Warum man die Krise nicht vorhersah: “[Die Ökonomen] hatten das Gefühl, erst dann theoretisch zu arbeiten, wenn sie auch komplizierte Mathematik verwendeten mit ersten und zweiten Ableitungen.”
In der FAZ ist heute ein Artikel “Dreißig nutzlose Jahre” über einen Vortrag, den Wirtschaftsnobelpreisträger1 Paul Krugman an der London School of Economics gehalten hat.
Es geht um die Frage, warum die Wirtschaftswissenschaftler die aktuelle Krise nicht vorhergesehen haben.
Krugman, der bekanntlich dem Keynesianismus nahesteht, sieht die Ursache in zu starken Rationalitätsannahmen, d.h. der Annahme, “dass die Menschen mehr oder weniger über alle Informationen verfügten und ein eigenes Modell hätten, mit dem sie vernünftige Erwartungen über die Zukunft herleiten könnten.”
Krugman führt diese Entwicklung der Wirtschaftswissenschaft auf Milton Friedman zurück, der damit in den 60er Jahren den Zusammenhang zwischen Inflation und steigenden Arbeitslosenzahlen vorhergesagt hatte, in Krugmans Worten “einer der großen Vorhersageerfolge der Ökonomie”.
Die weiteren Entwicklungen der letzten 30 Jahre (speziell die Theorie der rationalen Erwartungen von R.Lucas) hätten aber “Friedman ernster [genommen] als Friedman sich selbst” und damit letztlich zu den Schwierigkeiten der Ökonomen geführt, die heutige Krise vorherzusehen.
Aus dem FAZ-Artikel:
Lucas’ These hatte jedoch ein Problem: Sie konnte Konjunkturschwankungen und Krisen nur schlecht erklären, zumindest konnte sie sie nicht mit menschlichem Verhalten erklären. Denn die Menschen verhielten sich bei Lucas ja stets rational, neigten also nicht zu Übertreibungen wie Gier und Angst. So spaltete sich die Wissenschaft nach Lucas in zwei Lager: die einen, die weiterhin an den vollständig rationalen Menschen glaubten und die Schwankungen in der Konjunktur vor allem mit Technologieschocks erklärten (Real-Business-Cycle-Schule), und die anderen, die glaubten, dass Menschen eben nicht vollständig rational waren und dadurch Schwankungen in der Wirtschaft auslösen konnten (Neue Keynesianer)
Und speziell zur Mathematisierung (und dem Zitat aus der Überschrift):
Sie hatten das Gefühl, erst dann theoretisch zu arbeiten, wenn sie auch komplizierte Mathematik verwendeten “mit ersten und zweiten Ableitungen”. Und das ging nun einmal besser, wenn man vom rationalen Menschen ausging. So führte für Krugman der Erfolg der Rationalitätsannahme gepaart mit einer Mathematikmanie dazu, dass die Wissenschaftler in dieser Krise blind waren.
Na ja, für Naturwissenschaftler ist es wohl eher amüsant, daß Ökonomen die Verwendung von Ableitungen schon als komplizierte Mathematik ansehen. Krugmans Schlußfolgerung ist jedenfalls, wenig überraschend, man solle erst beobachten, dann interpretieren. Was ja der Verwendung von Mathematik eigentlich nicht widerspricht.
Disclaimer: ich habe das Original von Krugmans Vortrag nicht gelesen, dieser Beitrag paraphrasiert nur den FAZ-Artikel.
1 Jaa, ich weiß, den Wirtschaftsnobelpreis gibt’s nicht. Kann man hier oder hier nachlesen.
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