Die Nachricht, die Galileo Galilei Ende Juli 1610 an seinen Kollegen Johannes Kepler schickte, war im wörtlichen Sinn kryptisch: smaismrmilmepoetaleumibunenugttauiras stand da – Galileo verschlüsselte seine Erkenntnisse gerne als Anagramme. Kepler wusste dies (und er war offenbar ganz gut darin, solche Rätsel zu lösen), doch im ersten Anlauf machte er einen erstaunlichen Fehler: Seine erste Lösung lautete Salve umbistineum geminatum Martia proles, zu Deutsch etwa: Seid gegrüßt, (feurige? freundliche? irgendwas) Zwillinge, Sprösslinge des Mars – woraus Kepler folgerte, dass Galileo ihm die Existenz zweier Marsmonde mitteilen wollte; doch die eigentliche Botschaft sollte heißen Altissimum planetam tergeminum observavi – etwa: Ich habe den äußersten Planeten dreigestaltig gesehen (womit Galileo auf die Ringe des Saturn anspielte, die er als erster Mensch mit seinem selbstgebauten Teleskop sehen konnte und die den Planeten, je nach Position, verschieden aussehen ließen). Die Episode – hier sehr ausführlich nachzulesen – gehört zum Grundstock akademischer Folklore: Kepler hatte die Existenz zweier Marsmonde seither postuliert, und tatsächlich entdeckte Asaph Hall rund 270 Jahre später die zwei Mars-Satelliten Phobos und Deimos. Der Irrtum wurde zur Tatsache.
Schöne Anekdote, nicht wahr? Aber warum steht sie hier? Dafür gibt es gleich mehrere Gründe, aber der vorderste, offensichtlichste ist: Wissenschaftskommumnikation ist auch, wenn nicht sogar in erster Linie (gemessen am Zeit- und Arbeitsaufwand) Kommunkation zwischen Wissenschaftlern. Dieser Aspekt kommt in der aktuellen Diskussion, die Christoph dankenswerter Weise hier aufgegriffen hat, meiner Ansicht nach zu kurz. Denn die Annahme, dass sich “Wissenschaftler” (die Anführungszeichen sollen andeuten, dass dieser Begriff eine weite Bedeutung hat und von Altphilologen und Archäologen bis zu Teilchenphysikern und Umweltforschern reicht) in einem eindeutig definierten Code verständigen, der stets in einer simplen Input-Output-Beziehung Informationen ver- und entschlüsseln kann, hat keinerlei Basis in der Wirklichkeit. Ich habe hier zwar schon darüber spekuliert, ob “Wissenschaftlich” eine Sprache für sich ist – aber selbst wenn, dann ist es immer noch eine Sprache, mit allen Möglichkeiten jeder Sprache, sich falsch oder unklar auszudrücken. Oder, um einfach mal von der praktischen Seite her zu argumentieren: Es muss ja wohl einen Grund geben, warum wir den MIT-Studenten primär beibringen sollen, mit ihren Peers zu kommunizieren.
Wer kommuniziert mit wem?
Wenn von “Wissenschaftskommunikation” die Rede ist, dann muss doch erst mal definiert werden, mit wem hier kommuniziert wird (das “mit” steckt ja in der lateinischen Vorsilbe “com” explizit drin). Und ja, das sind in erster Linie auch die Wissenschaftler untereinander. Und nein, diese Kommunikation ist, wie schon gesagt, keineswegs unkomplizierter und fehlerfreier als jede andere zwischenmenschliche Kommunikation auch. Da ist ja zum einen mal die bereits erwähnte Verständigungsbarriere, dass nicht alle Wissenschaftler auf den gleichen Gebiet forschen. Selbst solche alltäglichen Wörter wie “Gleichgewicht” oder “Belastung” haben ganz unterschiedliche Bedeutung in so verschiedenen Fächern wie Physik oder Wirtschaftswissenschaften oder Ökologie, beispielsweise. Aber das ist ja noch vergleichsweise simpel: Wissenschaftler sind, kommunikationsspezifisch gesehen, ja nur “Peers”, wenn sich ihre Wissensgebiete nennenswert überschneiden.
