Vor ein paar Tagen (genauer gesagt, am 12. Juli 2013) starb der MIT-Professor und Firmengründer Amar Bose, im Alter von 83 Jahren. Anstatt eines Nachrufs (so etwas können andere vermutlich besser) habe ich mal wieder in meinem Privatarchiv gekramt und ein Interview gefunden, das ich im Mai 2004 mit Bose geführt hatte*. Es ist zwar in einigen Fragen nicht mehr aktuell – das von ihm angesprochene, noch geheime Forschungsprojekt entpuppte sich später als eine elektromagnetische Radaufhängung – genial, aber offenbar von geringem kommerziellen Interesse (sie hat aber als Dämpfungssystem in Lastwagensitzen eine Anwendung gefunden). Aber vor allem was er zum Thema Forschung, nicht nur in seiner Firma, zu sagen hat, finde ich sehr inspirierend und bezeichnend für den Mann, der in der Lobby seines Firmensitzes in Framingham (Massachusetts) das Firmemotto in Stein festschreiben ließ: Better products through research.
Professor Bose, eines Ihrer neuen Produkte ist ein Kopfhörer, der Geräusche eliminiert. Haben Sie nach jahrzehntelanger Suche nach dem perfekten Sound nun plötzlich die Stille entdeckt?
Die Idee dazu war mir schon vor vielen Jahren gekommen, auf einem Flug von Zürich nach New York. Zum ersten Mal wurden da nicht mehr diese simplen Plastikschläuche verteilt, sondern richtige elektronische Kopfhörer – und ich war so extrem enttäuscht, weil die Tonqualität, in Verbindung mit den Fluggeräuschen, fast noch schlechter war als bei den alten pneumatischen Kopfhörern. Anstatt die Arbeit zu erledigen, die ich mir für die Reise mitgenommen hatte, verbrachte ich die restliche Flugzeit damit, dieses Problem zu lösen.
Aber dann hat es also noch viele Jahre gebraucht, bis daraus ein Produkt wurde?
Ja, den ersten Prototyp hatten wir für Dick Rutan und Jenna Yaeger entwickelt, die 1986 mit ihrem Flugzeug “Voyager” nonstop die Welt umkreisten. Aus Gewichtsgründen hatten sie auf alle unnötige Isolierung verzichten müssen, mit der Folge, dass die Windgeräusche so laut waren, dass die beiden nach Einschätzung der Ärzte permanent ein Drittel ihres Gehörs verloren hätten. Da wollten wir helfen. Später haben wir daraus Kopfhörer für Panzerfahrer und Berufspiloten entwickelt. Die Idee, dass es dafür auch einen Markt für den Heimgebrauch geben könnte, ist uns erst später gekommen.
Ein 450-Euro-Kopfhörer ist ja auch kein Pappenstiel …
Als ich die Idee für das Wave-Radio hatte, sagten mir meine Marketing-Experten, dass niemand 350 Dollar für ein Radio ausgeben würde, und dass wir niemals mehr als zehntausend Stück davon verkaufen würden. Ich hatte statt dessen eine Produktion von Hunderttausend angeordnet – und wir konnten alle im ersten Jahr verkaufen. Die Marketing-Leute waren dafür ihren Job los.
A propos Jobs: Man sagt, Ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilung sei eine der größten der Branche.
Mag sein. Wir beschäftigen rund 900 Mitarbeiter in F&E.
Ist es eigentlich schwer, gute Wissenschaftler für die Privatwirtschaft zu finden? Ehrgeizige Akademiker finden es sicher ziemlich unattraktiv, dass sie die Ergebnisse ihrer Arbeit nicht publizieren oder gar unter eigenem Namen patentieren lassen können.
Ja, an den Universitäten geht es um “publish or perish” – wer nichts veröffentlicht, der ist ein Niemand. Das ist wie eine Seuche im Lehrkörper. Als ich zu meiner ersten Beförderung als Dozent am MIT anstand, riet mir mein Professor, meinen Lebenslauf dadurch aufzubessern, dass ich auch meine Hobbyforschung auf dem Gebiet der Akustik – von Haus aus bin ich Elektroniker – aufführen sollte, mit dem Hinweis “Veröffentlichung steht bevor”, obwohl das gar nicht stimmte. Ich war so entsetzt, dass ich beinahe auf den Dozentenposten verzichtet hätte.
Na schön, aber sehen Ihre Forscher das genau so?
Wer für Bose arbeitet, weiß von vorne herein, dass er Anerkennung nicht durch eine wissenschaftliche Fachpublikation finden kann, sondern dadurch, dass sich die Produkte, die aus seiner Arbeit resultieren, im Markt durchsetzen. Und er weiß, dass seine Leistung in der Firma anerkannt wird.
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