Die Form einer Trommel bestimmt ihren Klang. Bestimmt auch der Klang die Form?

Also: man hat eine Membran, die entlang eines festen Randes eingespannt ist und kennt (‘hört’) ihre Schwingungs-Frequenzen. Kann man daraus die Form der Membran bestimmen? (“Can a plane region R be determined from the natural frequencies of a membrane fixed along the edge of R” war die Frage im Original in Mark Kac bekanntem Artikel Can one hear the shape of a drum?.)

Eine der Anwendungen hyperbolischer Metriken auf Flächen, die wir in den letzten Wochen besprochen hatten, ist die besonders regelmäßige Beschreibung von Chaos (TvF 74). Andere Anwendungen gibt es in der Zahlentheorie, wo man zum Beispiel die Länge geschlossener Geodäten oder die Eigenwerte des Laplace-Operators auf hyperbolischen Flächen benutzt, wie etwa bei der Selberg’schen Spurformel mit diversen Anwendungen in der Zahlentheorie. Das hat Anwendungen z.B. in der sogenannten Quantenchaos-Theorie. In den nächsten Wochen soll es aber zunächst um eine bodenständigere Anwendung gehen, nämlich Flächen unterschiedlicher Form mit demselben Klangspektrum.

Schwingende Saiten und Trommeln

Ein bekanntes Beispiel aus DGL-Vorlesungen ist das ‘Problem der schwingenden Saite’ (Sturm-Liouville-Problem):

man hat eine Saite der Länge L, die an ihren Endpunkten fest eingespannt ist, und die zum Schwingen gebracht wird. (Bild: Raumakustik)

Die Auslenkung u erfüllt eine Wellengleichung.

i-a7bbc16b3e034bb9679dbd4d0a26b072-raumakustik201.gif

Die möglichen Lösungen u(x,t) lassen sich zerlegen als u(x,t)=v(x)(A cos Dt + B sin Dt), wobei v(x) eine Lösung der Gleichung d2v/dx2=λv mit den Randbedingungen v(0)=0,v(L)=0 ist. (λ kann irgendeine reelle Zahl sein und heißt dann, wenn es eine solche Lösung v gibt, Eigenwert von d2/dx2.)
Man kann dann nachrechnen, daß die möglichen Lösungen v(x) (die ‘Eigenschwingungen’) von der Länge L abhängen: bei festem L hat man als Lösungen C cos(nxπ/L) mit einer natürlichen Zahl n. (n muß eine natürliche Zahl sein, damit die Randbedingung v(L)=0 stimmt.)

Das selbe Problem für eine 2-dimensionale Trommel statt einer 1-dimensionalen Saite: man sucht wieder die Eigenschwingungen v, diese sind Lösungen der Gleichung d2v/dx2+d2v/dy2=λv mit der Randbedingung v(x,y)=0 für alle Randpunkte. (Die Trommelfläche ist in einen festen Rand eingespannt, der nicht mitschwingt.)
Wenn man zum Beispiel die Trommelfläche in das Viereck mit Eckpunkten (0,0),(0,1),(1,1),(1,0) einspannt, dann ist

v(x,y)=cos(mπx)cos(nπy)

(mit natürlichen Zahlen m,n)

eine Eigenschwingung zum Eigenwert mn.

i-96b45c6ba1df6d819176e7bd6e51bba7-quadrat01.gif

Die Form einer Trommel hören.

Die in den beiden Beispielen vorkommenden Operatoren d2/dx2 bzw. d2/dx2+d2/dy2 sind sogenannte Laplace-Operatoren.

Die Berechnung der Eigenwerte des Laplace-Operators wird oft unter dem plakativen Titel “Can one hear the shape of a drum?” (“Kann man die Form einer Trommel hören?) verkauft.

