Ich weiß, es war lange sehr still hier – das lag daran, daß ich viel weg und unterwegs, privat und beruflich. Nun ist der Sommer endgültig vorbei und ich bin zurück aus 1. dem Sommerurlaub (eine wunderbar langsame Fahrt durch die Toskana, Umbrien und Latium J ), 2., aus Oslo vom Treffen der DNA-Arbeitsgruppe der ENFSI und 3., wovon ich hier auch berichten möchte, von Malta, wo ich am 23. Treffen der European Forensic DNA Working Group teilgenommen habe (Nr. 22 habe ich übersprungen, bei Nr. 21 waren wir ja in Nizza gewesen).
Malta? Ja, Malta. Warum weiß ich auch nicht. Wetter (29°C und Sonne) und Stimmung luden selbst Mitte Oktober jedenfalls nicht unbedingt zum Drinnensitzen und wissenschaftliche Vorträge Anhören ein,
doch genau das war hier zwei Tage lang zu tun und für anderes kaum Zeit.
Was mir Malta übrigens gleich von Beginn an unsympathisch gemacht hat, ist das hier:
„Malta ist das einzige EU-Land und eines der wenigen Länder weltweit, in denen eine Abtreibung in jedem Fall verboten ist, auch wenn der Fötus nicht lebensfähig und/oder das Leben der Mutter in Gefahr und/oder die Schwangerschaft das Resultat einer Vergewaltigung ist. Bei einem eigenmächtigen Schwangerschaftsabbruch drohen Frauen Gefängnisstrafen zwischen 18 Monaten und drei Jahren.“ (Wiki, 2023)
Diese EU-unwürdige Barbarei dürfte ihren Ursprung wohl in einem ungustiös hohen Katholikenanteil von knapp 94% haben (man nehme sich dort gerne ein Beispiel an Deutschland). Daß Malta zudem die fünfthöchste Bevölkerungsdichte der Welt hat, mit anderen Worten vollgestopft mit rückständigen religiösen Eiferern, macht es nicht unbedingt besser. Aber darum soll es hier nicht gehen.
Den Auftakt der von der Firma Promega ausgerichteten Tagung machte John Butler aus den USA, im Vorstand der ISFG, der in einer Keynote eine sehr beeindruckende Arbeit [1] vorstellte, die er für INTERPOL zusammengestellt und im Rahmen derer er durch ein extrem aufwendiges Verfahren aus über 4.000 die wichtigsten 768 Publikationen in 26 verschiedenen Teilbereich im Feld der Forensischen Genetik ausfindig gemacht hatte.
Ein Schwerpunkt des Treffens war dann die Vorstellung erster Ergebnisse und Erfahrungen unabhängiger Wissenschaftler mit einem neuen Kapillarelektrophoresegerät, mit dessen Markteinführung Promega das zuvor bestehende Monopol einer anderen Firma, nennen wir sie TFS, gebrochen hat und an dem deshalb erhebliches Interesse in der Community bestand. Auch meine Arbeitsgruppe hatte (als erste in Deutschland) im letzten Jahr ein solches Gerät angeschafft und ich war unter denen, die auf Malta davon berichteten. Und obwohl unser Gerät
bzw. die Kombination von Gerät und Verbrauchsmaterial noch erhebliche Kinderkrankheiten aufwies und -weist (womit ich übrigen nicht hinter dem Berg gehalten habe), sind wir doch von dem Potential des Geräts, zwei Farbkanäle mehr, insgesamt nun 8 detektieren zu können, sehr angetan. Die vorherigen Geräte konnten nur 5 oder 6 Farben detektieren. Das hat den Vorteil, daß man die STR-Systeme nun auf mehr Farbkanäle verteilen und somit kürzer und das heißt robuster machen kann, was von großem Vorteil für die Analyse durch Umwelteinflüsse beschädigter Spuren sein kann. Ich hoffe sehr, daß alles bald reibungslos läuft und wir das Ding regelmäßig in unserer Fallarbeit einsetzen können.
Ein weiterer Schwerpunkt des Meetings lag auf der forensisch-molekularbiologischen Analyse von Knochen und wie man die DNA-Extraktion und -Analyse aus diesem Material verbessern kann und ich kann ein Liedchen davon singen, daß der Versuch, brauchbare DNA, insbesondere aus alten oder extremen Bedingungen ausgesetzten Knochen zu extrahieren, einen ganz schön auf Trab halten kann. Aus dem Vortrag meines Kollegen Walther Parson, der eine lange und erfolgreiche Geschichte mit sehr alten Knochen von sehr bedeutenden Leuten hat, daß die Automatisierung der sehr aufwendigen händischen DNA-Extraktion aus Knochen nur dann vergleichbar gute Ergebnisse bringt, wenn die DNA im Knochen noch nicht zu stark degradiert ist; bei Knochen mit erheblich fragmentierter DNA, von der in Walthers Labor regelmäßig die mitochondriale DNA untersucht wird, ist und bleibt aber nach wie vor Handarbeit angesagt…
Dann gab es noch ein Update zu den “Berner Steinen” (dazu gab es ja schon in Bielefeld dieses Jahr einen Vortrag): inzwischen hatten die Berner Kollegen auch Wurfexperimente gemacht und geprüft, ob sich die Reihenfolge, mit der verschiedene Leute einen Stein berührt haben, anhand der DNA-Analyse von Mischspuren von zwei Personen auf dem Stein nachweisen lässt, um so z.B. Behauptungen der Art zu prüfen: „Ich habe den Stein nicht geworfen, ich habe ihn XY gegeben und der hat ihn dann geworfen“. Das Ergebnis der Studie war, daß sich allein anhand der DNA-Befunde diese Unterscheidung nicht sicher treffen läßt. Die individuelle Neigung von Personen, DNA-haltiges Hautmaterial abzustreifen (sog. „shedder status“), kann hier höchstens einen schwachen Hinweis geben.
