Vladimir Arnold, einer der bedeutendsten Mathematiker des 20. Jahrhunderts, ist heute in Paris gestorben.
Jedem Physiker oder Mathematiker ist er sicher bekannt durch seine (sehr geometrisch orientierten) Lehrbücher über Gewöhnliche Differentialgleichungen, Partielle Differentialgleichungen, Singularitäten, Katastrophentheorie, Topologische Methoden in der Hydrodynamik, Mathematische Methoden der Klassischen Mechanik etc.
Arnold wurde gelegentlich als der “Newton des 20.Jahrhunderts” bezeichnet (auch als Gegenstück zu Bourbaki als “Leibniz des 20.Jahrhunderts” – Arnold war ein erklärter Gegner Bourbaki’s.)
Einige wichtige Theorien, an denen Arnold beteiligt war:
Hilberts 13. Problem
Noch als Student im Grundstudium hatte Arnold bewiesen, daß man jede stetige Funktion von 3 Variablen durch Verknüpfung stetiger Funktionen von 2 Variablen darstellen kann.
(Hilbert hatte diese Frage eigentlich für die Lösungen von x7+ax3+bx2+cx+1=0, als Funktion von a,b,c, gestellt.)
KAM-Theorie
Diese nach Kolmogorow, Arnold und Moser benannte Theorie beschäftigt sich mit kleinen Störungen konservativer Systeme. (Was passiert, wenn in unserem Sonnensystem ein Planet einige Meter von der Bahn abkommt?) Es wird bewiesen, daß unter bestimmten “Nicht-Resonanz-Bedingungen” das gestörte System immer noch quasi-periodisch ist.
Katastrophen
Singularitätentheorie, oft auch als Katastrophentheorie bezeichnet, untersucht “Katastrophen”: das Entstehen von Singularitäten durch kleine Störungen einer Funktion. Auf Arnold geht die Klassifikation von Katstrophen zurück, die eng mit der Klassifikation von Lie-Gruppen zusammenhängt.
Topologische Hydrodynamik
Eine inkompressible Flüssigkeit fließt ohne äußere Krafteinwirkung in einem Gebiet. Dann bewegt sich die Vortizität (Wirbelstärke) mit dem Fluß – das haben schon Helmholtz und Kelvin im 19. Jahrhundert bewiesen, mit einer einfachen Rechnung.
Arnold fand für dieses Phänomen eine viel tiefere Erklärung: die Lösung der Euler-Gleichung entspricht dem geodätischen Fluß auf der (unendlich-dimensionalen) Lie-Gruppe der volumen-erhaltenden Diffeomorphismen – und das Helmholtz-Kelvin-Ergebnis folgt dann aus allgemeinen mathematischen Prinzipien.
Arnold hat mit Khesin ein Buch “Topological Methods in Hydrodynamics” über verschiedene Anwendungen der Topologie in der Physik geschrieben.
Floer-Homologie und Hamiltonsche Symplektomorphismen
Wenn f:M–>M eine stetige Funktion und homotop zu f(x)=x ist, dann hat f mindestens so viele Fixpunkte wie die Euler-Charakteristik von M. (Das ist ein bekannter Satz aus der algebraischen Topologie.) Arnold hatte vermutet, daß Hamiltonsche Symplektomorphismen mehr Fixpunkte haben müssen, nämlich mindestens so viele wie die Summe der Betti-Zahlen von M.
Andreas Floer konstruierte Ende der 80er Jahre (unter bestimmten Voraussetzungen) die “Floer-Homologie” und bewies, daß sie (unter bestimmten Voraussetzungen) isomorph zur singulären Homologie ist. Daraus folgt dann sofort (unter den gegebenen Voraussetzungen) die Arnold-Vermutung über die Anzahl der Fixpunkte.
Die Voraussetzungen, unter denen sich Floer-Homologie konstruieren (und damit die Arnold-Vermutung beweisen) läßt, wurden in den letzten 20 Jahren in einer Reihe sehr technischer Arbeiten von verschiedenen Mathematikern immer weiter abgeschwächt, so daß die Arnold-Vermutung inzwischen in vielen Fällen bewiesen ist.
Dynamische Systeme
Und noch ein sehr elementares mathematisches Beispiel, daß nach Arnold benannt ist: Arnolds Katzenabbildung – eine Abbildung f:T2–>T2 des Torus, gegeben durch die Formel f(x,y)=(2x+y,x+y). (Hier faßt man den Torus als Einheitsquadrat mit verklebten gegenüberliegenden Seiten auf.)
Diese Abbildung ist ein einfaches Beispiel für chaotische Dynamik – sie ist ergodisch, mischend,… und natürlich nicht periodisch. Allerdings ergibt jede Diskretisierung im Computer eine periodische Abbildung mit recht kleinen Perioden, was man mit Katzenbildern veranschaulichen kann:
Kommentare (3)