Dass mich der Teufel reitet (keine Sorge, das ist nur ein Sprachbild – ich glaube nicht an diesen Bibelspuk), ausgerechnet nach “East meets West” (das in die Nähe von Schlangenölverkäufern, Scientology und Kadaver-Salben gestellt wurde) gleich wieder über ein Paper von Prof. Dr. Lorenzo Cohen vom M.D. Anderson Medical Center in Houston zu schreiben, weiß ich selbst. Aber andererseits finde ich den Titel seiner neuesten Studie “

The Effects of a Pre-surgical Stress Management Intervention for Men with Prostate Cancer Undergoing Radical Prostatectomy

” (ein Klick auf den Link lädt die Studie als pdf-Dokument runter), die in der aktuellen Ausgabe des Magazins Clinical Oncology veröffentlicht wurde, interessant genug, dass ich mal einen Blick reingeworfen habe. Und nö, weder Qigong noch tantrische Meditation, Akupunktur oder – was war’s nochmal? ach ja; Schlangenöl! – kommen darin vor.

Es geht um einen Versuch mit insgesamt 159 Patienten, die vor einer radikalen Prostatatoperation standen. Getestet werden sollte, ob gezielte Stressmanagement-Betreuung vor der Operation kurz- und langfristige Verbesserungen bei Depressionen, Angstzuständen etc. dieser Patienten bewirken kann. Vor allem der langfristige Teil war bisher, so schreiben die Autoren – neben Cohen und einigen seiner MItarbeiter vom M.D. Anderson Cancer Center auch der Urologe Prof. Dr. Brian Miles vom Baylor College of Medicine in Houston – bisher nicht klinisch untersucht worden.

Vermutlich gibt es keine Möglichkeit, diese Art von präoperativer Betreuung doppelt zu verblinden und mit einem Placebo zu kontrollieren (falls jemand einen gescheiten Vorschlag hat, wie es doch geht, fände ich den natürlich interessant), daher wurden die Patienten nach einer ersten Beruteilung – ca. 1 Monat vor der Operation – per Zufallsprinzip in drei Kontrollgruppen eingeteilt:

Die Männer der Stress-Management-Gruppe (SM) nahmen an zwei Einzel-Sitzungen mit einem klinischen Psychologen teil, die jeweils 60 bis 90 Minuten dauerten und in denen ihnen erst einmal Entspannungstechniken, Atemtechniken und Visualisierungsmethoden vermittelt wurden, mit denen sie sich auf die Opeartion vorbereiten sollten. All diese Techniken wurden ihnen auch schriftlich und als Trainings-Tonbandcassette mitgegeben. In der zweiten Sitzung wurde zudem der Tag der Operation gedanklich durchgespielt, anschließend hatten die Männer unter anderem die Möglichkeit, mit dem Psychologen über ihre Ängste zu reden, Strategien zum Umgang mit diesen Ängsten zu erlernen und ihre Heilungschancen realistisch einzuschätzen. Diese Gruppe nahm zudem an “Auffrischungssitzungen” mit dem Psychologen jeweils am Morgen vor der Operation und 48 Stunden danach teil.

Die zweite Gruppe kam in den Genuss von “Supportive Action” (SA) – sie verbrachten genau so viel Zeit vor und nach der Operation mit dem Psychologen wie die SM-Gruppe, der ihnen die Gelegenheit gab, sch über ihre Ängste und Probleme auszusprechen; allerdings wurde hier auf die Vermittlung konkreter Stressbewältigungs-Techniken und -Strategien verzichtet. Die dritte Gruppe – Standard Care (SC) – erhielt keinerlei psychologische Betreuung.

Auf den Verlauf der Operationen sowie eventuelle medizinische Komplikationen hatten die unterschiedlichen Stress-Maßnahmen keinen signifikanten Einfluss, soweit ich der Studie entnehmen kann. Einen beobachtbaren und (laut dem Text der Autoren) statistisch signifikanten Unterschied gab es jedoch beim Physical Component Summary (PCS), einer Messgröße innerhalb der so genannten Medical Outcome Study (letztere deckt Bereiche wie Körperfunktionen, Schmerz, Gesundheitsgefühl, soziale Funktionen etc. ab): Die Patienten der SM-Gruppe schnitten hier besser ab – sowohl kurz- als auch langfristig – als die Patienten der SC-Gruppe. Die SA-Gruppe liegt irgendwo dazwischen, aber die Unterschiede sind jeweils nicht groß genug, um sie signifikant einordnen zu können – sagen die Autoren.

