In Kapitel 9 geht es zunächst um “The Computer and the Brain”, eine 1958 postum veröffentlichte Vortragsausarbeitung von John von Neumann.

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Neumann’s Buch zieht den “Vergleich zwischen Struktur und Funktionsweise des digitalen Computers und dem menschlichen Gehirn”.

Beide sind informationsverarbeitende Geräte und haben deshalb einen Speicher zur Aufbewahrung von Information, trotzdem “scheint die Funktionsweise des menschlichen Gehirns diverse Eigenheiten zu besitzen, die es nicht mit dem Computer teilt und die deshalb keinerlei logische Notwendigkeit besitzen”.

Die Konstruktionsprinzipien von Computer und Gehirn sind verschieden

Kurz zusammengefaßt: Die Rechenmaschine ist eine Erfindung des Menschen, das Gehirn ist ein Resultat der menschlichen Evolution.

Da wir gerade von Evolution sprechen, möchte ich betonen, dass wir über viel bessere Methoden verfügen als Euklid oder Archimedes zu ihrer Zeit. Trotzdem können wir nicht behaupten, wir seien intelligenter als sie. Darin zeigt sich, dass unsere kulturelle Evolution viel rascher voranschreitet als die biologische. Was die Evolution der Computer betrifft, so verläuft diese hinsichtlich der Hardware (Geschwindigkeit und Speicherplatz) wie auch bei der Software (Komplexität und Leistung der unterstützten Programme) in rasantem Tempo. In der Folge bewältigen Computer allmählich schwierige Aufgaben wie Schachspielen oder das Übersetzen natürlicher Sprachen. An dieser Stelle möchte ich eine persönliche Bemerkung einfügen: Ich muss gestehen, dass mir die rasante und anscheinend grenzenlose Entwicklung der Computer ein wenig Angst macht. In meinen Augen spricht nichts gegen die Möglichkeit, dass die Computer unsere kulturelle Evolution überholen und beispielsweise bessere Mathematiker werden, als wir es sind.

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Gesichtscomputer Mark II

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ohne Haut und Schädel

Das Gehirn ist langsam und besitzt eine höchst parallele Architektur

“Eine Veränderung im Nervensystem dauert typischerweise mindestens 1 ms”, das ist “um ein Millionenfaches länger” als eine Operation im Computer. Andererseits kommen Computer, selbst Parallelrechner, nicht an die massiv parallele Struktur der über 1010 Neuronen im Gehirn heran.

Es besteht demnach ein eklatanter Unterschied zwischen einem langsamen, massiv parallel arbeitenden Gehirn und einem schnellen, hoch repetitiven Computer.

Wir haben ein schlechtes Gedächtnis

Das menschliche Gedächtnis ist nicht sehr gut für Mathematik geeignet.
Die für Mathematik wichtigen Eigenschaften des Kurzzeitgedächtnis spielten in der natürlichen Selektion keine große Rolle, deshalb sind sie nicht so gut entwickelt.

Deshalb brauchen Menschen z.B. spezielle Techniken, um sich Zahlen zu merken:

Na ja, das Verfahren im Werbe-Video ist dann vielleicht doch ein bißchen kompliziert 🙂

Das menschliche Gehirn besitzt gut entwickelte visuelle und sprachliche Fähigkeiten

Es herrscht allgemein die Ansicht, Denken und Sprache seien das Gleiche. So schreibt Platon (in Der Sophist): “Also Gedanken und Rede sind dasselbe, nur dass das innere Gespräch der Seele mit sich selbst, was ohne Stimme vor sich geht, von uns ist Gedanke genannt worden”. Die Praxis mathematischen Denkens zeigt die Bedeutung nonverbaler- insbesondere visueller – Elemente.

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https://xkcd.com/231/

Dem menschlichen Denken fehlt es an formaler Präzision

Auch wenn sich mathematische Texte im Prinzip in formaler Sprache schreiben lassen, benutzt jeder Mathematiker eine natürliche Sprache. Die natürlichen Sprachen sind “leistungsfähig und vielseitig”, haben aber das Manko, daß sie “jegliche mechanische Überprüfung der Richtigkeit mathematischer Texte unmöglich” machen.
(Nebenbei bemerkt, gibt es inzwischen einige formalisierte und maschinen-überprüfte Beweise nichttrivialer mathematischer Sätze, siehe “Was ist ein Beweis?”.)

Im Bereich der mathematischen Kreativität ist unsere Überlegenheit erdrückend. Dennoch wird man mir wohl zustimmen, wenn ich behaupte, dass wir mathematische Fragestellungen auf etwas eigentümliche Weise in Angriff nehmen und dass eine außerirdische Gastmathematikerin sich möglicherweise über unsere Vorgehensweise wundern würde.

