Foto: John Loo (Flickr: Chocolate) [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons

Wenn ich die Worte “Schokolade” und “Studie” in einem Satz lese, dann werde ich etwas unruhig, was hoffentlich nachvollziehbar ist, wenn man an die unsägliche Diskussion um die “Schokoladenstudie” denkt, mit der die oftmals dünne wissenschaftliche Basis der so genannten ernährungswissenschaftlichen Studien und ihrer Wirkung auf die und in den Medien entlarvt werden sollte – eigentlich ja ein ehrenhaftes Ziel, vor allem, wenn man weiß, wie verzerrend und gelegentlich sogar gezielt irreführend selbst die scheinbar fundamentalsten Ernährungsstudien sein können. NYTImes-CoverUnd warum die New York Times ausgerechnet heute eine Studie über den metabolischen Nutzen von dunkler Schokolade aufwärmt, über die sie bereits im März dieses Jahres berichtet hatte und die schon im Dezember 2015 erschienen ist, kann ich mir auch nicht wirklich erklären, aber hier ist sie, bitteschön: Dark chocolate supplementation reduces the oxygen cost of moderate intensity cycling.

Und ganz offensichtlich handelt es sich dabei nicht um einen weiteren Trick, um die Medien an der Nase herumzuführen, auch wenn der Hinweis in der Einleitung, dass die Studie von der Idee inspiriert wurde, den offenbar als Ernährungszusatz bei Sportlerinnen und Sportlern sehr beliebten Extrakt von Roter Bete durch dunkle Schokolade zu ersetzen eher wie eine Idee aus einem Asterix-Comic klingt: Das Journal of the International Society of Sports Nutrition erscheint im wissenschaftlichen Springer-Verlag und scheint, so weit ich das beurteilen kann, eine anerkannte Publikation zu sein. Auch die Studie selbst ist offenbar adäquat dokumentiert, mit ausführlicher Beschreibung der Methoden und den zu erwartenden Fehlerbalken an allen Grafiken. Und sie macht kein Geheimnis daraus, dass sie auf den Daten von insgesamt neun (!) Testpersonen beruht.

Und obwohl die Fehlerbalken riesig sind und die Stichprobe klein, und obwohl zum Zeitpunkt der Veröffentlichung die – leider ziemlich skrupellose – Fake-Schokoladenstudienaktion auch den Autoren des JISSN-Papers als auch den LektorInnen des Springer-Verlags bekannt gewesen sein sollte, ist sie dann doch wieder in ihrer Aussage ganz ungebremst:

“…it can be concluded that ingestion of DC for 14 days reduced the oxygen cost of moderate intensity exercise and may be an effective ergogenic aid for short-duration moderate intensity exercise”

steht da, auf deutsch: die Studie “erlaubt den Schluss, dass die Einnahme von dunkler Schokolade (DC) für 14 Tage der Sauerstoffverbrauch durch moderat-intensive Bewegung reduziert und eine effektives leistungssteigerndes Mittel für kurzzeitige moderat-intensive Bewegung sein könnte.” Das klingt schon, im allgemeinen Sprachgebrauch wissenschaftlicher Publikationen, ziemlich affirmativ; der Nachsatz “However, future double-blinded studies will need to confirm this effect” ist, leider, eher eine Floskel, die fast immer an Studien dieser Art angehängt wird. Und natürlich lief sie, mit der gleichen affirmativen Unzweideutigkeit, die sie ja auch in ihrer Überschrift schon ausdrückt, ziemlich breit – breiter jedenfalls als die peinliche “Schokoladenstudie”, um die so viel Wind gemacht wurde: Wer bei Google nach Meldungen auf der Grundlage des JISSN-Schokoladenpapers sucht, findet mehr als eine halbe Million Treffer… und ich weiß nicht mehr, ob ich lachen oder weinen soll.

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Kommentare (11)

  1. #1 Omnivor
    Am Nord'pol'von NRW
    3. Oktober 2016

    Der Geniesser spart sich die ‘cost of moderate intensity cycling’ und kostet die dunkle Schokolade pur.

  2. #2 anderer Michael
    3. Oktober 2016

    Und ist bereits auch auf deutschen medizinischen Internetseiten für Patienten/innen und Interessierte zu finden
    https://www.netdoktor.de/news/dunkle-schokolade-macht-sportlicher/

  3. #3 RPGNo1
    3. Oktober 2016

    Und ist bereits auch auf deutschen medizinischen Internetseiten für Patienten/innen und Interessierte zu finden

    Na, musste der Praktikant heute am Feiertag arbeiten und copy+paste üben? Die wichtigen Punkte, die Jürgen oben angesprochen hat, fehlen natürlich im netdoktor-Artikel.

