Als Erdwissenschaftler (Geograph, um genau zu sein) erfasst mich immer wieder mal ein Anflug von Genugtuung, dass es eben nicht Kepler, Galilei, Newton oder andere Giganten der frühen Astrophysik waren, die aus der Tiefe des Raums auf eine Tiefe der Zeit schlossen. Sondern die bescheidenen Steineklopfer, die mit gesenktem Blick am Boden direkt unter ihren Füßen ferne Urwelten entdecken.

Sie mussten ihre verwegenen Theorien gegen scheinbar unüberwindliche Widerstände behaupten, gleichsam mit dem Kopf durch die Felswand. Die Widerstände kamen nicht nur von der Kirche, sondern von einer der größten wissenschaftlichen Autoritäten ihrer Zeit. In einem Artikel für Macmillan’s Magazine, erschienen am 5. März 1862, hatte kein geringerer als Sir William Thompson, der Nachwelt besser bekannt als der mit akademischen Ehren höchstdekorierte Lord Kelvin, das Alter der Sonne auf maximal 20 Millionen Jahre datiert. Diese Rechnung beruhte auf der Theorie, dass die Sonne ihre Strahlungsenergie aus einem Dauerfeuer von Meteoriteneinschlägen beziehe. Die Verbrennung reinen Kohlenstoffs – damals effizientester chemischer Vorgang angesehen – hätte sogar nur für 3000 Sonnenjahre gereicht.

Erst die Entdeckung der Radioaktivität, genauer gesagt: Ernest Rutherfords Überlegungen zum radioaktiven Zerfall als “Treibstoff” der Sonne, ein knappes halbes Jahrhundert später, schob diesen wissenschaftlichen Stolperstein beiseite und ebnete der Tiefenzeit den Weg.

Hutton glaubte an eine unendliche Erdgeschichte. “Wir finden keine Spur eines Anfangs, keine Aussicht auf ein Ende”, schrieb er in einem Aufsatz, den er 1788 der Royal Society of Edinburgh präsentierte. Inzwischen weiß man, dass es einen Anfang gegeben haben muss, und dass ein Ende durchaus plausibel ist. Seit 4,54 Milliarden Jahren besteht, nach unseren heutigen Erkenntnissen, jener felsige Körper, der als dritter Planet um unser Zentralgestirn kreist und den wir Erde nennen.

Und so kommen wir also zum Nuvvuagituq-Grünsteingürtel zurück: „Superior-Kraton” wird dieser Teil des uralten Kontinentalschildes bezeichnet, der das Herzstück der nordamerikanischen Platte bildet. Als sich die Amphibolite und anderen Mineralien formten, aus denen er besteht, war die Erde gerade mal 260 Millionen Jahre jung. Zugegeben, über das genaue Alter wird man unter Wissenschaftlern sicher noch lange streiten. Der Geologe Don Francis, Professor an der kanadischen McGill-Universität ist gemeinsam mit seinem Doktoranden Jonathan O’Neill Verfasser eines “Science”-Artikels, in dem er das Alter des Grünsteingürtels zu bestimmen versuchte. Selbst diese Forscher räumen einen Spielraum von 3,8 bis 4,28 Milliarden Jahren ein, der aus der Ungewissheit resultiert, ob die Datierung durch den radioaktiven Zerfall von Samarium-Isotopen zu Neodym wirklich das Alter der metamorphen Formation selbst oder “nur” einiger Ausgangsmineralien bestimmen kann. “4,28 Milliarden ist die Zahl, die ich bevorzuge”, gibt Francis freimütig zu. Nicht jede Hypothese lässt sich eben sofort beweisen, das ging schon Hutton so. Fruchtbar war seine Vermutung einer Tiefenzeit dennoch.

Es ist nicht ohne wissenschaftliche Pointe, dass die Tiefe der Zeit, die Hutton einst aus der Erkenntnis des stetigen Wandels der Erdoberfläche folgerte, ausgerechnet in der flachen Weite der östlichen Hudson Bay sichtbar wird, wo sich eine Felsplatte seit mehr als vier und einem Viertel Milliarden Jahren ohne geologische Verformung erhalten hat. Anders als der Grand Canyon Arizonas, in dem selbst ein Laie – sofern er nicht überzeugter Junger-Erde-Kreationist ist – den sprichwörtlichen “Zahn der Zeit” nagen spürt, bietet sich der Nuvvuagittuq-Gürtel den Sinnen eher als eine Metapher der Ferne denn der Tiefe an.

“Zu wissen, dass dies die ältesten Felsgesteine der Welt sind, macht es zu etwas Besonderem”, beschrieb der Mit-Entdecker O’Neil sein beinahe ehrfürchtiges Gefühl, als er im Sommer 2008, nach der wissenschaftlichen Datierung des Gesteins, erstmals wieder den Grünsteingürtel betrat.

Er wird wohl noch oft zurückkehren müssen, denn es scheint, als ob Nuvvuagittuq noch einiges zu offenbaren hat. Die McGill-Forscher sind sicher, dass die Formation, aus der sich der Gesteinsgürtel gebildet hat, auf dem Grunde eines urzeitlichen Meeres abgelegt wurde, die nur gut eine Viertelmilliarde Jahre junge Erde also schon eine Hydrosphäre besaß.

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Kommentare (4)

  1. #1 rolak
    14. Juni 2010

    ^^Was für eine Wissenspilgerstätte hat denn der Wizard of Woz beschrieben? Die alte Apple I/II-Garage? 🙂

  2. #2 Jürgen Schönstein
    14. Juni 2010

    @rolak
    Nee, nicht wirklich. Woz verrät, dass sie die garage von Jobs Eltern primär als Kulisse für Gespräche mit Interessenten verwendet hatten, weil sie sich damit bewusst and den Mythos der Hewlett-Packard-Garage anlehnen wollten. Aber gearbeitet hatten sie eigentlich in Jobs Zimmer.

  3. #3 rolak
    14. Juni 2010

    So war das ja auch von mir ‘benutzt’, als MythenMantra – aber sag bloß, er schreibt tatsächlich über die PC-Anfänge? Oder fängt er mit den -evtl realen- durch Cap’n Crunch inspirierten BlueBoxes an? Es gibt auch eine (geschauspielerte) ‘Doku’, also eher eine Mythensammlung aus den Gründerzeitjahren bei Apple und Microsoft, mir fällt allerdings gerade nicht ein, wie sie heißt. Wie nah sie der Wahrheit kommt ist auch egal – sie ist zum Brüllen komisch.
    Na mal schauen, vielleicht finde ich dieses Buch ja irgendwo zum Einsehen, oder mein Interesse steigt bis zum Kaufentschluß 😉

  4. #4 rolak
    17. Mai 2011

    Rein zufällig bzw richtigerweise für mich überraschend vorbeikommend, kann ich doch schnell mal den Namen durchgeben. Die Datei hat sich nämlich zwischenzeitlich wieder gefunden, war -wie in solchen Fällen typisch- zu uninformativ benannt, falsch einsortiert und zulange nicht gesucht worden.. “Die Silicon Valley Story” bzw original “Pirates of Silicon Valley”, lief 2007 auf arte.
    Falls Interesse besteht…

    Das Unzufällige ist übrigens das schnell-Nachinformieren wegen dem Artikel