So. Und spätestens hier ensteht eine Informationsdiskrepanz, die für eine “echte” VT einfach unverzichtbar ist – einerseits die Augen- und Ohrenzeugenberichte von seriösen Personen, andererseits das Dementi “nie passiert” von den Behörden. und hier kommt noch ein kleines, aber auch typisches VT-Element dazu: die zeitliche Inkongruenz.

Zeitliche Inkongruenz? Das könnte beispielsweise bedeuten, dass jemand in Deckung geht, noch ehe er/sie wissen kann, dass gleich Schüsse fallen. Oder Personen, die eigentlich erst nach einer Ereignis zum Schauplatz gerufen werden dürften, aber sich bereits vorher einfinden. In diesem Fall war es das Dementi, noch ehe der Vorgang publik wurde: Einer der Wachleute, nennen wir ihn Virgil, hatte seine Schicht etwa zwei Stunden vor der Ankunft Bushs, am Nachmittag des 10. September beendet. Als er dann am folgenden Tag (also nach dem angeblichen Vorfall) zum Dienst erschien, wurden er und seine Kollegen von ihrem Vorgesetzten darüber informiert, dass es sich bei dem Kastenwagen-Zwischenfall um ein unwahres Gerücht handle. Der Haken ist: Das war viele Tage bevor der Artikel im Longboat Key Observer erschien – also bevor das “Gerücht” überhaupt erst in die Welt gesetzt wurde. Was wiederum als Bestätigung interpretiert werden könnte, dass die Sache passiert sein muss und eben nicht einer Reporterfantasie entsprungen ist.

Und nun sind alle Elemente beisammen. In ihrer polierten Endfassung könnte diese “Verschwörungstheorie” etwa so aussehen:

Al-Kaida plant einen großen Kombinationsschlag: Der Präsident, das Weiße Haus, das Pentagon, die Türme des World Trade Center – also die wichtigsten Symbole amerikanischer Macht – sollen auf einen Schlag ausgelöscht werden. Eine Zelle in Florida, die sich dort mit Flugstunden auf die Anschläge vorbereitet, erfährt, dass Bush am 10./11.September 2001 in einem vergleichsweise ungesicherten Hotel in ihrer Nähe übernachten wird. Das macht ihn zu einem erheblich leichteren Ziel, als wenn er sich im Weißen Haus befindet. Damit steht der 11. September als Attentatstermin fest. Neben den Luftanschlägen wird ein weiteres Selbstmordattentäter-Team mit einem Kastenwagen voller Sprengstoff auf das Hotel angesetzt – wenn es nur gelingt, die erste Schranke zu durchbrechen, dann genügt der Sprengstoff (man denke an Timothy McVeigh und Oklahoma City) auch auf Distanz, um das Gebäude, in dem sich Bush aufhält, in Trümmer zu legen. Doch der Plan geht nicht ganz auf: Die Attentäter lassen sich an der Schranke abblitzen, oder erkennen, dass es unmöglich wäre, nahe genug an den Hotelkomplex heranzufahren. Doch sie haben Glück: Der Secret Service macht den Fehler, sie dennoch unbehelligt ziehen zu lassen.

So. Und damit die Tragödie vollends rund wird, hängen wir noch den Schlussgedanken an: “Wer weiß, was passiert wäre, wenn der Secret Service nicht geschlampt hätte – wenn sie die Männer festgehalten und verhört hätten. Vielleicht wäre dann noch Zeit gewesen, das Komplott aufzudecken und die Anschläge zu verhindern.”

Aber dieses ganz Szenario hängt von einem einzigen Faktor ab: Dass tatsächlich zwei Attentäter in dem Kastenwagen saßen. Und dafür gibt es keinen Beweis – eigentlich nicht mal einen Hinweis. Es hätten genauso gut zwei Schüler einer lokalen Oberschule sein können, die den Präsidenten für ihre Schülerzeitung interviewen wollten und nur keine Ahnung hatten, wie sie das einfädeln müssen. Oder zwei Blogger. Und vielleicht waren die beiden Männer, die “Nieder mit Bush” riefen, keine Araber, sondern Lateinamerikaner? Oder aus der Bronx? Wer weiß es zu sagen …

Ohne diese Verknüpfung wär’s aber keine Story. Doch dieses Defizit füllt nun, ungewollt (vielleicht), der Secret Service auf: Das Dementi, gepaart mit einer typischen “Men in Black”-Operation (Beschlagnahme von Unterlagen, Einschüchterung von Zeugen), wirkt überzeugender als jedes Faktum. “Die haben was zu verbergen, also muss was dran sein” – so etwa lautet die Standard-VT-Schlussfolgerung. Und zu verbergen hatte sie gewiss etwas, nämlich die Schlamperei des Teams vor Ort, das den Kastenwagen wegfahren ließ, ohne die Insassen zu überprüfen. Ein ziemlich schwerer Vorwurf, vor allem, wenn man bedenkt, was sonst noch an diesem Tag passiert ist. Das ist, meiner Ansicht nach, der Grund für den Cover-up: Eigene Fehler decken.

