Kein Beitrag zum Darwinjahr, sondern zur Didaktik.
Jan Weiler rief im Stern vor einigen Wochen das Ende der Kreidezeit aus. Und gab den Lehrern eine Warnung mit:
“Allen technikbegeisterten Lehrern sei an dieser Stelle warnend zugerufen: Freut euch nicht zu früh, denn das Whiteboard macht nicht nur die klassische Tafel sowie die aufgerollte Karte samt Ständer entbehrlich, sondern auch euch. Sobald die Kinder begriffen haben, wie man das moderne Tafelmedium richtig benutzt, können die schön ohne euch Unterricht machen. Nicht einmal, um den Tafeldienst einzuteilen, benötigen die euch dann noch.
Und was machen die vielen Millionen deutschen Lehrer dann? Sie hocken übel gelaunt in den Städten herum und fragen Passanten, ob sie ihnen gerade mal die binomischen Formeln erklären dürfen. Oder man sitzt im Zug, und eine kleine Frau fragt schüchtern: “Möchten Sie vielleicht den Zitronensäurezyklus kennenlernen?” Das ganze Land ist übersät von mäßig elegant gekleideten Geschichtslehrern, die gerne über das Mittelalter plaudern, und naturwissenschaftlichen Fachkräften, die ungefragt heitere Knallgasexperimente vorführen.”
Das Ende der Kreidezeit wird in den letzten Wochen noch häufiger als sonst beschworen, so mein Eindruck:
– Die WELT veröffentlichte am 16.1. einen (ernstgemeinten) Artikel “Der Abschied von der Kreidetafel” von Marie Teresa Giese. Es geht um eine Hamburger Schule, “in der interaktive Whiteboards in allen Klassenräumen gegen herkömmliche Kreidetafeln ausgetauscht wurden. Die moderne Tafel wird elektronisch betrieben und erweitert zusammen mit Rechner und Beamer die Arbeiten in der Klasse um zahlreiche Funktionen. Eine Internetverbindung kann von der Tafel aus hergestellt, Filme eingespielt oder bereits gespeicherte Tafelbilder wieder aufgerufen werden.”
– Christian Spannagel von der PH Ludwigsburg setzt sich in diesem Kommentar mit der praktischen Umsetzung auseinander.
– Nachteile werden in diesem (trotz der reißerischen Überschrift sehr lesenswerten) Artikel von Helmut Wicht diskutiert.
Persönlich würde ich (jedenfalls in nächster Zeit) nicht auf Beamer-Vorlesungen umstellen wollen. Ein offensichtlicher Nachteil (jedenfalls beim gegenwärtigen Stand der Technik): bei Beamer-Vorträgen (genauso wie natürlich bei klassischen Folienvorträgen) “verschwinden” die Informationen zu schnell wieder. Man sieht immer nur den Inhalt der aktuellen Folie oder (im günstigsten Fall, wenn es zwei Projektoren gibt) der letzten beiden Folien. Bei einem Tafel-Vortrag bleibt der Text stehen und man kann (als Zuschauer) immer noch mal “zurückblättern” – was bedeutete dieser Begriff, wie war der logische Zusammenhang, was war in der Einleitung zu diesem Thema gesagt worden usw. Diese Möglichkeit hat man bei Folien- oder Beamer-Vorträgen nicht.
Aber es ist natürlich möglich, daß sich die Technik entwickelt und daß das in 5 oder 10 Jahren ganz anders aussehen wird.
Und andererseits ist es schon erstaunlich, was man inzwischen mit Beamer alles machen kann. Zwei Beispiele von der Atiyah 80-Konferenz.
Der erste screenshot ist von einem pdf eines Einführungs-Vortrags über Stringtheorie für Mathematiker von Cumrun Vafa (auch inhaltlich sehr zu empfehlen – hier zum Download als pdf). Wie man sieht, kann man inzwischen auch bei Beamer-Vorträgen die Kreidetafel kopieren:
Die nächsten Bilder sind aus der Algebraischen Topologie. Wie ich schon kurz berichtet hatte, wurde auf der Atiyah 80-Tagung im Vortrag von Mike Hopkins ein Beweis der Kervaire-Vermutung (außer in Dimension 126) angekündigt. (Darüber werde ich vielleicht später noch einmal ausführlicher schreiben.) Die folgenden Bilder sind 7 aufeinanderfolgende Folien aus diesem Vortrag (hier zum Download als pdf).
Solche Bilder wären mit Kreide an der Tafel nicht möglich gewesen.
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