Auch V. Birne, die in Bielefeld über ihre Ergebnisse bei der Analyse von sterblichen Überresten in Mexico erzählt hatte, war auf Malta dabei und berichtete ebenfalls von neuen Entwicklungen in ihrem Projekt: es gibt jetzt ein neues Kooperationsprojekt namens „ID-Mex“, an dem sich auch das auswärtige Amt und die UNFPA beteiligen, um Mexiko bei der Identifikation seiner vielen unbekannten Toten (> 50.000!), die in erster Linie durch den Krieg gegen die Drogen bzw. Kartellkriminalität getötet wurden, zu unterstützen. V. Birne beschrieb nun den erfolgreichen Einsatz eines Extraktionroboters zur Verbesserung der DNA-Extraktion aus Knochen, Nägeln und Sehnen:
Ein dritter Kollege, dessen Projekt bereits in Bielefeld von seinem Doktoranden (s.u.) vorgestellt worden war (das ich aber in meinem Bericht nicht erwähnt hatte), M. Zieger aus Bern, zeigte eindrucksvolle Ergebnisse von einer in Bern entwickelten Methode, genannt „Total Human DNA Sampling“ (THDS) [2], um Tatortfußböden großflächig abzusaugen, das aufgesaugte Material zu sichern, aufzuteilen und von jedem Segment eine DNA-Analyse durchzuführen. Die Idee ist, auf diese Weise Zellen des Täters zu finden, wenn dieser sonst nirgends, z.B. am Opfer, Zellen hinterlassen hat. M. Zieger konnte zeigen, daß die Methode sehr gut funktioniert, schnell und günstig einsetzbar ist und empfahl, sie bei Kapitaldelikten auch standardmäßig einzusetzen: man würde dann Tatorte immer sofort und bevor andere Personen dort herumlaufen, absaugen und die Absaugfilter zunächst zurückstellen und könnte bei Bedarf, z.B. wenn sonst keine brauchbaren Spuren auffindbar sind, jederzeit auf sie zurückgreifen. Sehr coole Sache!
Ganz zum Schluß gab es noch einen Überraschungsgast: Chris Phillips, ein englischer Kollege, der aber schon ewig in Santiago de Compostela (wo 2024 die ISFG-Tagung stattfinden wird) in A. Carracedos Gruppe arbeitet, war zufällig auf Malta, erfuhr von dem Kongress und fragte, ob er vorbeikommen und etwas erzählen sollte. Sollte er und tat er auch
über die Vorschläge / Empfehlungen der ENFSI zur Vereinheitlichung der Nomenklatur für STR-Allele, die mittels massiv-parallelen Sequenzierens analysiert wurden (da ist die Allelbezeichnung wegen der ganzen zusätzlichen Sequenzinformation ja viel komplexer als bei der Standard-Analyse durch elektrophoretische Auftrennung) und natürlich ist es von zentraler Wichtigkeit, daß alle forensischen Labore identische Allele identisch benennen, sonst wären DNA-Profile nicht mehr untereinander vergleichbar und damit fast wertlos.
Nach dem offiziellen Ende des Meetings hatte die ausrichtende Firma einige Kollegen und mich noch zu einer sogenannten „focus session“ gebeten; sie haben uns dort eine neue Produktidee, zu der sie schon ein paar exploratorische Experimente gemacht hatten, vorgestellt und wollten unsere Meinung, Bedenken, Interesse und Feedback dazu erhalten. Ich fand, so viel darf ich hier sagen, die Idee gut, habe ein paar Gedanken dazu beigetragen und hoffe, die Firma verfolgt das weiter : )
Insgesamt war es wieder eine schöne, ausgezeichnet organisierte aber auch produktive und inspirierende Tagung an einem ungewöhnlichen Ort, der noch dazu eine kurze Rückkehr in den Sommer bot.
Nächstes Jahr soll es im November – als krasses Kontrastprogramm – nach Tromsø gehen, das nördlich des Polarkreises liegt und wo der letzte Sonnenuntergang des Jahres am 26. November ist und die zwei Monate lange Polarnacht beginnt. Die Tage werden da also ziemlich kurz sein…
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Referenzen
[1] Butler, J. M. (2023). Recent advances in forensic biology and forensic DNA typing: INTERPOL review 2019–2022. Forensic Science International: Synergy, 6, 100311.
[2] Neves, C., & Zieger, M. (2023). ” Total Human DNA Sampling”–Forensic DNA profiles from large areas. Forensic Science International: Genetics, 102939.
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