Some like it rough – “Grobe Geometrie”
“From a distance
The world looks blue and green”
heißt es in den ersten beiden Zeilen des von Julie Gold stammenden und u.a. von Bette Midler popularisierten Liedes. Ich habe mir jetzt nicht die Mühe gemacht, herauszusuchen, wo sonst in Literatur oder Populärkultur das Thema ‘Blick aus großer Entfernung’ noch überall in irgendwelchen literarischen oder philosophischen Adaptionen vorkommt.
Jedenfalls macht es auch in der Geometrie manchmal Sinn, Dinge aus großer Entfernung zu betrachten, also lokale Gegebenheiten zu vernachlässigen. Das bezeichnet man dann als “Large-Scale-Geometry” oder “Coarse Geometry” (zu deutsch: “Grobe Geometrie”).
Vor 2 Wochen hatten wir erwähnt, daß man zur Berechnung der Rückkehrwahrscheinlichkeiten von Irrfahrten in der Ebene sich auf die einfachere Aufgabe beschränken kann, Rückkehrwahrscheinlichkeiten von Irrfahrten in einem Gitter zu berechnen. Das liegt letztlich daran, daß das Gitter aus großer Entfernung aussieht wie die ganze Ebene.
Asymptotisch gleiche Geometrien
Mathematisch erfaßt man die Vorstellung von “asymptotisch gleichen” (aus der Entfernung gleich aussehenden) Geometrien mit dem Begriff der Quasi-Isometrie:
eine Abbildung f:X–>Y zwischen zwei Räumen ist eine Quasi-Isometrie, wenn es Konstanten K,L,C gibt, so daß
1/K d(x,y)-L < d(f(x),f(y)) < K d(x,y) + L
für alle x,y aus X gilt,
und außerdem jeder Punkt aus Y Abstand höchstens C vom Bild von f hat..
Zum Beispiel ist die Inklusion Z–>R natürlich eine Quasi-Isometrie (mit K=1, L=0,C=1),
aber auch die Abbildung R–>Z, die jede reelle Zahl auf ihren ganzzahligen Anteil abbildet, ist eine Quasi-Isometrie (mit K=L=1,C=0).
Z und R sind quasi-isometrisch, sie haben asymptotisch dieselbe Geometrie, sehen sozusagen “aus großer Entfernung” gleich aus.
Auf ähnliche Weise bekommt man eine Quasi-Isometrie zwischen dem Gitter Z2 und der Ebene R2. (Daraus folgt z.B. daß die Rückkehrwahrscheinlichkeit von Irrfahrten in der Ebene genau so gleich 1 sein muß, wie das im Gitter der Fall ist, vgl. TvF 86.)
Wir hatten letzte Woche über einige Eigenschaften geschrieben, die bei quasi-isometrischen Räumen übereinstimmen: Rückkehrwahrscheinlichkeit bei Irrfahrten, Typ des Volumenwachstums, Dünnheit von Dreiecken.
(Natürlich stimmen diese Eigenschaften nur “grob” überein. Wenn z.B. die Ebene R2 quadratisches Volumenwachstum (TvF 85) hat, dann hat auch das Gitter Z2 quadratisches “Volumenwachstum” (TvF 87), aber die Formel für das Volumen ist nicht genau die selbe.)
Den Teil der Geometrie, der sich mit solchen “large scale” Eigenschaften befaßt, nennt man Grobe Geometrie.
Fundamentalgruppen und universelle Überlagerungen
Z ist quasi-isometrisch zu R, das Gitter Z2 ist quasi-isometrisch zur Ebene R2 – das sind nur zwei Beispiele eines allgemeinen Prinzips, das Grobe Geometrie und Geometrische Gruppentheorie verbindet:
Satz von Milnor-Svarc: Wenn X ein kompakter Raum ist, dann ist die Fundamentalgruppe π1X quasi-isometrisch zur universellen Überlagerung von X.
(Ein wichtiges Beispiel kompakter Räume sind Riemannsche Mannigfaltigkeiten mit endlichem Durchmesser wie die Sphäre, der Torus oder die anderen geschlossenen Flächen. In der Geometrischen Gruppentheorie benutzt man aber auch oft kompakte Räume, die keine Mannigfaltigkeiten sind.)
Für X=S1 (den Kreis) ist π1X= Z und die universelle Überlagerung ist R. Man bekommt aus dem Satz von Milnor-Svarc also (noch einmal) die Quasi-Isometrie zwischen Z und R.
Für X=T2 (den Torus) ist π1X= Z2 und die universelle Überlagerung ist R2. Man bekommt aus dem Satz von Milnor-Svarc also noch einmal die Quasi-Isometrie zwischen Z2 und R2.
Für X=Brezelfläche bekommt man aus dem Satz von Milnor-Svarc, daß die Fundamentalgruppe der Brezel-Fläche quasi-isometrisch zur hyperbolischen Ebene ist, denn die hyperbolische Ebene ist die Überlagerung der Brezelfläche (TvF 66):
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Quelle: Mathworld
Geometrische Gruppentheorie
Wie an den Beispielen zu Irrfahrten oder Volumenwachstum gesehen, kann man den Satz von Milnor-Svarc benutzen, um schwierige geometrische Probleme auf elementarere Berechnungen in der Geometrischen Gruppentheorie zurückzuführen.
Andererseits stellt sich damit natürlich die Frage, welche Gruppen dieselben (groben) geometrischen Eigenschaften haben. Zum Beispiel ist nicht nur die Fundamentalgruppe der Brezelfläche quasi-isometrisch zur hyperbolischen Ebene, sondern das selbe gilt auch für alle Fundamentalgruppen von Flächen mit mindestens 2 Henkeln (denn auch diese haben eine hyperbolische Metrik, als universelle Überlagerung dann also die hyperbolische Ebene).
Diese unterschiedlichen Gruppen (d.h. ihre Cayley-Graphen, vgl. TvF 83) haben also “aus der Entfernung” dieselben geometrischen Eigenschaften.
Welche Gruppen sind quasi-isometrisch oder, anders gefragt, wie hängen die geometrischen Eigenschaften (des Cayleygraphen) einer Gruppe mit den genuin gruppentheoretischen Eigenschaften zusammen?
Diese Frage ist das Thema der Geometrische Gruppentheorie.
Ein sehr bekanntes Beispiel eines solchen Zusammenhangs ist der Satz von Gromov, daß Gruppen genau dann polynomielles Volumenwachstum haben, wenn sie virtuell nilpotent sind. Hier wird eine Beziehung hergestellt zwischen völlig unterschiedlichen Gebieten, nämlich zwischen einer geometrischen Eigenschaft (polynomielles Volumenwachstum) und einer gruppentheoretischen (virtuell nilpotent).
Gromovs ursprünglicher Beweis benutzte Gromov-Hausdorff-Konvergenz und die Lösung von Hiberts 5. Problem. Ein Beweis, der Hilberts 5. Problem nicht benutzt, wurde vor 2 Jahren von Kleiner gegeben. Gerade gestern ist eine Arbeit von Shalom und Tao auf dem ArXiv erschienen, in der Kleiners Beweis noch verbessert (bzw. quantifiziert) wird. Der Abstract von Shalom und Tao:
We show that for some absolute (explicit) constant C, the following holds for every finitely generated group G, and all d >0:
If there is some R0 > eeCdC for which the number of elements in a ball of radius R0 in a Cayley graph of G is bounded by R0d, then G has a finite index subgroup which is nilpotent (of step less than Cd). An effective bound on the finite index is provided if “nilpotent” is replaced by ‘polycyclic”, thus yielding a non-trivial result for finite groups as well.
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