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Kommentare (14)

  1. #1 MartinS
    27. April 2011

    Sehr schöne, erschreckende Story und eine prima Darstellung, wie Gerüchte / VTs entstehen.
    Wieviele Journalisten und Chefredakteure würden aber für den Umsatz nicht so etwas auch schreiben?! Und sind es nicht meist journalistische Meldungen, die überhaupt erst die Bestandteile einer potentiellen VT unters Volk bringen?
    Das soll jetzt wirklich nicht persönlich gemeint sein, aber sind es nicht wirklich die unrecherchierten Meldungen, die den Samen legen?
    (Wobei Journalisten oft auch einfach nur den Quellen unabsichtlich blind vertrauen! Z Bsp bei den angeblich verschwundenen Brennstoffkugeln aus Jülich, bei der die Informationen ja immerhin aus einem Ministerium kam.)

  2. #2 cydonia
    27. April 2011

    Gutes Beispiel, gut geschrieben.
    Ich denke aber, dass eine echte, auf Hochglanz polierte VT noch einiges mehr zu bieten hätte. Das ist mir noch viel zu nüchtern, als sie Wirkung entfalten könnte….Ich überlege gerade, welches Element man einfügen könnte, damit sie wirklich zündet.

  3. #3 MartinS
    27. April 2011

    @cydonia

    Ich überlege gerade, welches Element man einfügen könnte, damit sie wirklich zündet.

    Hat Dich endlich ‘auch’ der dämonische VT-Virus erwischt? 🙂
    Jürgen hat doch das ‘missing link’ selbst angesprochen:

    Aber dieses ganz Szenario hängt von einem einzigen Faktor ab: Dass tatsächlich zwei Attentäter in dem Kastenwagen saßen.

    Im Zuge der Story bräuchte man nur die naheliegende Vermutung zu äußern, dass es Terroristen waren – et voilá!
    Die VT ist rund!
    Als Sahnehäubchen mag man noch hinzusetzen, dass die beiden vermutlich – wie damals bei Kennedy -vom CIA waren! Das untermauert doch schön?!

  4. #4 cydonia
    27. April 2011

    Die beiden waren…….und jetzt kommts…….Bush Senior und Donald Rumsfeld!
    Beide wollten Bush Junior über den Fortgang der Operation “Twin Towers” unterrichten. Man hat sie deswegen nicht reingelassen, weil es dann zu offensichtlich geworden wäre, wer 9/11 geplant hat. Die Gründe dafür sind eh klar.
    CIA und FBI haben dann dafür gesorgt, dass beide durch Schminke in Araber verwandelt wurden….und wer weiß, wer wirklich hinter Obamas Maske steckt……
    Nein Martin, das ist mir echt zu blöd, stelle ich gerade fest 🙂 Macht ihr mal……

  5. #5 MartinS
    27. April 2011

    @cydonia
    Ne,ne! Ich mache (fast) nicht mehr mit. Hin und wieder juckt es zwar in den Fingern, aber dann verschwinde ich meist schnell genug im ‘Affenkäfig’ 🙂
    Manche VTler sind aber auch zu putzig in ihrer Überzeugung und breiten dabei ihre Ignoranz so freigiebig aus, dass es schon fast schmerzt. Dann reizt es mich schon eine ‘Gegen-VT’ zu entwerfen, die noch etwas absurder ist.
    VT-Anhänger schlucken aber leider ALLES, was irgendwie für ihre Idee ‘zielführend’ ist, weil sie immer auf der Suche nach Gleichgesinnten und/oder neuer Nahrung für ihre fixe Idee sind. Cherry-picking ist dabei essentiell und die Idee an sich verselbstständigt sich zu einer kruden Form von Besessenheit. Man glaubt lieber an unsinniges Zeug als die Idee aufzugeben. Das Loch in der eigenen Überzeugung, wäre wahrscheinlich zu groß und der befürchtete Verlust an Selbstrespekt zu bedrohlich.
    Wer einmal in dem Teufelskreis steckt, kommt da alleine wahrscheinlich nicht heraus.

  6. #6 Jürgen Schönstein
    27. April 2011

    @MartinS

    Das soll jetzt wirklich nicht persönlich gemeint sein, aber sind es nicht wirklich die unrecherchierten Meldungen, die den Samen legen?