Das ist natürlich keine “Stop-the-Presses!”-Erkenntnis. Dass es Patienten besser gehen dürfte, je intensiver und gezlelter sie betreut werden, hätte man sich auch ohne Studie denken können. Interessant ist aber, dass es ihnen körperlich besser geht – während sich beim psychischen Wohlbefinden kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen messen ließ. Als Nicht-Mediziner hätte ich spontan aufs Gegenteil getippt. Eine Anlyse von gleichzeitig entnommenen Blutproben, die Hinweise auf Immunreaktionen und Stresshormon-Spiegel liefern soll und vielleicht eine Antwort auf diese Frage gibt, ist derzeit noch im Gang.

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Kommentare (7)

  1. #1 Karl Mistelberger
    7. April 2009

    Das ist natürlich keine “Stop-the-Presses!”-Erkenntnis. Dass es Patienten besser gehen dürfte, je intensiver und gezlelter sie betreut werden, hätte man sich auch ohne Studie denken können. Interessant ist aber, dass es ihnen körperlich besser geht – während sich beim psychischen Wohlbefinden kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen messen ließ. Als Nicht-Mediziner hätte ich spontan aufs Gegenteil getippt. Eine Anlyse von gleichzeitig entnommenen Blutproben, die Hinweise auf Immunreaktionen und Stresshormon-Spiegel liefern soll und vielleicht eine Antwort auf diese Frage gibt, ist derzeit noch im Gang.

    Bei der Bewertung solcher Ergebnisse sollte man berücksichtigen, wie sie zustande gekommen sind. Dann ist die Verwunderung nicht so groß: Why Most Published Research Findings Are False

  2. #2 Jörg
    7. April 2009

    Nein, Jürgen, du hast die Kritik an deinem letzten Artikel nicht verstanden. Das war nämlich
    1) die Behauptung dass solche begleitende Behandlungen keine Medizin seien. Das halte ich schon für fast dramatisch falsch, es bildet jedenfalls die Basis für alle möglichen schlimmen Ableitungen
    2) aus dieser falschen Basis plus jede Menge logischen Fehlschlüssen, vor allem
    – ad ignorantiam: Wissenschaft kann auch (noch) nicht alles bewältigen
    – ad misericordiam: Die arme Mutter von vier Kindern mit Brustkrebs
    leitest du dann irgendwie her, dass die Untersuchung von Qi Gong und Akupunktur irgendetwas besser machen könne. Und angeblich gäbe es Evidenz dafür, jaja, ganz tolle und die ignoranten Wissenschaftsjünger sehen die nicht.

    Aber hier geht es um Stressbewältigung, und egal was rauskommt, das kann man ja untersuchen. Aber deswegen weil man Stressbewältigung untersucht, und NICHT weil man Akupunktur oder Qi Gong untersucht. Und hier wurde ja auch gottseidank kein ethisch bedenkliches Energieverströmen zur Stressbewältigung eingesetzt, sondern psychologische Betreuung.

    Warum also die schnippischen Kommentare am Anfang des Artikels?

  3. #3 Ronny
    7. April 2009

    @Jörg
    Emotionen hat jeder und kontroverse Diskussionen werden erst so richtig interessant wenn ein bißchen die Contenance verloren geht, da die Menschen dann tendieren ihre wahre Einstellung einzubringen.

    @Autor
    Interessanter Effekt, vielleicht dadurch bedingt, dass die Menschen durch die Stressbehandlung körperlich entspannter in die Situation gingen aber die Psyche ja aufgrund der nicht veränderten Situation nicht nachzieht. Ich stelle mir das so vor: Da ist jemand der mir hilft und damit fühle ich mich besser, aber die Angst bleibt.