Ruelle verweist noch auf seinen älteren Artikel Conversations on mathematics with a visitor from outer space und auf Ligeti-Neuweiler: Motorische Intelligenz: Zwischen Musik und Naturwissenschaft, wo erzählt wird, wie die motorische Intelligenz zum Erwerb der Sprache geführt hat und zur Möglichkeit, Musik und Mathematik zu betreiben.

Ruelle: Wie Mathematiker ticken
1 Wissenschaftliches Denken
2 Was ist Mathematik?
3 Das Erlanger Programm
4 Mathematik und Ideologie
5 Die Einheitlichkeit der Mathematik
6 Ein kurzer Blick auf algebraische Geometrie und Arithmetik
7 Mit Alexander Grothendieck nach Nancy
8 Strukturen
9 Die Rechenmaschine und das Gehirn
10 Mathematische Texte
11 Ehrungen
12 Die Unendlichkeit: Nebelwand der Götter
13 Fundamente
14 Strukturen und die Entwicklung von Konzepten
15 Turings Apfel
16 Mathematische Erfindung: Psychologie und Ästhetik
17 Das Kreistheorem und ein unendlich-dimensionales Labyrinth
18 Fehler!
19 Das Lächeln der Mona Lisa
20 „Tinkering” und die Konstruktion mathematischer Theorien
21 Mathematische Erfindung
22 Mathematische Physik und emergentes Verhalten
23 Die Schönheit der Mathematik

Kommentare (7)

  1. #1 nihil jie
    1. Juni 2010

    und schon wieder so ein interessantes buch… wann soll ich denn das alles lesen ? *tztz

  2. #2 Stefan W.
    4. Juni 2010

    Da drängen sich mir aber einige Gedanken, Kommentare auf.

    a) Als Unterschiede Hirn/Computer fällt mir zuerst ein, dass das menschliche Gehirns den Körper steuert, und Entscheidungen trifft. Es ist mit Nerven verbunden und fühlt, und interessiert sich dafür, was es tut. Sosehr der Rechner piept wenn der Akku fast leer ist – das ist dem Rechner egal – nein, halt, schon das ist zu sehr eine Vermenschlichung. Der Computer hat keine Wünsche, und will nichts und hat keinen Sinn für Schönheit, und auch mit 1000x mehr MIPS ändert sich daran nichts. Ich wüßte auch nicht, welches Interesse der Mensch an einem Computer haben sollte, der einen qualitativen Schritt in diese Richtung macht. Selbsterkenntnis? Das könnten wir, wenn wir wirklich wollten, billiger haben.

    “In der Folge bewältigen Computer allmählich schwierige Aufgaben wie Schachspielen oder das Übersetzen natürlicher Sprachen.”
    Ich würde sagen, Computer lassen uns neu darüber nachdenken, was schwierige Aufgaben sind. Solange ist es noch nicht her, daß ein Computer den Weltmeister im Schach schlug, aber immerhin. Den Weltmeister. Dagegen sind Übersetzungen noch nicht über das Niveau der 10. Klasse hinaus, oder Fahrkartenautomaten – dürftig, dürftig. Beziehungsweise in speziellen Gebieten unschlagbar (Wortschatz beim Übersetzen), in anderen inferior.

    Ich würde sagen, meine Katze weiß, was ein Computer ist – wenn sie auch ein Katzenartiges Bewußtsein von Computern hat. Sie weiß, daß er Geräusche macht, und wie er riecht, und daß sie sich auf die Tastatur legen muß. Und der Computer weiß gar nichts von Katzen. obwohl es in der Wikipedia steht, bei Youtube Filme und bei Google Bilder und Texte auffindbar sind.

    Wann wird ein Computer eine Katze im Comic mit einem Aufsatz Chandlers über seine Katze in Verbindung bringen? Verstehen, was der Unterschied zw. einer Katze, und dem Wort “Katze” ist, und wieso es das Unix-Commando cat gibt, und was es mit mouse zu tun hat.

    “Das menschliche Gedächtnis ist nicht sehr gut für Mathematik geeignet.” Ach so? Gibt es so viel Mathematik außerhalb menschlicher Hirne? Was hat denn Zahlenmerken groß mit Mathematik zu tun – v.a. wenn ich mir merken soll, daß eine Tanne auf der Titanic steht? Eine Tanne, Douglasie, eine Buche, oder war es ein Weihnachtsbaum?