    Gewiss. Drum hatte ich ja, so gut es ging, recherchiert (womit man manchhmal auch feststellen kann, was man nicht sagen und schreiben kann, wenn man bei den Fakten bleiben will). Und als Resultat der Recherche ist die Story auch nie in FOCUS erschienen …

  7. #7 BreitSide
    27. April 2011

    Die gutste Twin-Shores-Managerin wurde hoffentlich “vergattert” und schon gar nicht “begattert”…

    (/Korinthenkack)

  8. #8 Marco S
    29. April 2011

    Und der will folgendes Szenario überhört haben…

    to overhear und überhören sind nicht das gleiche 🙂
    (eher genau das Gegenteil)

  9. #9 Jürgen Schönstein
    29. April 2011

    @Marco S
    Stimmt, da ist mir ein Amerikanismus durchgerutscht – gemeint ist “zufällig mit angehört”.

    @BreitSide
    Die gekackte Korinthe ist – mit Schlieren, damit noch jeder weiß worum’s ging – aufgewischt.

  10. #10 ChamplooMK2
    29. April 2011

    Um die Sache noch etwas Interessanter zu gestalten:

    Es gibt 3 Zeugenaussagen die Mohammed Atta und Marwan Alshehhi am 07.09.01 im hiesigen Holiday Inn Hotel & Suites gesehen haben möchten die sich dort mit einem dritten, augescheinlich Arabischstämmigen, Mann getroffen haben.

    Atta hatte seine Spendierhosen an und gab eine 20$-Note für eine 4$ Rechnung, der Rest war Trinkgeld.

    Sehr Mysteriös das ganze, hm.

    Hier mal ein Quelle dafür:

    https://classic-web.archive.org/web/20021209013255/https://www.longboatobserver.com/showarticle.asp?ai=2172

  11. #11 s.s.t.
    29. April 2011

    Eine ausführliche Schilderung wie sich eine VT entwickeln und verbreiten kann, findet sich hier:
    https://einestages.spiegel.de/static/topicalbumbackground/22620/aus_versehen_in_der_hoelle.html

    ‘Als die Sowjets die Hölle anbohrten und die Schreie der Verdammten hörten.’

  12. #12 Jürgen Schönstein
    29. April 2011

    @ChamplooMK2
    Da es sich um den gleichen Reporter handelt, könnte es auch einen “confirmation bias” in der Story geben. Will heißen: Überall in Amerika gibt es Leute, die Atta und Alshehhi vor oder manchmal auch nach den Anschlägen gesehen haben wollen. Ich sage nicht, dass der Bericht falsch ist, und möglich ist sowieso vieles. Aber dies Art von Augenzeugenbericht – “ich vergesse nie ein Gesicht” ist vermutlich einer der häufigsten Irrtümer, der vor gericht und anderswo begangen wird – beweist leider nichts. Und unter normalen Umständen hätte der Reporter die Sache vermutlich nicht mal aufgegriffen, wiel sie die Mindestschwelle für Fakten und Relevanz nicht erreicht hätte – aber so, und vor allem nach seiner eigenen “Enthüllung”, bekam die Sache eine Dynamik, unter der die Objektivität sehr schnell leiden muss.

  13. #13 BreitSide
    29. April 2011

    Jürgen Schönstein·
    29.04.11 · 19:10 Uhr

    @Marco S
    Stimmt, da ist mir ein Amerikanismus durchgerutscht – gemeint ist “zufällig mit angehört”.

    @BreitSide
    Die gekackte Korinthe ist – mit Schlieren, damit noch jeder weiß worum’s ging – aufgewischt.

    🙂 schreibe ich jetzt richtig “I overread this”?

    Find ich übrigens sehr sympathisch, wie viele (die meisten? Alle?) SBler solche Sachen sichtbar streichen und nicht einfach ausradieren, obwohl es Viele gar nicht merken würden.

  14. #14 Jürgen Schönstein
    29. April 2011

    @BreitSide
    Dafür gibt’s vermutlich gar keine Regeln. Ich selbst handhabe es so: Wenn ich beim Wiederlesen einen Tipp- der sonstigen Fehler bemerke, der anscheinend sonst noch niemandem aufgestoßen ist, dann ändere ich den “heimlich” – aber wenn ein(e) Leser(in) ihn bemerkt hat und dies kommentierend mitteilt, dann wird mit deutlicher Sichtbarkeit redigiert. Allein schon, weil sonst niemand mehr verstehen würde, was der kritische Kommentar sollte und die aufmerksamen Leser(innen) dann wie bescheuerte Nörgler dastehen würden.