Ich bin gerade für ein paar Tage mit meiner Familie in Berlin; meine Frau muss arbeiten, ich spiel’ mit meinem 16-jährigen Sohn Tourist. Und eine der Stätten, zu denen ich ihn heute geschleppt habe, ist der ehemalige Checkpoint Charlie an der Friedrichstraße, Ecke Zimmerstraße. Nicht nur, weil ich ihm mal zeigen wollte, wo ich früher mal gearbeitet habe (mein erstes Büro war praktisch um die Ecke), sondern vor allem auch, weil ich ihm, der den Kalten Krieg ja – zum Glück! – nur aus dem Geschichtsunterricht kennt, eine etwas konkretere Vorstellung davon geben wollte, wie das so war, mit der Mauer und dem Eisernen Vorhang und so. Und darum haben wir auch das Haus am Checkpoint Charlie besucht, das heute wohl eher als Mauermuseum bekannt ist (obwohl’s davon eigentlich zwei gibt in Berlin).
Dieses Museum sollte eigentlich für alle, die Berlin besuchen – aber auch für alle, die dort leben, und irgendwie eigentlich für alle, unabhängig von Herkunft, Wohnort oder Nationalität – auf dem Pflichtprogramm stehen. Denn es ist gar nicht mal so sehr ein Museum der Mauer, also der Teilung (dafür ist die Gedenkstätte an der Bernauer Straße sicher besser konzipiert), als vielmehr ein Museum der Flucht.
Denn was wir heute nur allzu leicht zu vergessen scheinen: Unser Deutschland, das für viele Jahre (mehr als die Hälfte meines eigenen Lebens) zwei Deutschlands war, ist ein Land, in das und aus dem Menschen geflohen sind – mit extremen Mühen, mit extremer Entschlossenheit und vor allem mit der Gewissheit, dass sie dabei ihre eigenes Leben und das ihrer Freunde und Verwandten auf Spiel setzten. Nicht nur, weil das Verstecken in umgebauten Benzintanks, in Koffern, durch selbst gegrabene Tunnel, mit allerlei improvisierten Fahr- und Flugzeugen durchs Wasser oder die Luft in sich riskant war, sondern vor allem auch, weil sie wussten, dass andere Deutsche, durch eine Unform und ein Gesetz legitimiert, nicht zögern würden, ihnen eine tödliche Gewehrsalve in den Rücken zu schießen – wie es zuletzt am 6. Februar 1989 geschah, wenige Monate vor dem Fall der Mauer. Zigtausende hatten entlang des “eisernen Vorhangs” diese Flucht gewagt, und laut Angaben des Museums hatten 1684 Menschen diesen Fluchtversuch mit ihrem Leben bezahlt.
Wenn also jemand verstehen sollte, was Menschen dazu treibt, alles was sie haben und manchmal auch im sehr wörtlichen Sinn ihr ganzes Leben für ein unsicheres Fluchtmanöver zu riskieren, das selbst im besten Fall nur dazu führen kann, dass sie erst einmal auf die Hilfsbereitschaft anderer angewiesen sein werden, da sie außer dem Willen, ein neues Leben zu beginnen, nicht viel mitbringen können … wenn Menschen verstehen sollten, was dies bedeutet, dann wir Deutschen. Mehr will ich hier gar nicht schreiben – es ist schlimm genug, dass wir überhaupt daran erinnert werden müssen.
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