Hyperbolische Geometrie, Gruppentheorie und die Geometrie des Herzens.

Hyperbolische Geometrische Gruppentheorie

Eine der sicherlich spektakulärsten Anwendungen von “negativer Krümmung” ist in der Gruppentheorie: Man gibt Gruppen eine Geometrie, und schaut sich alle Gruppen an, deren Geometrie negativ gekrümmt ist. Für diese Gruppen kann man dann (mit geometrischen Methoden) Sätze beweisen, die sonst zu schwierig wären.

‘Geometrie’ einer Gruppe:
man stellt die Gruppe bildlich durch den Cayley-Graph dar –
das ist ein Graph, dessen Ecken den Gruppenelementen entsprechen, und in dem zwei Ecken durch eine Kante miteinander verbunden sind, wenn sich das eine Gruppenelement aus dem anderen durch Multiplikation mit einem Erzeuger ergibt.

(Für diese Konstruktion muß man natürlich vorab eine Menge von Erzeugern der Gruppe festgelegt haben. Mit verschiedenen Mengen von Erzeugern kann man zwar unterschiedliche Cayley-Graphen bekommen, deren geometrische Eigenschaften hängen aber im Wesentlichen nicht von den gewählten Erzeugern, sondern nur von der Gruppe ab – jedenfalls solange man nur endliche Mengen von Erzeugern benutzt.)

Die ganzen Zahlen mit dem Erzeuger {1} haben diesen Cayley-Graph:

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Für die freie Gruppe mit 2 Erzeugern sieht der Cayley-Graph so aus:

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Quelle: Mathworld

Jede Kante des Cayley-Graphen hat Länge 1 – damit hat man einen metrischen Raum (TvF 8), also eine ‘Geometrie’: man kann sich Geodäten (kürzeste Verbindungen), Dreiecke, Längen und Winkel anschauen.

Nun hatten wir ja in den letzten beiden Wochen (TvF 81 und TvF 82) darüber geschrieben, daß sich ‘negative Krümmung’ auch über Dreiecksvergleich definieren läßt: ein Raum hat Krümmung ≤ 0, wenn Dreiecke dünner sind als in der euklidischen Ebene, analog: er hat Krümmung ≤ -1, wenn Dreiecke dünner sind als in der hyperbolischen Ebene.

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https://www.learner.org/courses/mathilluminated/units/8/textbook/04.php

Man definiert dann: “hyperbolischen Gruppen” sind Gruppen, in deren Cayley-Graphen Dreiecke dünner sind als in einem negativ gekrümmten Raum. (Präzise Definition hier.)

Das ist zunächst natürlich nur eine Definition, ein Begriff, der eine Klasse von Gruppen beschreibt. Die Gruppe der ganzen Zahlen und die freien Gruppen sind hyperbolisch, wie man an den Bildern oben unschwer erkennen kann. (In diesen beiden Graphen sind ja sogar alle Dreiecke entartet, dünnstmöglich, sozusagen Inkreisradius 0 , Krümmung ‘minus unendlich’.)
Tatsächlich gibt es sehr viele hyperbolische Gruppen, in einem gewissen statistischen Sinn sind sogar ‘fast alle’ Gruppen hyperbolisch. (Siehe auch “Zufällige Gruppen und das Mengerfraktal”.)
Sozusagen in Analogie zur Geometrie der Flächen (wo ja auch die meisten Flächen, nämlich alle außer der Sphäre oder dem Torus, hyperbolisch sind) oder zur Geometrie 3-dimensionaler Räume sind auch in der Gruppentheorie die meisten Gruppen hyperbolisch.