Aber selbst innerhalb der Disziplinen gibt es nur selten jene echte formelhafte Kommunikation, die sich der Laie manchmal vorstellt – also jene Art der Symbolsprache, die Missverständnisse ausschließt und ohne große Erklärung von jedem eindeutig verstanden wird, der die Bedeutung der Symbole gelernt hat: 1 + 1 = 2, und e=mc2. Dazu fällt mir eine Episode aus Jonathan Swifts “Gullivers Reisen” ein: Auf der fliegenden Insel Laputa arbeiten Wissenschaftler an allerlei seltsamen Projekten, einer darunter hatte die Idee, die Sprache auf eindeutige Substantive zu reduzieren – mehr noch, um die Mehrdeutigkeiten der Sprache abzuschaffen, wurden diese Substantive durch das Objekt selbst ersetzt, das sie beschreiben sollen:
The first project was, to shorten discourse, by cutting polysyllables into one, and leaving out verbs and participles, because, in reality, all things imaginable are but norms.
The other project was, a scheme for entirely abolishing all words whatsoever; and this was urged as a great advantage in point of health, as well as brevity. For it is plain, that every word we speak is, in some degree, a diminution of our lunge by corrosion, and, consequently, contributes to the shortening of our lives. An expedient was therefore offered, “that since words are only names for things, it would be more convenient for all men to carry about them such things as were necessary to express a particular business they are to discourse on.” And this invention would certainly have taken place, to the great ease as well as health of the subject, if the women, in conjunction with the vulgar and illiterate, had not threatened to raise a rebellion unless they might be allowed the liberty to speak with their tongues, after the manner of their forefathers; such constant irreconcilable enemies to science are the common people.
However, many of the most learned and wise adhere to the new scheme of expressing themselves by things; which has only this inconvenience attending it, that if a man’s business be very great, and of various kinds, he must be obliged, in proportion, to carry a greater bundle of things upon his back, unless he can afford one or two strong servants to attend him. I have often beheld two of those sages almost sinking under the weight of their packs, like pedlars among us, who, when they met in the street, would lay down their loads, open their sacks, and hold conversation for an hour together; then put up their implements, help each other to resume their burdens, and take their leave.
Quelle
Kleine Bemerkung am Rande: Auch Swift schreibt seinen laputischen Wissenschaftlern die Entdeckung zweier Marsmonde zu – 150 Jahre vor ihrer Entdeckung, und mit erstaunlicher – und absolut zufälliger – Korrektheit ihrer Bahnen: Der innere Mond kreise im Abstand von drei Marsdurchmessern, der äußere von fünf Marsdurchmessern; der Orbit des Phobos liegt mit 2,76 Marsdurchmessern dieser “Prognose” ziemlich nahe, und Deimos ist mit knapp sieben Marsdurchmessern zumindest nicht dramatisch weit von Swifts Angaben entfernt.
Zurück zur Kommunikation: Zumindest am MIT sehen wir unsere erste Aufgabe darin, den Studenten beizubringen, wie sie sich einem interessierten Fachpublikum verständlich machen können – wozu selbstverständlich gehört, ihnen die formalen Genres der akademischen Publikation beizubringen (zu denen beispielsweise Labortagebücher ebenso zählen wie Forschungsanträge und -Berichte). Aber eben auch die etwas informellere Form, beispielsweise in Präsentationen (die alles andere sind als die langweiligen Referate, die wir als Studenten zu halten hatten) und in Memos (das Wort, das eine Kurzfassung von Memorandum ist, ließe sich zwar ziemlich korrekt mit “Aktennotiz” ins Deutsche übersetzen, aber das klingt in nahezu unappetitlicher Weise bürokratisch). Im Prinzip bringen wir ihnen bei, sinnvolle Emails an Kollegen und Vorgesetzte zu schreiben.
