Elektromagnetismus und stetige Deformation von Kurven.

Bekanntlich beschreiben die Maxwell-Gleichung den Zusammenhang zwischen Elektrizität und Magnetismus.

Ein Beispiel: man habe zwei Drähte A und B und lasse einen Strom der Stromstärke I durch Draht A fließen.

Dieser Strom induziert ein Magnetfeld, und damit auch einen Stromfluß im zweiten Draht B.

Die Stärke des Magnetfeldes kann man mit dem Biot-Savart-Gesetz berechnen.

Wenn die Stärke des Magnetfeldes bekannt ist, kann man die Stromstärke J des Stroms durch Draht B mit dem Ampere-Gesetz berechnen.

So weit alles nicht sehr spektakulär. Überraschend aber: Für J wird man immer ein ganzzahliges Vielfaches von I bekommen.

Dieses ganzzahlige Verhältnis J/I nennt man die “linking number” (Verschlingungszahl) der beiden Drähte A und B und es berechnet sich nach folgendem doppelten Kurvenintegral (wobei γ1 bzw. γ2 geschlossene Kurven sind, die die Drähte A bzw. B einmal durchlaufen)

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Dieser Formel, die 1833 von Gauß bei seinen experimentellen Studien zum Magnetfeld der Erde gefunden wurde, wird man wohl kaum auf Anhieb ansehen, daß ihr Ergebnis immer eine ganze Zahl ist.

Tatsächlich beschreibt diese Formel (wie der Name “linking number” nahelegt), wie oft der zweite Draht um den ersten Draht herumläuft. Wenn z.B. wie hier:

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der zweite Draht einmal um den ersten herumläuft, dann ist die “linking number” immer 1 (unabhängig von der genauen Form der Drähte) und es gilt also immer J=I, d.h. durch den zweiten Draht fließt derselbe Strom wie durch den ersten.

Der topologische Hintergrund hierbei ist, daß man den zweiten Draht stetig deformieren kann (natürlich nur ohne den ersten Draht zu durchstoßen) und sich die “linking number” und damit auch die Stromstärke J dabei nicht ändern. (Insbesondere kann man die Kurve in eine Form bringen, für die sich das Integral leichter berechnen läßt.)

Die Ganzzahligkeit (manchmal auch Halbzahligkeit o.ä.) physikalischer Größen ist ein Effekt, der oft auftritt bei Größen, die sich bei stetigen Deformationen nicht ändern.

Was dies nun motivieren sollte, ist eine mathematische Definition von “stetiger Deformation” (in der Mathematik sagt man: “Homotopie”) von Kurven in einem gegebenen Raum M. (Im Beispiel ist der Raum M gerade die Menge aller Punkte im 3-dimensionalen Raum, die nicht zum ersten Draht A gehören. Die Kurve, die wir “homotopieren”, d.h. stetig deformieren wollen, ist der Draht B.)
Im unten grau abgebildeten Raum sollen etwas C0 und C1 homotop zueinander sein, während die linke Kurve zu beiden nicht homotop ist.

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https://mo.mathematik.uni-stuttgart.de/inhalt/aussage/aussage909/

Mathematisch ist eine Kurve in M das Bild einer stetigen Abbildung γ:[0,1] –> M.
Zwei Kurven γ0 und γ1 sind homotop, wenn es eine stetige Abbildung H:[0,1]x[0,1] gibt mit H(t,0)=γ0(t) und H(t,1)=γ1(t) für alle t aus [0,1].
Anschaulich bedeutet dies, daß man eine von einem zweiten Parameter abhängende Menge von Kurven hat, die (wie im nächsten Bild) von γ0 bis γ1 geht.

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Natürlich sind, wie man sich leicht überlegen kann, in der Ebene oder im dreidimensionalen Raum alle Kurven zueinander homotop.

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Interessant wird es erst, wenn man Teile des Raumes “herausnimmt”. Wie im ersten Beispiel, wo die Kurven eben den ersten Draht A nicht schneiden durften. Oder wie im ersten Bild, wo der graue Raum eben “Löcher” hat.

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