Extremale Abbildungen und Teichmüller-Theorie
Wir hatten uns die letzten Male damit beschäftigt, wie man den ‘Teichmüller-Raum’, also den Raum der hyperbolischen Metriken auf einer Fläche S, verstehen kann. Vor 2 Wochen hatten wir gesehen, daß dieser dasselbe ist wie der Raum der komplexen Strukturen auf S und letzte Woche hatten wir gesehen, daß zwei komplexe Strukturen gleich sind, wenn es eine “konforme” (d.h. winkel-erhaltende) Abbildung zwischen ihnen gibt, und daß es andererseits zwischen Riemannschen Flächen aber immer eine “quasi-konforme” Abbildung gibt. Dies führt auf die formale Definition des Teichmüller-Raums Teich(S) für eine fixierte Riemannsche Fläche S: Teich(S) besteht aus allen Paaren (X,f), wobei X eine Riemannsche Fläche und f:S–>X ein quasikonformer Homöomorphismus ist (und man (X,f)=(X,g) setzt, falls f und g homotop sind).
Punkte im Teichmüller-Raum sind also Äquivalenzklassen quasikonformer Abbildungen. Um den Teichmüller-Raum zu verstehen, würde man gerne in jeder Äquivalenzklasse einen ‘extremalen’ Vertreter haben. Ein naheliegender Ansatz dazu ist, extremale Abbildungen zu definieren als die Abbildungen minimaler Dilatation (d.h. minimale Verzerrung der Winkel, TvF 152) in der jeweiligen Homotopieklasse. Die Frage ist dann, ob es tatsächlich in jeder Äquivalenzklasse eine eindeutige extremale Abbildung gibt.
Extremale Abbildungen
Für Rechtecke wurde dieses Problem 1928 von Grötzsch gelöst: er bewies, daß (nur) die affinen Abbildungen extremal sind. Den allgemeinen und wesentlich schwierigeren Fall beliebiger Riemannscher Flächen löste aber erst Teichmüller (seine Ansätze wurden später von Ahlfors und Bers im Detail ausgearbeitet), weshalb die Theorie des Modulraums Riemannscher Flächen heute Teichmüller-Theorie heißt.
Es war vor allem in den 90er Jahren wiederholt vorgeschlagen worden, Teichmüller-Theorie in Grötzsch-Theorie umzubenennen.
Negativ-Berühmtheit hat Teichmüller vor allem als stellvertretender Göttinger Mathe-Fachschaftsvorsitzender in den 30er Jahren erworben. Scholz et al. haben sich in einem 1992 in den “Jahresberichten der DMV” veröffentlichten Artikel mit den von Teichmüller im November 1933 organisierten Vorlesungsboykotten beschäftigt und dabei auch das Original eines verschollen geglaubten Briefes veröffentlicht, den Teichmüller damals an Landau schrieb. Der Brief ist ein wirklich bestürzendes Dokument verschwurbelter Rhetorik, Teichmüller wirft Landau dort “ein auf Mangel an Interesse für die oder jedenfalls an eingehender Kenntnis der Mentalität der Mehrheit der Hörerschaft zurückzuführendes Betragen” vor und kommt zu der Schlußfolgerung “Ich wage so wenig wie jeder andere Ihre Fähigkeit der rein international-mathematisch-wissenschaftlichen Belehrung von geeigneten Studenten beliebiger Abstammung zu bezweifeln. Aber ich weiß auch, daß viele akademische Vorlesungen, insbesondere auch die Differential- und Integralrechnung, zugleich erzieherischen Wert haben und den Schüler nicht nur in eine neue Begriffswelt, sondern auch zu einer anderen geistigen Einstellung führen. Da aber die geistige Einstellung des einzelnen von seinem Geiste, der da umgestellt werden soll, abhängt, dieser Geist aber nach nicht nur jetzt, sondern schon lange bekannten Grundsätzen ganz wesentlich von der rassischen Zusammensetzung des einzelnen abhängt, dürfte es sich im allgemeinen nicht empfehlen, z.B. arische Schüler von einem jüdischen Lehrer ausbilden zu lassen.[…]” Landau reichte 2 Tage später ‘freiwillig’ seine Bitte um Entlassung ein.
Man kann es wohl auch als Gegenentwurf zu Teichmüllers Standpunkten ansehen, wenn heute seine mathematische Arbeit eben nicht unter weltanschaulichen Gesichtspunkten beurteilt wird (die wesentlichen Weiterentwicklungen seiner Theorie stammen ja interessanterweise von Mathematikern, die politisch entgegengesetzte Standpunkte vertraten wie z.B. Ahlfors und Bers) und eine klare Trennung von Autor und Werk erfolgt.
Quadratische Differentiale
Teichmüllers Beschreibung der extremalen Abbildungen f sieht i.W. so aus, daß es einige Singularitäten gibt (wo die Abbildung f nicht differenzierbar ist) und daß man zwei singuläre Blätterungen (mit singulären Punkten in den Singularitäten von f) hat, so daß die Blätter der einen Blätterung von f gestreckt und die Blätter der anderen Blätterung von f gestaucht werden.
www.math.uchicago.edu/~margalit/mcg/mcgv50.pdf
Die extremalen Abildungen sind gerade diejenigen, die man mit solchen singulären Blätterungen konstruieren kann. (Nebenbei bekommt man mit dieser Konstruktion auch gleich noch die Geodäten im Teichmüller-Raum: wenn man nämlich die singuläre Blätterung festläßt, aber den Streckungs- bzw. Stauchungsfaktor variiert, bekommt man eine Kurve im Teichmüller-Raum, und diese Kurve ist eine Geodäte bzgl. der Teichmüller-Metrik.) Aus technischen Gründen arbeitet man statt mit den singulären Blätterungen lieber mit holomorphen quadratischen Differentialen, also Differentialen der Form hdz2 für eine holomorphe Funktion h (deren Nullstellen in den Singularitäten von f liegen). Die beiden Blätterungen bestehen dann aus Kurven, deren Tangentialvektoren nach Einsetzen in hdz2 positive bzw. negative reelle Werte geben.
Also: die Punkte im Teichmüller-Raum entsprechen den extremalen Abbildungen, und diese wiederum entsprechen den holomorphen quadratischen Differentialen.
Die Dimension des “Raumes der holomorphen quadratischen Differentiale” (auf einer Fläche mit g Henkeln) kann man aber mit dem Satz von Riemann-Roch berechnen, sie ist 6g-6. Dies bewies dann letztlich Riemanns Vermutung, daß der Modulraum Riemannscher Flächen (vom Geschlecht g) durch 6g-6 Parameter beschrieben wird.
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