Vor ein paar Tagen hatte ich hier einen Köder ausgeworfen: Leider hat sich niemand meiner Forderung anschließen wollen, simple Grundregeln der Algebra allein schon deswegen über den Haufen zu werfen, weil eine Mehrzahl der AnwenderInnen sie offenbar nicht korrekt beherrschen. Ich nehme an, das die Absurdität einer solchen Schlussfolgerung zu leicht durchschaubar war. Ich wage mal zu behaupten, dass die Mehrzahl der Leserinnen und Leser zustimmen wird, dass in so einem Fall entweder die Regeln einfach besser vermittelt werden müssten und/oder sich mit ein kleinem bisschen zusätzlicher Mühe die Rechenaufgabe 7 – 1 x 0 + 3 : 3 zumindest so viel besser strukturieren ließe, dass die meisten, wenn nicht alle, Missverständnisse aus dem Weg geschafft werden können: 7 – (1 x 0) + (3 : 3).
Mal ehrlich: Wie viele von uns würden sich diese Mühe machen, wenn sie merken, dass jemand Probleme mit dieser an sich simplen Rechenaufgabe hat? Wie viele würden zustimmen, dass es a) anhand solcher Rechenregeln gar nicht anders geht als falsch zu rechnen, oder vorschlagen, dass dann halt b) die Anwenderin oder der Anwender von Rechenregeln die Materie besser lernen müssen? Aber kaum jemand würde ernsthaft fordern, dass man dann unbedingt c) das Rechnen so verändern muss, dass 1 als Resultat auch akzeptabel ist, oder besser noch: dass d) die Algebra so modifiziert wird, dass es fürderhin unmöglich sein muss, falsch zu rechnen.
Ich weiß zwar, dass alles Folgende letztlich nur wieder in einer ad-hominem-Debatte enden wird – wie schon all die ähnlich gelagerten Debatten zuvor. Aber dennoch will ich nicht einfach kapitulieren, denn das Thema ist – auch und gerade in der alltägichen Praxis des Schreibens – durchaus wichtig. Ohne jetzt die Analogie, die ich mit obigem Beispiel vorführen wollte, schrittweise zu erklären und zu übersetzen, will ich einfach mal behaupten: Auch die deutsche Sprache macht manchmal Mühe, wenn es beispielsweise darum geht, Männern und Frauen gleichermaßen im Sprachgebrauch gerecht zu werden.
Ich bin immer wieder überrascht, wie schnell der Behauptung, dass das Deutsche einfach immanent sexistisch sei, zugestimmt wird. Wenn, im Prinzip, behauptet wird, dass man gar nicht anders könne als Frauen in der deutschen Sprache abzuwerten – weil es das generische Maskulinum gibt, und weil unsere deutsche Grammatik eine Genus-Beugung von Substantiven ermöglicht: “der Physiker/die Physikerin”. Die “Argumente”, die sich auf zumeist fehlerhafte oder fehlerhaft interpetierte fremdsprachige Arbeiten stützen, laufen immer auf das Gleiche hinaus: Wenn es diese Genus-Differenzierung nicht gäbe, dann wäre die Welt gleich geschlechtergerechter.
Dieser Trugschluss fällt so ziemlich in die gleiche Kategorie wie der “kennt-kein-Wort-für…”-Mythos. Das in Irland gesprochene Gälisch kennt beispielsweise zwar weder Worte für “ja” noch “nein”, aber dennoch ist es Iren sehr leicht möglich, ihre Zustimmung oder Ablehnung auszudrücken. Vor zweihundert Jahren gab es in keiner Sprache der Welt ein Wort für Anrufbeantworter – trotzdem konnten die Dinger erdacht und benannt werden. Sprache ist keine Kurzformel, sondern Formulierung. Wenn wir etwas sagen wollen, dann werden wir auch mit den vorhandenen liguistischen Mitteln schon einen Weg finden. In meinem vorigen Beitrag zu diesem Thema tauchten gleich zwei “schwere” Beispiele auf: MartinB meinte,
“Der/die Physiker/in führt seine/ihre Experimente durch” sind nicht wirklich lesbar.
Binnen-Is funktionieren im Zusammenhang mit Artikeln auch nicht so gut: “Der/die PhysikerIn führt ihre/seine Experimente” hilft nicht wirklich weiter, selbst neutrale Hauptworte helfen nicht viel: “Der/die Physikbetreibende…”
(Ein weiteres “schweres” Beispiel, nebst meiner Antwort, findet sich hier in seinem Beitrag Warum wir nie etwas ändern sollten.) Der Kommentator/die Kommentatorin (wer bei uns kommentieren will, kann das ganz ohne Geschlechtsnachweis tun) segeln141 hat hier eine andere Monstrosität ausgegraben:
Der Paartherapeut Jürg Willi konstruierte den Satz:“ Wenn man/frau mit seiner/ihrer Partner/in zusammenleben will, so wird er/sie zu ihr/ihm in ihre/seine oder sie/er in seine/ihre Wohnung ziehen“.
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Vielleicht wollte ja jemand die Zeit nutzen, eigene Lösungsvorschläge zu finden, die sprachlich akzeptabel, nicht diskriminierend und zudem einigermaßen elegant sind. Mein Vorschlag für Martins Problem lautete:
Physikerinnen und Physiker experimentieren.
Und das Problem, das segeln141 präsentiert hat, hatte ich so beantwortet:
Das Problem mit diesem Satz ist, dass er selbst ohne die “Gender-Kalibrierung” ziemlich blödsinning und sprachlich miserabel wäre: “Wenn man mit seiner Partnerin zusammenleben will, so wird er zu ihr in ihre Wohnung ziehen”, wäre demnach eine Lesart. Haarsträubend! Mal abgesehen vom falschen Gebrauch des “man” (“jemand” muss hier benutzt werden) und der verbalen Monstrosität “zu ihr in ihre Wohnung” (entweder nur “zu ihr”, oder nur “in ihre Wohnung” – die Doppelung ist redundant und führt zu Wortschwall) ist diese Aussage auch sachlich unhaltbar: Es ist auch denkbar, das “man” will, dass die Partnerin zu einem zieht. Was eigentlich gesagt wird: Wenn zwei Menschen zusammenleben wollen, genügt ihnen eine Wohnung. Auch dies ist nur ein Beispiel dafür, dass nicht die Sprache, sondern die Denkfaulheit der Sprachanwender zu solchen Problemen führt. Aber Faulheit im Denken ist halt nichts, was sich durch Sprachreformen beseitigen lässt.
Meine Vorschläge müssen nicht jedem und nicht jeder gefallen. Aber zumindest eines ist damit schon bewiesen: Mit ein bisschen Überlegung findet sich immer eine Alternative. Ehe wir (von anderen?) eine Veränderung der Sprache abfordern, sollten wir unser eigenes Sprechen erst mal verändern. Die Werkzeuge dafür sind auch jetzt schon vorhanden.
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