  4. #4 Jürgen Schönstein
    7. April 2009

    @Jörg
    Lies doch bitte nich einmal genau, was ich zu Akupunktur und Qigong geschrieben hatte. Von Energieverströmungen war da nie die Rede … Und nein: Psychologie ist, soweit ich weiß, keine Medizin, Ernährungswissenschaft ist keine Medizin, Gymnastik ist keine Medizin – fast alles, was unter die postoperative Betreuung fällt, ist keine Medizin. Es unterstützt die medizinische Behandlung, ist aber selbst keine. Es ist eine Sache zu behaupten, dass Bewegung gesund ist, eine andere, dass Bewegung Medizin ist. Was Du schnippisch nennst war lediglich der Ausdruck einer Verwunderung darüber, wie schnell einem Worte in den Mund gelegt werden können …

  5. #5 Jürgen Schönstein
    7. April 2009

    @Jörg
    Noch etwas in Deinem obigen Kommentar muss ich korrigieren: Nicht ich habe “ad ignorantiam” argumentiert – das Argument, dass man manchmal eben nicht mehr tun könne, wurde gegen meine (vermutete) Position ins Feld geführt. Den Versuch, wissenschaftlich etwas zu entschlüsseln, für das es bisher nur folklorische Indizien gibt, halte ich eben nicht für “ignorantia”, sondern fürs Gegenteil. Und von wegen “ad misericordiam” (müssen wir hier wirklich alle Vokabeln im Lateinwörterbuch durcharbeiten?) – wer lesen kann/will, wird schnell nachvollziehen, dass der Hinweis auf real existierende Patienten gar nicht als Argument für oder gegen eine Behandlungs- oder Betreuungmethode gemeint sein konnte (kam nämlich ganz zum Schluss, in einem klar erkennbaren Zusammenhang), sondern als Erklärung dafür, warum ich glaube, dass wir Gesunden manchmal gar nicht in der Lage sein können, die Gefühle und Entscheidungen der Krebskranken nachzuvollziehen – und dass es daher manchmal besser ist, sich bei der Beurteilung dieser Entscheidungen zurück zu halten. Aber wir können die Diskussion hier natürlich fortsetzen – ad infinitum, ad nauseam, ad rotationem (immer auf der Stelle drehend), ad libitum, ad absurdum, ad collapsum …

  6. #6 erich egermann
    7. April 2009

    @ Schönstein: !! ?? Psychologie , Gymnastik , Ernährungswissenschaft ist Keine Medizin ?? !! Ja was habe ich dann die letzten 25 Jahre lang gemacht ??? Wozu habe ich mir bei all den übergewichtigen diabetischen Patienten den Mund franzig geredet? ?? , ? Wozu habe ich dann die ganze Psychatrie und GruppenDynamik Fortbildung gemacht ????? Warum tu ich mir jeden Winter meine WirbelsäulenGymnastikGruppe an , der ich jedesmal vom Bewegungsapparat als Hauptursache der Frühpensionierungen erzähle, und daß man was dagegen aktiv tun kann. ??
    War das alles “Keine Medizin” ????
    Lieber Herr Schönstein, Sie haben doch etwas eigenartige Vorstellungen von meinem Beruf .

  7. #7 Jürgen Schönstein
    7. April 2009

    @erich egermann
    Niemand sagt, dass diese Dinge nicht relevant für die Gesundheit sind. Aber es geht den Kommentatoren hier ja regelmäßig um die Medizin als Wissenschaft, als Forschungsbereich. Und nein, ich glaube nach wie vor nicht, dass ein Psychologe ein Mediziner ist, dass ein Gymnastiklehrer ein Mediziner ist, dass ein Diätkoch ein Mediziner ist … als Mediziner müssen Sie auch Krankenakten führen und Praxisabrechnungen machen, trotzdem ist Buchhaltung keine Medizin. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will Ihre Kompetenz auf all diesen Gebieten nicht eine Mikrosekunde in Frage stellen, und vermutlich kann ich mir nur wünschen, dass ich – sollte ich einen Arzt brauchen – an jemanden mit dieser breiten Wissensbasis gerate (auch das ist ernst gemeint, ohne jeglichen Sarkasmus). Aber Sie würden sich sicher auch verbitten, wenn sich oben genannte Diätköche, Psychotherapeuten oder Gymnastiklehrer als Mediziner bezeichnen würden, vermute ich. Ich denke schon, dass ich meinen Standpunkt, dass nicht alles, was mit Gesundheit zu tun hat, automatisch den akademischen Standard von Medizin erfüllt, mit plausiblen Begründungen vertreten kann. Andernfalls wären nämlich all die Quacksalber und Heilsversprecher, die ja oft auch nicht viel mehr als verkleidete Gesundheitstipps zu bieten haben, auch berechtigt, sich “Mediziner” zu nennen