Von “harten” und “weichen” Wissenschaften und wie das Unterbewußtsein Matrizen tötet.

Im Englischen oder Französischen benutzt man das Verb ‘töten’ (‘to kill’ bzw. ‘tuer’) für das Eliminieren von Termen aus Gleichungen. Wenn man in einer Gleichung z.B. eine antisymmetrische Matrix A hat, dann kann man ihre Transponierte At zu beiden Seiten der Gleichung addieren und die Matrix damit ‘töten’ – für antisymmetrische Matrizen gilt ja A+At=0. Im Französischen heißt das dann ‘tuer cette matrix antisymétrique’, im Englischen ‘to kill that antisymmetric matrix’.

Ruelle berichtet nun am Beginn des 19.Kapitels von “Wie Mathematiker ticken”, wie er in einem Vortrag sitzt, dessen Sprecher sich mehrmals verspricht und statt ‘kill that antisymmetric matrix’ sagt: ‘kill that antisemitic matrix’.

Ein offenkundiger Einwand lautet, der ungenannte Seminarteilnehmer habe ungeachtet dessen, was ich meine und behaupte, tatsächlich “antisymmetrisch” gesagt. Das von mir gehörte Wort “antisemitisch” wäre dann ein Produkt meines und nicht seines Unbewussten. Ich werde die Gründe für meine Position nicht disputieren, halte jedoch fest, dass fraglos jemandes Unbewusstes am Werk war. Wessen Unbewusstes, ist es für die Zwecke des vorliegenden Diskussion nicht von Belang.

In Kapitel 16 war es ja schon um die Psychologie mathematischer Erfindungen (nach Poincaré und Hadamard) gegangen. In Kapitel 19 geht es ebenfalls um Psychologie, aber diesmal als Beispiel für die Unterschiede zwischen “harten Wissenschaften” wie der Mathematik und andererseits “weichen” Wissenschaften, die keine klar festgelegte Methodik hätten.

Ruelles Ausführungen dazu lassen sich wohl so zusammenfassen, daß die “weichen” Wissenschaften zwar zu anerkannten und sinnvollen Erklärungen führen können, man aber (wegen der unklaren Methodik) immer wieder auf Beispiele stößt, wo die Fakten letztlich nicht mit den Erklärungsmustern in Übereinstimmung zu bringen sind.

Als Beispiel analysiert Ruelle das Buch Sigmund Freuds über Leonardo da Vinci, der zwar nicht primär Mathematiker war, aber wo es jedenfalls auch um die Persönlichkeit jemandes geht, dessen “Notizbücher von einem unstillbaren Forschungsdrang bei der Beobachtung der Natur und von einem bemerkenswerten technischen Erfindungsgeist” zeugen.

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Während viele von Freuds Erklärungen “relativ gut angenommen” wurden, beruhen im Einzelnen manche Interpretationen auf nicht nachprüfbaren Fakten. Ruelle führt dafür 3 Beispiele aus dem Buch an:
im ersten Beispiel geht es um eine mögliche Namensverwechslung: “So vermerkt Freud, dass in den Aufzeichnungen Leonardos über einen Schüler, dem er scheinbar sehr zugetan war, oder über den Tod seiner Muuter Catarina und seines Vaters Piero da Vinci Zahlen (der Preis für Kerzen etwa) genannt, aber keine Gefühle ausgedrückt werden. Dies ist eine scharfsinnige Beobachtung, die jedoch durch die Tatsache an Gehalt verliert, das nicht sicher ist, ob es sich bei der erwähnten Catarina um Leonardos Mutter oder lediglich um eine Dienerin handelte.”
im zweiten Beispiel geht es um (eine von Freud oral-sexuell interpretierte) Kindheitserinnerung da Vincis, in der ein Vogel vorkommt: “Von der “Kindheitserinnerung” hatte Freud in einer deutschen Übersetzung gelesen, in der nibbio leider fälschlicherweise mit “Geier” statt mit “Milan”, oder Hühnergeier, wiedergegeben wurde. Infolge dieses Irrtums mißt er der Tatsache große Bedeutung bei, dass das Wort “Mutter” im Altägyptischen durch das Bild eines Geiers dargestellt wurde, und verliert sich in sinnlosen Interpretationen”
im dritten Beispiel geht es um da Vincis bekanntes Bild Anna selbdritt, wo Kunsthistoriker heute wissen, daß (anders als von Freud vorausgesetzt) die bildliche Darstellung der Anna selbdritt zu Leonardos Zeit keineswegs ungewöhnlich war.

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https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Leonardo_da_Vinci_020.jpg

Wie reagieren Sie, als Leser dieses Buches,auf diese Erläuterungen? Viele meiner Kollegen, die in “harten” Wissenschaften wie Mathematik oder Physik tätig sind, begegnen der Freudschen Psychoanalyse und anderen weichen Wissenschaften (wie Philosophie oder Wirtschaft) mit Ablehnung.
[…]
“Weich” sind all jene Wissensbereiche, die methodologisch schwach und unsicher sind.
[…]
Da unser Interesse dem mathematischen Denken gilt – warum habe ich dann Siegmund Freud ins Feld geführt? Nun ja, damit nicht vergessen wird, dass im Gehirn des Mathematikers viele Objekte stecken: Theoreme, Lemmata und Geldsorgen ebenso wie “TÖTET die antisemitische Matrix”. All diese Dinge existieren auf unergründliche Art neben- und interagieren miteinander. Zum Glück lässt sich das mathematische Denken logisch von den übrigen Dingen trennen; genau das tun wir im vorliegenden Buch.
[…]

Ruelle: Wie Mathematiker ticken
1 Wissenschaftliches Denken
2 Was ist Mathematik?
3 Das Erlanger Programm
4 Mathematik und Ideologie
5 Die Einheitlichkeit der Mathematik
6 Ein kurzer Blick auf algebraische Geometrie und Arithmetik
7 Mit Alexander Grothendieck nach Nancy
8 Strukturen
9 Die Rechenmaschine und das Gehirn
10 Mathematische Texte
11 Ehrungen
12 Die Unendlichkeit: Nebelwand der Götter
13 Fundamente
14 Strukturen und die Entwicklung von Konzepten
15 Turings Apfel
16 Mathematische Erfindung: Psychologie und Ästhetik
17 Das Kreistheorem und ein unendlich-dimensionales Labyrinth
18 Fehler!
19 Das Lächeln der Mona Lisa
20 „Tinkering” und die Konstruktion mathematischer Theorien
21 Mathematische Erfindung
22 Mathematische Physik und emergentes Verhalten
23 Die Schönheit der Mathematik

Kommentare (1)

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