Die Klänge, die von einer (in einen festen Rand eingespannten) Trommel-Fläche erzeugt werden können, hängen nämlich von der Form der Fläche (der Riemannschen Metrik) ab:
Die Eigenwerte des Laplace-Operators bestimmen die Obertöne der Trommel und diese (s. Wikipedia) “bestimmen bei vielen musikalischen Instrumenten die Tonfarbe”.

Der Laplace-Operator auf einer flachen ebenen Fläche (also einer Teilmenge der euklidischen Ebene wie im Beispiel oben) ist der Operator

i-753f40971f933043dd133d70aba17c75-3f8a73b862c76cd58fe62fef5805bbac.png

Der Laplace-Operator im euklidischen 3-dimensionalen Raum ist

i-149e3841e0a3829ea8f64f1b4a95bd2f-55a651ebbb7a2a38c97d30126569100c.png

(Auf gekrümmten Flächen oder höher-dimensionalen Mannigfaltigkeiten hat man eine kompliziertere Formel.)

(Der Laplace-Operator spielt z.B. auch eine Rolle bei der Bestimmung des elektrostatischen Potentials, s. TvF 67, dort berechnet man aber nur die Eigenfunktion zum Eigenwert 0.)

Die Frage, ob man die Form einer Trommel hören kann, gibt dann also das mathematische Problem: ist die Riemannsche Metrik einer Fläche eindeutig bestimmt durch die Eigenwerte des Laplace-Operators?

(Wenn es um Trommeln geht, interessiert man sich natürlich nur für Flächen mit feststehendem Rand. In der Mathematik betrachtet man das Problem aber auch für geschlossene Flächen und höher-dimensionale Mannigfaltigkeiten.)

Die Formulierung des Problems soll auf Hermann Weyl zurückgehen, populär wurde die Frage durch einen 1966 erschienenen Artikel von Mark Kac.

‘Echte’ Trommeln

Die ersten Beispiele von unterschiedlichen geschlossenen Flächen mit denselben Eigenwerten des Laplace-Operators wurden 1980 von Marie-France Vigneras gefunden, es handelte sich um bestimmte (mit arithmetischen Methoden konstruierte) hyperbolische Flächen und der Beweis benutzte die Selbergsche Spurformel.

(16- bzw. 12-dimensionale Beispiele waren schon früher von Milnor bzw. Kneser gefunden worden.)

Dazu in den nächsten beiden Wochen.

Die Frage nach ‘echten’ Trommeln (also Flächen mit Rand, die im 3-dimensionalen Raum liegen), die dieselben Eigenwerte des Laplace-Operators haben, wurde erst 1992 von Gordon-Webb-Wolpert gelöst.

Sie fanden Beispiele von Flächen mit Rand (nämlich die beiden Flächen rechts oben, oder als ein anderes Beispiel das Paar rechts unten), die nicht isometrisch sind, aber die selben Eigenwerte des Laplace-Operators haben.
Diese unterschiedlichen Trommeln haben also denselben Klang.

i-140c89f30288554ab3cc8d6095ba1c55-happ1-fig-pg13.gif

Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6, Teil 7 , Teil 8, Teil 9 , Teil 10 ,Teil 11, Teil 12, Teil 13, Teil 14, Teil 15, Teil 16, Teil 17, Teil 18, Teil 19, Teil 20, Teil 21, Teil 22, Teil 23, Teil 24, Teil 25, Teil 26, Teil 27, Teil 28, Teil 29, Teil 30, Teil 31, Teil 32, Teil 33, Teil 34, Teil 35, Teil 36, Teil 37, Teil 38, Teil 39, Teil 40, Teil 41, Teil 42, Teil 43, Teil 44, Teil 45, Teil 46, Teil 47, Teil 48, Teil 49, Teil 50, Teil 51, Teil 52, Teil 53, Teil 54, Teil 55, Teil 56, Teil 57, Teil 58, Teil 59, Teil 60, Teil 61, Teil 62, Teil 63, Teil 64, Teil 65, Teil 66, Teil 67, Teil 68, Teil 69, Teil 70, Teil 71, Teil 72, Teil 73, Teil 74, Teil 75