Wie integriert man cos(x)/(x2+1)?

Die Entwicklung der Topologie (speziell des Homotopie-Begriffs und der Fundamentalgruppe) durch Poincare war ursprünglich stark beeinflußt von der Verwendung topologischer Methoden bei der Berechnung von Integralen (die ursprünglich schon auf Cauchy zurückgehen, der aber die topologischen Begriffe dabei nicht so betont hatte).

Da jetzt Anfang August ohnehin kaum jemand mitlesen dürfte, kann man wohl auch einmal solch ein abstrakteres Thema besprechen.
Für diese und die nächste Folge sollte man wissen, was Integrale und Komplexe Zahlen sind. (Im weiteren Verlauf der Serie wird dies dann aber keine Rolle mehr spielen.)

In der Schule lernt man die Berechnung von Integralen mit Hilfe von Stammfunktionen. Wenn man etwa x2 von 0 bis 1 integrieren will, dann nimmt man die Stammfunktion x3/3 und berechnet sie an den Grenzen, also 13/3-03/3=1/3.

Es gibt natürlich viele Funktionen, deren Stammfunktionen nicht bekannt sind, wo man das Integral also nicht so einfach berechnen kann. Was ist z.B. das Integral von sin(x)/x?
Oder von cos(x)/(x2+1)? Eine Stammfunktion durch Probieren findet man jedenfalls nicht.

Um eine von vielen naturwissenschaftlichen Anwendungen zu bringen: das Integral von cos(x)/(x2+1) kommt bei der Berechnung der Cauchy-Lorentz-Verteilung vor. Diese Verteilung beschreibt Resonanzkurven (d.h. Schwingungsamplitude in Abhängigkeit von der Erregerfrequenz) zumindest in 1.Näherung. (Disclaimer: das habe ich jetzt nur aus der Wikipedia abgeschrieben. Hoffe aber, es stimmt trotzdem.)

Wie oft ist es hilfreich, komplexe Zahlen zu benutzen, also die reellen Zahlen (über die man integrieren will) aufzufassen als Teilmenge der Ebene der komplexen Zahlen.

Im folgenden bezeichnet C die komplexe Zahlenebene. Für eine Kurve K und eine Funktion f bezeichnen wir das Kurvenintegral mit K

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wobei die Kurve K in der komplexen Zahlenebene C liegen soll. Z.B. wenn die Kurve die reelle Zahlengerade ist (oder ein Intervall), stimmt dies natürlich mit dem aus der Schule bekannten Integralbegriff überein.

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Wir wollen das Integral von cos(x)/(x2+1) über die gesamten reellen Zahlen berechnen, also den Grenzwert (für a gegen Unendlich) des Integrals von cos(x)/(x2+1) in den Grenzen von -a bis a.
cos(x)/((x2+1) ist der Realteil von eix/(x2+1), man kann also auch das Integral dieser Funkion berechnen und dann den Realteil nehmen.

Wenn man wie im Bild noch einen Halbkreis zum Intervall [-a,a] hinzunimmt, erhält man eine geschlossene Kurve K. Natürlich ergibt sich das Integral über K als Summe der beiden einzelnen Integrale über das Intervall und den Halbkreis.

Weiterhin kann man (mit etwas Arbeit) zeigen, daß das Integral von eix/(x2+1) über den Halbkreis gegen Null geht (wenn a gegen Unendlich geht).
(Deshalb nimmt man eix: das ist auf der oberen Halbebene im Gegensatz zu cos(x) eine beschränkte Funktion, wenn man durch x2+1 teilt, bekommt man eine Funktion, deren Integral gegen 0 geht.)

Damit ist (zumindest im Grenzwert für a gegen Unendlich) das Integral über die reellen Zahlen dasselbe wie das Integral über die geschlossene Kurve K.

A priori hat man natürlich nichts gewonnen, wenn man jetzt statt des Integrals über die reellen Kurven das Integral über eine große Kurve in der komplexen Zahlenebene berechnen muß. Der Punkt, der die Topologie ins Spiel bringt, ist, daß man (unter bestimmten Voraussetzungen) geschlossene Kurven stetig deformieren kann ohne den Wert des Integrals zu ändern. Dazu (und zur Berechnung des Beispiels) nächste Woche.

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