Aber ich schäme mich nicht primär ob dieser groben Schnitzer in Design und Logik ihres “Experiments” für Boghossian und Lindsay – sondern dafür, dass sie trotz dieser offensichtlichen Peinlichkeiten offenbar stolz auf ihren “Streich” sind. Und ich schäme mich auch für all jene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ebenso wie wissenschaftlich Begeisterte, die diesem Streich Lob und Beifall zollen. Denn offensichtlich haben sie ihre eigenen Maßstäbe für wissenschaftliche und argumentative Stringenz allzu leichtgläubig und bereitwillig in den Dreck getreten, weil es – eine andere Erklärung fiele mir nicht ein – ihre Vorurteile gegen Gender-Studien speziell, oft aber auch gegen Sozial- und Geisteswissenschaften ganz generell bestätigt.
Denn das lese ich auch in Kommentaren hier immer wieder: dass nur die Naturwissenschaften “echte” Wissenschaften seien, während die Sozial- und Geistesdisziplinen als “weiche” oder kategorisch sogar als nicht-Wissenschaften abgeurteilt werden. Warum eigentlich? Weil (Natur-)Wissenschaften stringenter sind, weil ihre Resultate irgendwie “härter” sind? Wer das behauptet, begeht gleich zwei Fehler: Erstens redet er/sie von etwas, das er/sie offenbar gar nicht durchschaut – nur weil sie ihre Experimente und Beobachtungen nicht in einem Labor machen können, bedeutet das nicht, dass Politik- oder Sozialwissenschaftler keine “harten” Daten erheben können und keine Ahnung davon haben, wie man diese Daten korrekt auswertet und bearbeitet. Der Beweis müsste erst einmal erbracht werden. Aber, so höre ich manchmal, die naturwissenschaftlichen Experimente seien denen der Humanwissenschaftler eindeutig darin überlegen, dass sie kontrollierbar und jederzeit wiederholbar seien. Hmmm… wer so argumentiert, hat offenbar noch nichts von der Replication Crisis gehört: Wie nature vor einem Jahr offenlegte, haben 70 Prozent von 1500 befragten NaturwissenschaftlerInnen Probleme damit, die Resultate anderer ForscherInnen zu reproduzieren – und immerhin die Hälfte konnte noch nicht mal die eigenen Resultate wiederholen! Und das liegt, wie ein älterer Artikel von John Ioannidis schon offen legte, nicht daran, dass die Reproduzierenden nicht wissen, was sie tun – sondern daran, dass 70 Prozent der Resultate falsch sind!
Ehe wir also mit Fingern auf den vermeintlichen Unsinn in jungen Disziplinen zeigen, sollten wir vor den eigenen Türen der etablierten Fachrichtungen kehren – auch hier offenbar wird zu schnell zu Unausgereiftes produziert und publiziert. Von wegen “hart” oder “weich”.
Bleibt nur noch die Frage, warum es ausgerechnet selbsterklärte skeptische atheistische Männer nötig haben, sich an den Gender-Studien abzuarbeiten…
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