    Ich würde umgekehrt denken, daß Mathematik eine enorme Rolle in der Evolution gespielt hat, und dass sie deshab so gut entwickelt ist. Ich habe 4 Bananen und Du hast nur 3. Der Weg zum Wasserloch a ist kürzer als zum Wasserloch b. Wenn die Sonne hinter der 3. Birke aufgeht wird es Frühling, und dann 2 Wochen, bis man Kornart y einsähen muß.

    Denken und Sprache ist nicht das gleiche. Es gibt so viele Leute, die zumindest in 2, 3 Gebieten eine Menge drauf haben, aber es nicht sprachlich ausdrücken können. Von Lothar Matthäus muß man wirklich sagen, daß er Spielintelligenz hatte. Aber wenn er den Mund aufgemacht hat konnte man denken, er sei ein Idiot, eine andere Person.

    Gestern hatte ich einen Geruch in der Nase, der nicht wirklich da war, es war nur etwas entfernt verwandtes in der Luft. Es versetzte mich um Jahrzehnte zurück, aber nicht konkret, ich konnte mich nicht genau erinnern, woran mich der Geruch erinnerte, und war zu sehr auf etwas anderes fixiert, um mir die Zeit zu nehmen, darüber nachzudenken. Oder Bilder – auch da tut sich im Hirn viel, und nur einen Bruchteil davon können wir in Sprache fassen.

    Und Sprache, und formalisierte Sprache, sind nochmal 2 Paar Schuhe.
    “Der Mond ist augegangen,
    die goldnen Sternlein prangen,
    am Himmel hell und klar.
    Der Wald steht schwarz und schweiget,
    und aus den Wiesen steiget
    der weiße Nebel wunderbar.”

    Die außerirdische Gastmathematikerin will ich erst mal sehen. Wenn man sie Mathematikerin nennen will, dann muß sie ja was ähnliches machen wie wir. Daraus schließe ich keck zurück, dass sie auf ähnlichem Wege zur Mathematik gekommen sein muß.

    Es gibt Tierexperimente, bei dem die Tiere (Krähen, Affen) symbolische Aufgaben lösen müssen, um eine Belohnung zu bekommen, keine Raketenwissenschaft, aber prinzipiell abstrakt. Was sollen das für Außerirdische sein? Ist die Differenz von denen zu uns wie die von uns zu Katzen? Zu Kellerasseln?

    Man kann den Gedanken mal anspielen, aber wenn die Differenz zu groß ist, dann können wir es prinzipiell nicht erfassen, dann können wir uns den Kopf zerbrechen, aber wir stehen da wie Robinson, der auf der einsamen Insel eine chinesische Bibliothek vorfindet, mit tausenden Büchern, alle chinesisch, aber kein Wörter- und kein Buch mit Bildern.

  3. #3 Thilo Kuessner
    4. Juni 2010

    Die außerirdische Gastmathematikerin will ich erst mal sehen. Wenn man sie Mathematikerin nennen will, dann muß sie ja was ähnliches machen wie wir. Daraus schließe ich keck zurück, dass sie auf ähnlichem Wege zur Mathematik gekommen sein muß.

    Hmm, zum Beispiel hat es Jahrhunderte gedauert, bis wir auf die Relativitätstheorie gekommen sind. Und viele von uns verstehen sie immer noch nicht, obwohl sie ja nun einmal die Raum-Zeit korrekt beschreibt. Das muß doch wohl an unserem Gehirn liegen. Vielleicht wären Außerirdische mit anders evolvierten Gehirnen da besser als wir.

  4. #4 michael
    4. Juni 2010

    > Dagegen sind Übersetzungen noch nicht über das Niveau der 10. Klasse hinaus, oder Fahrkartenautomaten – dürftig, dürftig.

    Nun und, wie war es denn vor 10 Jahren? Warum sollte hier die Entwicklung stagnieren?

    Und was die sich selbst reparierenden Roboter angeht: z.b https://www.boston.com/news/globe/health_science/articles/2006/11/20/robot_repair_thyself/

  5. #5 Stefan W.
    4. Juni 2010

    Wieso Jahrhunderte – ab wo messen Sie denn? Ich würde ja sagen Jahrhunderttausende, wenn man mit ‘wir’ wir Menschen meint. Wenn ‘wir Schweizer’ gemeint sind – gut, die gibt es erst ein paar Jahrhunderte.

    Die Relativitätstheorie wird ja seltsamerweise mal als sensationell schwierig dargestellt, und dann wird Einstein wieder gelobt, weil er es schaffte in laienverständlicher Form Sachverhalte darzustellen. Kann man sich da vielleicht mal einigen?

