Eine der vorhersagbaren Reaktionen auf die blutigen Ereignisse in Libyen war von dem Tenor: Die Macher des Videos darf man nicht dafür verantwortlich machen, dass der libysche Botschafter und mehrere seiner MitarbeiterInnen von einem – von gewaltbereiten Extremisten unter Ausnutzung der zu erwartenden Emotionen angestachelten – Mob ermordet wurden. Schließlich hätten sie ja nur von ihrem Recht auf freie Rede Gebrauch gemacht; wenn andere darauf mit Gewalt reagieren, sei dies ausschließlich deren Schuld.
Puuuh! Welch ein B…s…! (Diese Formulierung ist übrigens durch meine Meinungsfreiheit geschützt und als solche, nach dieser Logik, unangreifbar.) Als ob die “Schuld” an einem Geschehen eine fixe Größe wäre, und wenn man Partei A davon zuteilt, bleibt automatisch weniger für Partei B übrig. So ein Schwachsinn! (Verzeihung, aber auch die hartgesottendste Galle läuft mal über, und der fassungsfähigste Kragen platzt.) Man kann sowohl Partei B die volle Verantwortung für eine Gewalttat geben und auch Partei A eine große Mitschuld einräumen. Wenn ich jemandem aufs Maul haue, weil ich einen Hass auf ihn habe, dann habe ich keinerlei mildernde Umstände zu erwarten. Aber das heißt nicht, dass der- oder diejenige, die mich – mit falschen Informationen, beispielsweise – zu dieser Gewalttat aufgehetzt hat (“Ey, der Typ da hat gesagt du siehst aus wie ein Schwein! Und das lässt Du Dir gefallen?”), automatisch unschuldig sein muss. So geht Verantwortung nicht, auch wenn sich manche dies so wünschen (weil ihnen das System der Schuldzuweisung, die automatisch zu einer Schuldreduzierung beim Zuweisenden führt, offenbar sehr genehm ist).
Nochmal: Die Herleitung, dass aus der Feststellung, dass die Aufhetzer = die Macher (wer auch immer das sein mag, dazu gleich mehr) und gezielten verbreiter des Videos hier eine schwere Mitverantwortung tragen, eine Schuldminderung der Gewalttäter folgern muss, ist weder logisch noch juristisch haltbar (und wird auch nie in einer Urteilspraxis reflektiert: Wenn zwei Menschen gemeinsam einen Dirtten ermorden, kriegt ja auch nicht jeder nur die Hälfte der Strafe ab, oder?) Aber während die Schuld und Verantwortung der Gewalttäter in Libyen nie in Frage stand, sollen der Hassprediger Terry Jones und die obskuren Macher des Clips “Innocence of Muslims” lediglich ein demokratisches Grundrecht ausgeübt haben? Wo sie doch nur, ganz harmlos, über den Islam diskutieren wollten?
Erst mal zu den obskuren Machern: Den angeblichen Filmemacher Sam Bacile gibt es entweder nicht, oder es verbirgt sich jemand ganz anderer dahinter. Soviel ist inzwischen wohl durchgesickert. Ob es tatsächlich einen (abendfüllenden?) Film gibt oder ob der Clip schon alles war, was die Macher produzieren wollten, ist auch nicht eindeutig geklärt, aber letzteres ist wahrscheinlicher. Und der Zweck dieses Clips war nicht Aufklärung oder die Anregung einer Diskussion – er war zur Provokation just jener Gewalt konzipiert, die er dann ja auch entfacht hat. Wer sagt das? Die bisher einzige Person, die eindeutig eine Rolle bei der Entstehung des Clips hatten – der Versicherungsvertreter Steve Klein aus Hemet in Kalifornien (der origineller Weise dafür kämpft, dem Islam den Schutz der Meinungs- und Religionsfreiheit zu entziehen). Gegenüber der New York Times prahlte Klein, der sich als Berater und Produzent ausgibt:
Mr. Klein — an insurance salesman in Hemet, Calif., a small town two hours east of here — proclaimed the video a success at portraying what he has long argued was the infamy of the Muslim world, even as he chuckled at the film’s amateur production values.
“We have reached the people that we want to reach,” he said in an interview. “And I’m sure that out of the emotion that comes out of this, a small fraction of those people will come to understand just how violent Muhammad was, and also for the people who didn’t know that much about Islam. If you merely say anything that’s derogatory about Islam, then they immediately go to violence, which I’ve experienced.”
Klein, ein Versicherungsvertreter in Hemet, Kalifornien, einer Kleinstadt zwei Stunden östlich von hier – nannt das Video einen Erfolg, weil es porträtiert, was er seit langem schon als die Infamie der moslemischen Welt bezeichnet, auch wenn er über die amateurhafte Produktionsqualität kichert. “Wir haben die Leute erreicht, die wir erreichen wollten”, erklärte er in einem Interview. “Und ich bin sicher, dass ein kleiner Teil dieser Leute aus der daraus resultierenden Emotion erkennen werden, wie gewalttätig Mohammed war, und auch die Leute, die nicht so viel über den Islam wussten. Wenn man nur etwas Abfälliges über den Islam sagt, dann werden sie gleich gewalttätig, wie wir erlebt haben.
Nach wohlgemeinter und unschuldiger Aufklärung klingt das nicht. Und allen, die schnell mit dem Argument der feien Meinungsäußerung kommen, sei ins Stammbuch geschrieben: Die entbindet mich nicht von der Verantwortung für das, was ich da absondere. Es ist auch mein Recht, Auto zu fahren – aber wenn ich einen Unfall dabei verursache, muss ich mich der Verantwortung stellen. Wer also – wie hier in den Kommentaren – wieder die kaputte Platte abspielen will, dass ich damit die Gewalttäter verteidige, der braucht a) nicht auf eine rechtfertigende oder klärende Antwort zu hoffen, die habe ich hier nun schon mehrfach gegeben, und der stellt b) nur für jederfrau und -mann sichtbar zur Schau, dass er/sie nicht lesen bzw. Gelesenes verarbeiten kann. Okay?
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