  4. #4 Bettina Wurche
    3. Oktober 2016

    Schokoladenstudien sind per se oft schlecht genießbar – einfach wegen ihrer Unwissenschaftlichkeit. Ich fasse es einfach nicht, dass nach so viel chocolat-research-bashing immer mal wieder so eine Studie auf ihren tönernen Füßchen durch die peer-review hoppelt.
    Ich habe bisher nur eine einzige wissenschaftlich respektable Schoko-Studie gelesen: Die Probanden waren Napfschnecken. Wenn man ihnen das isolierte Flavonoid Epicatechein gibt, lernen sie tatsächlich schneller. Hatte ein Biologe nachgeweisen
    Alle anderen Studien waren methodisch und datenmäßig unterirdisch, eher zum Heulen. Und natürlich von Medizinern.

  5. #5 Bettina Wurche
    3. Oktober 2016

    Korrektur: Es muss natürlich Epicatechin heißen.

  6. #6 anderer Michael
    4. Oktober 2016

    Frau Wurche:
    Was haben die Napfschnecken gelernt?

    Die Autoren der hier diskutierten Arbeit sind von der Uni Kingston, Abt. Life Science. Was diese studiert haben, ist für mich nicht ersichtlich.

    Ich vermute, so richtig ernst haben Sie das nicht gemeint, das mit den Napfschnecken , den Biologen und den Medizinern,oder ?

  7. #7 klauszwingenberger
    4. Oktober 2016

    Wenn – wenn! – das so stimmt, wäre das bis auf wenige Ausnahmesituationen eher ein Grund, dunkle Schokolade radikal aus dem Speiseplan von Ausdauersportlern zu streichen. Deren Trainingsaufbau beruht doch auf der Erweiterung der aeroben (!) Kapazität, um die empfindlichen und schnell erschöpften Kohlenhydrat-(Glykogen-)speicher tunlichst zu schonen. Der Radsportler zum Beispiel schöpft seine Leistungsfähigkeit daraus, eine möglichst hohe relative Sauerstoffaufnahmekapazität (pro kg Körpergewicht) zu haben. Das würde durch eine Verringerung der O²-Aufnahme glatt konterkariert, zu Gunsten eines Kohlenhydrat-Strohfeuers.

  8. #8 yeRainbow
    yerainbow.wordpress.com
    4. Oktober 2016

    https://euleev.de/video/377-udo-pollmer-macht-schokolade-schlank

    ein übersehener Faktor, der allerdings von Wichtigkeit des st, wird da erwähnt.

  9. #9 yeRainbow
    yerainbow.wordpress.com
    4. Oktober 2016

    ursprünglich wollte ich den Beitrag hier verlinken, mußte aber etwas nach ihm suchen…
    Schokoladenstudie. https://euleev.de/video/615-fuer-eine-handvoll-dollar-die-selbstgemachte-ernaehrungsstudie

  10. #10 zimtspinne
    7. Oktober 2016

    Ja, das ist doch wunderbar, dass die Amis, die ihr seuchenartiges Übergewichtsproblem einfach nicht in den Griff kriegen trotz diverser Kampagnen und therapeutischer Versorgung bereits adipöser Kinder & Jugendlicher (immerhin stolze 30%!), also jene Amis, die in immer neue, höhere Sphären der Fettheit galoppieren, sich ausgerechnet an der dunklen Schokolade aufhängen.
    Von der eh kein Mensch größeren oder überhaupt Mengen täglich in sich reinstopft – und aktive Sportler schon dreimal nicht.

    Der Pollmer ist aber auch mit Vorsicht zu genießen… *g*

  11. #11 Robert
    13. Oktober 2016

    nochmal zu Schokolade und sportlicher Leistungsfähigkeit.
    Mein Zahnarzt hat mir eine Woche lang verboten Milchprodukte zu essen, darunter auch Schokolade.
    Was ist geschehen, die Rundenzeiten beim Joggen wurden besser. Das ist jetzt bestimmt nicht repräsentativ. Aber es scheint die Thesen zu erhärten. Schokolade ist nicht optimal.