    Jedenfalls halte ich es für falsch anzunehmen, daß die Evolution unser Hirn solange verbessert hat, bis wir die RT entwickeln konnten. Vielmehr ist es doch so, daß mit dem Hirn kontinuierlich Wissen angehäuft wurde, und neues Wissen auf altem Wissen basiert, der Prozess der Wissensvermittlung sich aber auch erstmal beschleunigen muß (Buchdruck), bis immer mehr Leute die Forschung immer schneller vorantreiben. Biologisch wären vielleicht Menschen vor 50.000 Jahren ebensogut in der Lage gewesen, die RT zu entwickeln wie Einstein vor 100 Jahren, nur die Kultur war nicht soweit.

    Das anders evolvierte Hirn – ist das nicht eine reine Spekulation, und können wir nicht mit unserem Hirn ganz prinzipiell kein Hirn denken, welches über unseres hinausgeht?

    Es gibt so Personen mit Spezialbegabungen, die Telefonbücher auswendig können, oder man könnte sich eine Person vorstellen, die eine Buchseite aufschlägt, und die man fragt, wieviele e da sind, und sie antwortet korrekt und sofort “256”, so wie wir in einer Obstschale sofort 3 Bananen und 4 Äpfel sehen können, ohne zu zählen. Aber mehr können wir uns doch gar nicht vorstellen, oder? Jemand, der beliebigen Zahlen ansieht, ob sie prim sind?

    @michael: Die Entwicklung sollte stagnieren, weil die Denkprozesse andere sind. Ein Schachprogramm ahmt ja nur auf der äußersten, beobachtbaren Ebene Personen nach – es verschiebt die Figuren auf dem Schachbrett. Und im Getriebe sind die Regeln abgelegt, d.h. in der Analyse, ob Stellungen erlaubt sind, gibt es Unterschiede, denn Computer sind ja gerade nach den Regeln der Logik konstruiert.

    Aber um einen Zug zu machen arbeiten die Rechner letztlich sehr anders, als der Großmeister. Sie berechnen mit roher Gewalt soundsoviele Züge im Voraus, und bewerten sie, und auf diese spezialisierte Weise sind sie letztlich überlegen worden. Aber viele Problemstellungen sind nicht so, dass sie sich gut in Teilprobleme zerlegen lassen, die mit Brute-Force zu lösen sind.

    Was die sich selbst reparierenden Roboter angeht würde ich das auch nicht mit ‘self aware’ – selbst bewußt – beschreiben. Ich würde sagen, sie simulieren Selbstbewußtsein, aber Selbstbewußtsein setzt Gefühle vorraus. Auch mit Millionen Sensoren wird ein Roboter kein Lebewesen, welches zum Beispiel leiden kann, oder sich freuen. Auch wenn man Regelkreise einbaut, die dafür sorgen, daß das Geräte Laute der Lust oder Unlust abgibt, und sein Verhalten entsprechend ändert (nicht auf die heiße Herdplatte fasst).

  6. #6 Thilo Kuessner
    4. Juni 2010

    Jedenfalls halte ich es für falsch anzunehmen, daß die Evolution unser Hirn solange verbessert hat, bis wir die RT entwickeln konnten.

    Das hatte ich auch nicht gemeint. Ruelle schreibt ja auch, daß die kulturelle Evolution schneller fortschreitet als die biologische – daß wir mehr können als die alten Griechen, obwohl sich unser Hirn seitdem in biologischer Hinsicht nicht wesentlich weiterentwickelt hat.

    Die andere Frage wäre, ob auch Wesen denkbar wären, deren Hirn besser für das Verstehen der Relativitätstheorie geeignet ist, die also gar nicht erst den Umweg über die Newtonsche Mechanik gehen würden, sondern denen das mit der Raum-Zeit nach den Gesetzen der RT intuitiv klar wäre.

  7. #7 michael
    4. Juni 2010

    @Stefan W
    > Und im Getriebe sind die Regeln abgelegt, d.h. in der Analyse, ob Stellungen erlaubt sind, gibt es Unterschiede, denn Computer sind ja gerade nach den Regeln der Logik konstruiert.

    Ja, Schach war, was maschinelles Lernen betrifft, wohl eine Sackgasse. Auf anderen Gebieten hat maschinelles Lernen hat im Lauf der Zeit erhebliche Fortschritte gemacht (Gesichtserkennungssoftware, usw).

    Ausgehend von https://de.wikipedia.org/wiki/Maschinelles_Lernen kann man jede Menge dazu finden.

    Und ob ein Computer oder Roboter unbedingt Gefühle haben sollte? Ein amoklaufender Kampfroboter oder ein zickiger Computer im AKW sind jedenfalls keine guter Vorstellung.