Wenn ich die Worte “Schokolade” und “Studie” in einem Satz lese, dann werde ich etwas unruhig, was hoffentlich nachvollziehbar ist, wenn man an die unsägliche Diskussion um die “Schokoladenstudie” denkt, mit der die oftmals dünne wissenschaftliche Basis der so genannten ernährungswissenschaftlichen Studien und ihrer Wirkung auf die und in den Medien entlarvt werden sollte – eigentlich ja ein ehrenhaftes Ziel, vor allem, wenn man weiß, wie verzerrend und gelegentlich sogar gezielt irreführend selbst die scheinbar fundamentalsten Ernährungsstudien sein können. Und warum die New York Times ausgerechnet heute eine Studie über den metabolischen Nutzen von dunkler Schokolade aufwärmt, über die sie bereits im März dieses Jahres berichtet hatte und die schon im Dezember 2015 erschienen ist, kann ich mir auch nicht wirklich erklären, aber hier ist sie, bitteschön: Dark chocolate supplementation reduces the oxygen cost of moderate intensity cycling.
Und ganz offensichtlich handelt es sich dabei nicht um einen weiteren Trick, um die Medien an der Nase herumzuführen, auch wenn der Hinweis in der Einleitung, dass die Studie von der Idee inspiriert wurde, den offenbar als Ernährungszusatz bei Sportlerinnen und Sportlern sehr beliebten Extrakt von Roter Bete durch dunkle Schokolade zu ersetzen eher wie eine Idee aus einem Asterix-Comic klingt: Das Journal of the International Society of Sports Nutrition erscheint im wissenschaftlichen Springer-Verlag und scheint, so weit ich das beurteilen kann, eine anerkannte Publikation zu sein. Auch die Studie selbst ist offenbar adäquat dokumentiert, mit ausführlicher Beschreibung der Methoden und den zu erwartenden Fehlerbalken an allen Grafiken. Und sie macht kein Geheimnis daraus, dass sie auf den Daten von insgesamt neun (!) Testpersonen beruht.
Und obwohl die Fehlerbalken riesig sind und die Stichprobe klein, und obwohl zum Zeitpunkt der Veröffentlichung die – leider ziemlich skrupellose – Fake-Schokoladenstudienaktion auch den Autoren des JISSN-Papers als auch den LektorInnen des Springer-Verlags bekannt gewesen sein sollte, ist sie dann doch wieder in ihrer Aussage ganz ungebremst:
“…it can be concluded that ingestion of DC for 14 days reduced the oxygen cost of moderate intensity exercise and may be an effective ergogenic aid for short-duration moderate intensity exercise”
steht da, auf deutsch: die Studie “erlaubt den Schluss, dass die Einnahme von dunkler Schokolade (DC) für 14 Tage der Sauerstoffverbrauch durch moderat-intensive Bewegung reduziert und eine effektives leistungssteigerndes Mittel für kurzzeitige moderat-intensive Bewegung sein könnte.” Das klingt schon, im allgemeinen Sprachgebrauch wissenschaftlicher Publikationen, ziemlich affirmativ; der Nachsatz “However, future double-blinded studies will need to confirm this effect” ist, leider, eher eine Floskel, die fast immer an Studien dieser Art angehängt wird. Und natürlich lief sie, mit der gleichen affirmativen Unzweideutigkeit, die sie ja auch in ihrer Überschrift schon ausdrückt, ziemlich breit – breiter jedenfalls als die peinliche “Schokoladenstudie”, um die so viel Wind gemacht wurde: Wer bei Google nach Meldungen auf der Grundlage des JISSN-Schokoladenpapers sucht, findet mehr als eine halbe Million Treffer… und ich weiß nicht mehr, ob ich lachen oder weinen soll.
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