misstrauen oder Unwissen in Bezug auf die Wissenschaft ab sondern weil sie kein Vertrauen in die Politik haben; sich nicht mehr als Teil der Gesellschaft fühlen, und so weiter. In meinem Text wollte ich aber vor allem auf die spezielle Situation hinweisen, die die Wissenschaftskommunikation in den aktuellen Krisen spielt..
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