Als topologische Quantenzahlen bezeichnet man physikalische Größen, die aus topologischen Gründen nur “isolierte” Werte (z.B. nur ganzzahlige oder nur halbzahlige Werte) annehmen können.
“Aus topologischen Gründen” heißt hier, daß die physikalische Größe bei stetigen Änderungen der Parameter konstant bleibt (und deshalb Elementen einer passenden “Homotopiegruppe” entspricht). Bei Wikipedia findet man als Beispiel die Baryon-Zahl des Skyrmions. (Die möglichen Baryonzahlen entsprechen der 3. Homotopiegruppe von SU(2).)
Schon Gauß kannte einige Beispiele von Kurvenintegralen, die immer ganzzahlige Werte annehmen und bei stetiger Variation der Kurve konstant bleiben. Eines davon hatten wir im letzten Teil im Zusammenhang mit Elektromagnetismus besprochen.
Es ging um folgendes Problem: man hat einen Draht D, durch den
Wenn man jetzt einen zweiten Draht in dieses Magnetfeld hält, dann fließt ein Strom der Stromstärke J durch den zweiten Draht, und J ändert sich nicht, wenn man den zweiten Draht bewegt ohne den ersten zu durchstoßen.
Wir hatten im letzten Teil erklärt was eine Homotopie von Kurven ist, nämlich eine stetige Deformation. Im Beispiel ändert sich der Stromfluß also nicht bei einer Homotopie des zweiten Drahtes.
Im Beispiel interessieren wir uns nur für kreisförmige Drähte, d.h. geschlossene Kurven in unserem 3-dimensionalen Raum R3. (Mathematisch: Kurven γ:[0,1]–>R3 mit γ(0)=γ(1).)
Die topologische Information über solche Kurven organisiert man in der sogenannten Fundamentalgruppe π1X eines Raumes X. (Im Beispiel ist X der 3-dimensionale Raum ohne den ersten Draht D: die Kurven sollen D ja nicht durchstoßen.)
Einschub: Eine Gruppe ist in der Mathematik eine Menge, auf der man eine Verknüpfung (Addition, Multiplikation) mit bestimmten Eigenschaften (Axiomen) hat. (Ein einfaches Beispiel ist die Gruppe Z der ganze Zahlen mit der Addition als Verknüpfung.)
Für einen Raum X (wie im vorletzten Absatz) definiert man nun die Fundamentalgruppe π1X als die Menge der (in einem fest gewählten Punkt startenden) geschlossenen Kurven (wobei homotope Kurven dasselbe Element in π1X geben sollen), mit der Verknüpfung zweier Kurven wie im Bild definiert als Kombination durch Nacheinanderdurchlaufen beider Kurven. (Man muß natürlich noch die Gruppenaxiome nachprüfen. Mathematische Einzelheiten findet man hier.)
Wozu dient das jetzt?
Zurück zum Beispiel des Elektromagnetismus und der beiden Drähte. Nehmen wir der Einfachheit halber an, daß der erste, rote, Draht D unverknotet ist. X sei dann der 3-dimensionale Raum ohne den Draht D. Der blaue Draht ist also eine geschlossene Kurve in X.
Nun kann man topologisch beweisen, daß für diesen Raum X die Fundamentalgruppe π1X mit der Gruppe Z der ganzen Zahlen übereinstimmt. (Eine Kurve entspricht gerade ihrer Verschlingungszahl mit dem roten Draht.)
Eine physikalische Konsequenz dieser topologischen Tatsache: wenn der Stromfluß I durch den roten Draht gegeben ist, dann hängt der Stromfluß J durch den blauen Draht nur davon ab, welcher ganzen Zahl in Z der blaue Draht (als Element von π1X) entspricht.
Insbesondere sind für den Stromfluß J nur ganzzahlige Vielfache von I möglich.
Der Vollständigkeit halber sollte ich noch erwähnen, daß alles komplizierter wird, wenn der rote Draht bereits “in sich” verknotet ist. Auch dann entspricht zwar jeder möglichen blauen Kurve eine ganze Zahl, aber es kann nicht-homotope Kurven geben, denen dieselbe Zahl entspricht. (Mathematisch: man hat eine surjektive Abbildung π1X –> Z, die aber nicht injektiv ist.)
Literatur: Hatcher, Chapter 1
Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6, Teil 7 , Teil 8, Teil 9 , Teil 10 ,Teil 11, Teil 12, Teil 13, Teil 14, Teil 15, Teil 16, Teil 17, Teil 18, Teil 19, Teil 20, Teil 21, Teil 22
Kommentare (2)