Nach seinem Kurswechsel Richtung Nordwesten wird der Hurrikan Joaquin sich zwar auf Europa zu bewegen, aber sich dabei auch in jedem Fall erst mal zu einem Tropensturm abschwächen, aber sicher das Wetter Europas in irgend einer Form beeinflussen. Doch darum soll es hier jetzt mal nicht gehen, sondern darum, dass Joaquin in den USA sicher schwerere Folgen gehabt hätte, wenn er a) das Festland erreicht hätte (das ist natürlich trivial) und b) Johanna genannt worden wäre,
Ähh, Moment, was war das jetzt? Mit einem Frauennamen hätte der Hurrikan schlimmere Folgen gehabt als mit seinem maskulinen Vornamen? Genau das legt eine Studie nahe, die in der aktuellen Ausgabe der Proceedings of the National Academy of Sciences erschienen ist: Female hurricanes are deadlier than male hurricanes. Das klingt erst mal so absurd, dass man an einen verspäteten Aprilscherz denken könnte oder irgend eine andere Scherzmeldung, die sich wissenschaftliche Publikationen manchmal erlauben. Doch die Sache ist ernst – todernst: Die Studie analysierte Hurrikandaten der vergangenen sechs Jahrzehnte, und fand ziemlich klar heraus, dass bei diesen Wirbelstürmen, wenn sie einen Frauennamen tragen (was bis in die 70er Jahre noch die Konvention war; seither wechseln sich Männer- und Frauennamen ab), etwa dreimal mehr Menschen ums Leben kommen als wenn sie Männernamen tragen:
Die Grafik zeigt die durchschnittlichen Todesopfer für Hurrikane über den Untersuchungszeitraum von 60 Jahren. Die Stürme wurden dabei in zwei Kategorien – leicht (grau) und schwer (schwarz) – unterteilt und nach dem Maskulin-Feminin-Index (einer Skala von 1 bis 11, mit 1 als der männlichsten und 11 als der weiblichsten Namenseinstufung) sortiert. Der Trend ist ebenso unübersehbar wie steil.
Und die Ursache dafür liegt nicht in der Schwere der Stürme selbst, sondern darin, dass die Erwartung, wie schwer der Sturm sein wird, von dem Stereotyp, dass Männer generell stärker als Frauen seien und daher auch männliche Stürme stärker eingeschätzt werden – und dementsprechend vorsorglichere Maßnahmen ergriffen werden. In insgesamt fünf verschiedene Versuchsreihen haben die ForscherInnen dieses Phänomen seziert und dabei noch nicht mal die Möglichkeit außer Acht gelassen, dass die Popularität der jeweils ausgewählten Namen vielleicht maßgeblicher sein könnte als ihr Geschlecht. Oder dass es einen Unterschied machen könnte, ob zum Beispiel eine Evakuierungswarnung gegeben wird oder nicht. Egal wie – bei männlichen Sturmnamen war die Erwartung ihrer Stärke höher, und die Bereitschaft der Testpersonen höher, drastischere Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Das Geschlecht der Testpersonen spielte bei dieser Einschätzungen der “Gewaltbereitschaft” der Stürme übrigens keine Rolle…
Simpel ausgedrückt: Die sexistische Einschätzung, dass Männer stärker und Frauen einfach nicht so ernst zu nehmen seien, kostet Leben – weil “weibliche Stürme” dann unterschätzt werden. Die tragische Ironie dabei ist, dass den Stürmen anfänglich Frauennamen gegeben wurden, weil sie so unberechenbar und unvorhersagbar seien – diesem traditionellen Sexismus wurde dann, wie bereits erwähnt, 1978 ein Ende bereitet. Was mir an dem PNAS-Paper gefällt, ist aber, dass sie die Sache über diese Männer-Frauen-Disparität hinaus durchdenken: Sie schlagen nicht etwa vor, dass dann halt nur Männernamen verwendet werden sollten (obwohl man diesen Schluss aus den Daten ziehen könnte), oder vielleicht auf andere Nomenklaturen wie beispielsweise Pflanzen- oder Tiernamen ausweichen sollte. Denn ein Sturm, der den Namen einer Blume trägt, würde vermutlich auch für harmloser gehalten als ein Sturm, der “Adler” heißt. Sie empfehlen, ganz von dieser mehr oder weniger beliebigen Namensphilosophie (die ja nichts über die “wahre” Charakteristik der Stürme aussagt) abzurücken und objektivere Systematiken zur Benennung zu finden.
Nachtrag: Bob O’Hara hat seine eigene Nachuntersuchung der Daten dieser Studie gemacht (mehr dazu hier), und er kommt zu einem anderen Ergebnis: Die Zahl der Todesopfer sei allein durch die Stärke des Sturms bedingt. Das ist im Prinzip natürlich erst mal unbestreitbar (ein schwacher Sturm wird vermutlich gar keine Todesopfer fordern), aber auch trivial. Und nicht unbedingt im Widerspruch der Studie, die ja eine psychologische ist, also die Einschätzung der Testpersonen von hypothetischen Stürmen untersucht, bei denen – nach den gegebenen Anweisungen – die Stärke jeweils identisch ist, nur die Namen verschiedenen Geschlechts. Das ist schon mal ein erhebliches Missverständnis seitens O’Haras, der diese hypothetischen Resultate auf die realen Stürme anwenden will, die nun mal nie identisch sein können. Zweitens hat er in seinen Daten einen “Ausreißer” drin, den er als feminin sortiert hat und der vermutlich den Kurvenverlauf dementsprechend verändert hat: den “Jahrhundertsturm” Sandy. Der Haken ist nur, dass Sandy sowohl ein Männer- – als auch ein Frauenname ist… Ansonsten bin ich für weitere Hinweise gerne offen, denn letzlich kann O’Hara nur vermuten, dass sein Modell besser ist als das der ForscherInnen aus Illinois:
Of course, BOH is not claiming that his model is correct, either. But is this BOH model better than the model in the paper? Well, our BOH model does have two advantages: (1) it fits the data better and (2) it is more plausible.
Zum Datenfit hatte ich ja eben schon eine Anmerkung gemacht, und Plausibilität ist immer gut. Aber andererseits: Auch die These, dass es eine unterschiedliche Wahrnehmung von Männer- und Frauennamen bei Stürmen gibt, ist plausibel und mit – historischen – Daten belegt (siehe oben). Bin gespannt auf die Fortsetzung…
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