Kommunikationsfehler mit fatalen Folgen
Wer nun denkt, dass damit die Latte vielleicht doch recht niedrig gelegt wird (wie schwer kann es sein, so ein Memo zu schreiben?), dem seien nur zwei Beispiele aus der Geschichte vor Augen geführt, in denen Fehlkommunikation zu katastrophalen Konsequenzen führten: Das Kernreaktor-Unglück von Three Mile Island, und die Explosion des Spaceshuttles Challenger. In beiden Fällen waren die Warnungen der Techniker in umständlichen Memos und langatmigen Präsentationen vergraben – weil Fachleute irrtümlich glaubten, dass andere Fachleute sowieso immer alles verstehen würden, was sie von sich geben.
Kommunikation ist halt nicht, in erster Linie, der Gebrauch von Worten und Grammatik – wichtiger ist, zu wissen wem man was vermitteln muss – und dass Fachkommunikation eben keine Kriminalromane sein sollten, die sich die Auflösung für den Schluss aufheben, sondern ganz im Gegenteil immer auf maximale Transparenz der Ideen und Logik achten muss. Das Schwierigste an meiner Aufgabe ist, den Studenten klar zu machen, dass es nicht primär darauf ankommt, was sie zu sagen haben, sondern was ihr Gegenüber wissen muss, um sie zu verstehen. Wenn das erst mal in den Köpfen drin ist (sehr schwer!), dann ist übrigens auch die Kommunikation mit Fachfremden leichter zu gestalten.
Das setzt natürlich voraus, dass die Notwendigkeit der Kommunikation überhaupt erst mal begriffen wird. Die Anekdote um Galileos Anagramme illustriert leider einen ebenso alten wie schwierigen Aspekt der Wissenschaft und Kommunikation: Das Bedürfnis der Forscher, ihre Entdeckungen zumindest für lange Zeit geheim zu halten. Moderner ausgedrückt: sich nicht in die Karten schauen zu lassen. Obwohl wir uns hier bestimmt längst einig sind, dass Forschung besser in Kooperation als in Konfrontation funktioniert , gibt es doch immer noch das Bedürfnis zur Vertraulichkeit – und dies spiegelt sich letzlich sogar in den Regeln vieler Journale wider, nur Arbeiten anzunehmen, die nicht schon anderweitig publiziert wurden. Exklusivität ist, wie jeder Journalist weiß, nur durch Verschwiegenheit im Arbeitsprozess zu wahren.
Die Notwendigkeit der Überzeugungskraft
Aber warum wollen wir überhaupt, dass Wissenschaft besser kommuniziert? Reaktorkatastrophen und Raumschiff-Unglücke sind zwar spektakulär, aber selten, und überhaupt, warum sollen sich Forscher nicht nur in die Karten schauen lassen, sondern diese auch noch proaktiv offenlegen und ihre Spielzüge erklären? Warum fordern wir bessere Kommunikationsfähigkeiten von Wissenschaftlern, aber nicht von Juristen und Steuerfachleuten, beispielsweise? Letztere haben ebenso komplizierte Sachverhalte, mit denen sie sich beschäftigen, und die Folgen ihrer Handlungen sind zumeist noch viel unmittelbarer für die Bevölkerung…
Was Wissenschaftler von Rechts- und Steuerexperten unterscheidet, ist Macht: Steuer- und sonstige Gesetze müssen nicht überzeugen, ich muss mich an sie halten, egal ob ich sie begreife oder nicht. Doch Wissenschaft kann ich, wenn ich will, auch ignorieren, sie kann mich nicht zwingen, mich mit ihr auseinanderzusetzen. Selbst wenn dies überlebenswichtig für mich wäre.
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