Welchen Sinn macht es, eine spezielle (wenn auch sehr häufige) Sorte von Gruppen ‘auszuzeichnen’?
Gromov wird das Zitat zugeschrieben, daß jeder für beliebige Gruppen gültige gruppentheoretische Satz entweder trivial oder falsch ist.
Nun gibt es sicherlich Gegenbeispiele zu dieser Behauptung (und man könnte auch erwidern, daß eine solche in absoluter Allgemeinheit formulierte Aussage über Mathematik entweder trivial oder falsch sein muß), aber jedenfalls ist es tatsächlich so, daß sich viele mathematische Sätze zwar für alle hyperbolischen Gruppen beweisen lassen, der Status für beliebige Gruppen aber völlig unklar ist.
(Dazu gehören zum Beispiel die Novikov-Vermutung, die Baum-Connes-Vermutung, die Farrell-Jones-Vermutung, die Kadison-Kaplansky-Verrmutung.)
Hyperbolizität ist sozusagen die richtige Definition, um eine allgemeine Theorie für (eine große Zahl von) Gruppen aufzubauen.

Die Forschung über hyperbolische Gruppen geht zurück auf einen 1985 veröffentlichten Essay von Gromov. Leichter verständlich sind elementare Bücher von Coornaert-Delzant-Papadopoulos und Ghys, de la Harpe et al.

M. Gromov hat dieses Jahr u.a. für die hyperbolischen Gruppen den Abelpreis erhalten. Wir hatten im März schon aus der Begründung zitiert:

Mikhael Gromov is among the pioneers in using geometrical methods in group theory. In the early 1980s, he introduced and developed the notion of a hyperbolic group, also known as a Gromov hyperbolic group. By definition this is a finitely generated group equipped with a word metric satisfying certain properties characteristic of hyperbolic geometry.
In a seminal paper of 1987, Gromov proposed a far ranging research program for hyperbolic groups, which has inspired an entire generation of geometric group theorists.
A special highlight amomg the results of Gromov in geometric group theory is his proof of an old conjecture according to which a finitely generated group of polynomial growth has a nilpotent subgroup of finite index. Another highlight is his contributions to the construction of non-arithmetic discrete groups of hyperbolic transformations in arbitrary dimension.

Nichteuklidische Geometrie des Herzens

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Schlagendes Herz (Magnetresonanztomographie)

Gromov soll inzwischen ein neues Projekt verfolgen – mittels nichteuklidischer Geometrie die Aktivität des Herzens zu modellieren. Ich verstehe von dem Thema ja nichts und verweise deshalb einfach auf den Artikel in der NZZ von George Szpiro:

Es handelt sich dabei um die Modellierung des menschlichen Herzens. Allerdings meinen Gromov und seine Mitarbeiter Aleksander Panfilov, David Young und Aleksey Zaitsev mit Modellierung nicht die Darstellung des Organs im gewöhnlichen dreidimensionalen Raum. Für sie ist nicht die Anatomie des Herzens massgebend, sondern die Geschwindigkeit, mit der sich elektrische Impulse im Gewebe ausbreiten.

Das Herz als Mannigfaltigkeit

Die Mathematiker beschlossen, das Herz als eine sogenannte Mannigfaltigkeit (ein topologisches Gebilde) zu betrachten, in der Impulse nicht immer den kürzesten Weg wählen, sich in verschiedenen Richtungen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ausbreiten können und unter Umständen länger brauchen, um von A zu B zu gelangen als von B nach A. Panfilov hatte realisiert, dass die nichteuklidische Geometrie, in der kürzeste Wege zwischen zwei Punkten nicht entlang geraden Linien, sondern entlang Kurven verlaufen, einen geeigneten Ansatzpunkt für die Untersuchung des Herzens bietet. Ein ehemaliger Kollege von Gromov in Stony Brook, der Mathematiker Jim Simons, der mit der Entwicklung mathematischer Finanzmodelle zum Milliardär geworden war, beschloss, das Projekt zu finanzieren. Die Hoffnung ist, dass der Ansatz, das Herz als nichteuklidische Mannigfaltigkeit zu betrachten, Ärzte dereinst bei der Diagnose von krankhaften Veränderungen unterstützen könnte. Zum Beispiel könnte es sich herausstellen, dass Herzrhythmusstörungen – eine der häufigsten Todesursachen in der industrialisierten Welt – auf einer Änderung der Geometrie im Herzen des Patienten beruhen.

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Kommentare (2)

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    12. Oktober 2010

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