“Wenn Forschern die Demokratie lästig wird” titelt Spiegel Online heute – und berichtet, Klimaforscher spielen mit dem Gedanken an eine autoritäre Regierungsform, um die globale Erwärmung zu bewältigen.
Ich zitiere mal die Kernsätze:
Um eine global nachhaltige Lebensweise zu realisieren, bräuchten wir umgehend eine “große Transformation”, fordert etwa Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung. Was genau damit gemeint ist, bleibt oft vage. Ein Teil, wenn nicht sogar das Herzstück dieser großen Transformation ist in den Augen mancher Klimaforscher – und anderer Wissenschaftler, die sich an der Diskussion beteiligt haben – ein anderes Politikregime: “Wir benötigen eine autoritäre Regierungsform, um den Konsens der Wissenschaft zur Treibhausgasemissionen zu implementieren,” argumentieren die Australier David Shearman and Joseph Wayne Smith in ihrem Buch “The Climate Change Challenge and the Failure of Democracy”.
Der bekannte Klimaforscher James Hansen fügt ebenso resigniert wie ungenau hinzu, dass im Fall der Klimaveränderung der demokratische Prozess nicht funktioniere. In “The Vanishing Face of Gaia” wiederum schreibt James Lovelock, dass wir die Demokratie aufgeben müssten, um den Herausforderungen der Klimaveränderungen gerecht zu werden. Wir befänden uns in einer Art Kriegszustand.
Also, einerseits wird Schellnhuber und Hansen vorgeworfen, sie wären vage, resigniert und ungenau. Gleichzeitig werden im selben Absatz demokratiekritische Zitate verschiedener “Klimaforscher” angeführt.
Und im letzten Absatz:
Klimaforscher haben sich anscheinend von der – nicht nur umweltdeterministischen – Gesellschaftstheorie Diamonds beeindrucken lassen. Allerdings ziehen sie daraus den falschen Schluss, dass nur autoritär geführte Regime wirksame und richtige Entscheidungen zum Problem des Klimawandels treffen könnten. Die Geschichte lehrt uns, dass das Gegenteil der Fall ist.
Deshalb kann auch das heutige China – im Gegensatz zu den Hoffnungen der australischen Wissenschaftler Shearman und Smith – in dieser Hinsicht kein Vorbild sein.
Man spricht also zunächst über (angebliche) Gesellschaftstheorien der Klimaforscher, und zitiert dann als Beleg die Wissenschaftler Shearman und Smith.
Liebe Spiegel-Redakteure: manchmal kann es hilfreich sein, kurz Google oder Wikipedia zu bemühen, bevor man einen langen Artikel schreibt. Wenn man das tut, erfährt man über die zitierten “Klimaforscher” (von denen die verschiedenen Zitate bzgl. der benötigten autoritären Regierungsform bzw. der notwendigen Aufgabe der Demokratie stammen) folgendes:
– David Shearman ist emeritierter Medizin-Professor
– Joseph Wayne Smith ist Rechtsanwalt und Philosoph
– James Lovelock ist ein 90-jähriger Mediziner, der als Mitbegründer der Gaia-Hypothese zur Physiologie der Erde bekannt ist
Also: die Zitate bzgl. der benötigten autoritären Regierungsform bzw. der notwendigen Aufgabe der Demokratie stammen von Autoren, die (zumindest beruflich) mit der Klimaforschung nichts zu tun haben.
Die Zitate dieser Autoren als Beleg für die Haltung der Klimaforscher zu bringen, ist entweder Ignoranz oder bewußte Irreführung. Erst recht, wenn im selben Absatz wie diese Zitate dann echte Klimaforscher wie James Hansen namentlich erwähnt werden und Behauptungen über die gesellschaftstheoretieschen Schlüsse der Klimaforscher aufgestellt werden.
Noch ein Wikipedia-Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Arglistige_T%C3%A4uschung
Nachtrag (30.12.): Jörg Zimmermann meint, daß auch Lovelock im Artikel falsch vereinnahmt wurde.
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