i-98d98e013ce2708e3286a0d68fc895bb-Mug_and_Torus_morph.gif

Wann haben zwei Flächen dieselbe Form? Ein offensichtliches Beispiel wäre, wenn die eine einfach nur eine Abbildung der anderen in größerem oder kleinerem Maßstab ist.

Also etwa eine Sphäre vom Radius 1 und eine Sphäre vom Radius 0.0001 haben mit jeder vernünftigen Definition von ‘Form’ dieselbe Form.

Allgemeiner wird man aber auch sagen, daß zwei Flächen dieselbe Form haben, wenn eine aus der anderen etwa durch Dehnen, Stauchen, Verbiegen, Verzerren oder Verdrillen hervorgeht. Ein Beispiel zeigt das Applet, wo ein Donut in eine Kaffeetasse verformt wird. (Quelle: Wikipedia.)

Formgleiche Flächen bezeichnet man in der Mathematik als homöomorph. (Zur exakten Definition von Homöomorphie kommen wir weiter unten.)

Als Topologie, um diesen Begriff auch gleich einmal zu klären, bezeichnet man den Teil der Geometrie, der sich für diejenigen Eigenschaften interessiert, die nur von der Form (und nicht von Größen wie Längen, Winkeln, …) abhängen.

(Topologie kommt vom griechischen Topos (Ort) und Logie (Lehre). Im Spanischen heißt ‘topo’ Maulwurf, womit man Topologie auch als Maulwurfslehre übersetzen könnte. Diese Tatsache hat offensichtlich eine Mathe-Diplomandin Blogmarie dazu veranlaßt, auf ihrem Blog einen Artikel Wissenschaft erklärt – heute: Topologie zu verfassen. Zitat: Die Topologie ist eine verhältnismäßig junge Disziplin und hat ihren Ursprung in der Maulwurfplage, die Spanien 1974 heimsuchte […] Die Topologie überdauerte die Franco-Diktatur und war bald auch außerhalb der Iberischen Halbinsel anerkannte Teildisziplin der Biologie. Man beachte auch den Folgeartikel Maulwurfvernichtung.)

Das eigentlich bemerkenswerte an diesem eigenartigen Beitrag ist, daß dies der FÜNFTE unter 71400 Artikeln ist, den man bekommt, wenn man bei Google ‘Topologie+Wissenschaft’ sucht. Soviel zum Google Page Rank. (Sorry, heute wird das Thema etwas trockener, da müssen zunächst etwas plumpere Scherze für Auflockerung sorgen.)

Um Homöomorphie exakt definieren zu können, erinnern wir zunächst an den Begriff der Stetigkeit.
Wie aus der Schule (hoffentlich) bekannt, ist eine Abbildung f stetig, wenn für jede Folge an, die gegen einen Punkt a konvergiert, auch die Folge f(an) gegen f(a) konvergiert (oder äquivalent, wenn die delta-epsilon-Bedingung für Stetigkeit erfüllt ist). In der Topologie verwendet man lieber die Bedingung, dass f stetig ist, wenn Urbilder offener Mengen (siehe Teil 8) offen sind. (Einen Beweis für die Äquivalenz der verschiedenen Begriffe von Stetigkeit findet man hier, Satz 16CG.)

In der Schule behandelt man natürlich nur Funktionen, die reelle Zahlen auf reelle Zahlen abbilden. Aber wörtlich dieselben Defintionen kann man eben auch für Abbildungen eines metrischen Raumes auf einen anderen metrischen Raum (siehe Teil 8) verwenden.

Stetige Abbildungen reißen also nichts auseinander, wie man in der Schule gelernt hat. Damit eine Abbildung die topologische ‘Form’ erhält, soll sie nichts auseinanderreißen, aber auch nichts zusammenkleben. Daß eine Abbildung von X auf Y nichts zusammenklebt, kann man auch so formulieren, daß die Umkehrabbildung von Y auf X nicht auseinanderreißt (also stetig ist). Dies führt dann auf folgende Definitionen.

Seien X,Y topologische Räume (Teil 8). Eine Abbildung f:X–>Y ist eineindeutig (oder bijektiv), wenn auf jeden Punkt der Menge Y genau ein Punkt der Menge X abgebildet wird. (Damit hat man dann eine eindeutig definierte Umkehrabildung.)
Die Abbildung f ist ein Homöomorphismus, wenn:
– sie eineindeutig ist,
– sowohl f als auch die Umkehrabbildung stetig sind.

Ein offensichtliches Beispiel eines Homöomorphismus ist zum Beispiel die radiale Projektion einer Sphäre vom Radius 10 auf eine Sphäre vom Radius 1.

Ein vielleicht nicht ganz offensichtliches Beispiel war der Homöomorphismus zwischen Donut und Kaffeetasse im Applet vom Anfang. (Jeder Punkt des Donut entspricht einem eindeutigen Punkt der Kaffeetasse. Die Abbildung reißt nichts auseinander, ist also stetig. Und die Umkehrabildung ist stetig, weil ja nichts zusammengeklebt wird, oder anschaulicher: wenn man das Applet rückwärts laufen läßt, wird nichts auseinandergerissen.)

Referenz:
Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6, Teil 7 , Teil 8

Kommentare (4)

  1. #1 Blogmarie
    11. April 2008

    Genau. Die Topologie ist die Lehre der Maulwürfe und Pierre Menard der Autor des Quijote. Es lebe Borges und mein plumper Humor.

    In meiner Prüfung am Montag verkneife ich mir ein Exposé über meine verqueren Theorien zugunsten von Homöomorphismen und Homotopien. Versprochen.

  2. #2 michael
    23. Februar 2010

    > dies der FÜNFTE unter 71400 Artikeln ist < stimmt nicht mehr, es ist der 9. unter 67.900 , und ob der 10. besser ist? Ausserdem funktioniert der Link im drittletzten Abschnitt nicht (mehr?) .

  3. #3 Thilo Kuessner
    23. Februar 2010

    Nun ja, Reihenfolgen bei Google ändern sich mit der Zeit, deswegen kann ich ja nicht ständig den Artikel aktualisieren.
    Den Link habe ich jetzt korrigiert.

  4. #4 vorbelutr ioperbir
    26. März 2023

    Thanks for another excellent post. Where else could anybody get that type of information in such an ideal way of writing? I have a presentation next week, and I’m on the look for such info.

    http://www.vorbelutrioperbir.com