Antipoden (Münster und Neuseeland) und projektive Ebenen.

Schon etwas überraschend, daß in all diesen ‘Topologie von Flächen’-Beiträgen bisher nie die projektive Ebene vorgekommen ist. Am Anfang in TvF 7 hatten wir mal das Möbiusband als Beispiel einer einseitigen (=nicht-orientierbaren) Fläche vorgestellt und in TvF 11 war es dann ausführlicher um Links&Rechts und Orientierbarkeit gegangen, aber sonst kamen immer nur orientierbare Flächen vor.

Es hat natürlich einen Grund, daß sich Topologen vor allem für orientierbare Flächen interessieren: jede nicht-orientierbare Fläche hat eine orientierbare 2-fache Überlagerung, die Klassifikation der nicht-orinetierbaren Flächen folgt also aus der Klassifikation der orientierbaren Flächen.)

Aber jedenfalls brauche ich jetzt, für den nächsten Beitrag, dann doch mal projektive Räume und da liegt es dann nahe, hier etwas über die projektive Ebene zu schreiben.

Eine einfache topologische Definition der projektiven Ebene: man nehme ein Möbiusband, dessen Rand ja aus einem Kreis besteht:

und klebe an diesen Kreis eine Kreisscheibe an:

Malewitsch: Schwarzer Kreis

Dieses ‘Ankleben’ läßt sich zwar theoretisch (gedacht) aber nicht praktisch (in unserem 3-dimensionalen Raum) durchführen: die entstehende Fläche kann nicht ohne Selbstdurchdringungen in den 3-dimensionalen Raum eingebettet werden, weshalb Bilder auch immer etwas unschön aussehen:

Jedenfalls ist die so zusammengeklebte Fläche eine projektive Ebene.

Warum ich diese Konstruktion jetzt hier einführe?

Letzte Woche hatte ich ja über “Kompaktifizierungen” geschrieben, also wie man einen (nicht-kompakten) Raum in einen kompakten Raum einbetten kann. Dafür gibt es natürlich viele Möglichkeiten (einige hatte ich letzte Woche erwähnt).

Eine “klassische” Art der Kompaktifizierung (auch wenn man es damals noch nicht so genannt hat) liefert die projektive Geometrie. Die Idee: wenn man zwei parallelen Geraden hinterherschaut, dann sieht es so aus, als wenn sie sich im Unendlichen treffen. In der projektiven Geometrie nimmt man diese “Punkte im Unendlichen” noch zum 3-dimensionalen Raum hinzu.
Dadurch kompaktifiziert man den 3-dimensionalen Raum, das Ergebnis ist der 3-dimensionale projektive Raum. Und es stellt sich heraus, daß die Punkte, die man hinzugenommen hat (die “Punkte” im Unendlichen) gerade eine 2-dimensionale projektive Ebene bilden:

Für jede “Richtung” (d.h. jede Äquivalenzklasse paralleler Geraden) gibt es einen Punkt im Unendlichen. Wieviele solcher Richtungen gibt es?
Zu jedem Punkt auf der Einheitssphäre hat man offensichtlich eine “Richtung”, nämlich die Gerade durch den Nullpunkt und diesen Punkt auf der Einheitssphäre. (Alle parallelen Geraden bestimmen natürlich dieselbe “Richtung”, aber die Parallelen gehen nicht durch den Nullpunkt.)
Wann bestimmen zwei Punkte auf der Einheitssphäre dieselbe Richtung? Offenkundig immer dann, wenn sie antipodal sind, sich genau gegenüberliegen, denn dann geht die Gerade durch die beiden Punkte ja durch den Nullpunkt.

Auf antipodemap.com kann man sich zu jedem Ort den jeweiligen Antipoden anzeigen lassen.
Der antipodale Punkt zu Münster liegt irgendwo südöstlich von Neuseeland:

Und offensichtlich ist das die einzige Möglichkeit, daß unterschiedliche Punkte auf der Einheitssphäre dieselbe Richtung bestimmen: zwei unterschiedliche Geraden durch den Nullpunkt können nicht parallel sein, denn sie schneiden sich ja im Nullpunkt.

Also die Menge der “Richtungen” (die Punkte im Unendlichen) sieht topologisch so aus, daß sie aus einer 2-dimensionalen Sphäre durch Identifikation der jeweils antipodalen Punkte entsteht.
Die Fläche, die man auf diese Weise erhält, ist aber gerade die projektive Ebene.
Warum?

Man denke sich die Sphäre zusammengesetzt aus zwei Kreisscheiben und einem Kreisring (der Kreisring ist eine Umgebung des Äquators, die Kreisscheiben sind der Rest, sie sollen gerade antipodal sein, die eine enthält den Nordpol, die andere den Südpol).
Die beiden antipodalen Kreisscheiben ergeben nach Identifikation antipodaler Punkte nur noch eine Kreisscheibe. Der Kreisring gibt nach Identifikation antipodaler Punkte ein Möbiusband. (Der Kreisring ensteht aus dem langen Rechteck durch Verkleben der linken und rechten Kante. Die mit gleichen Buchstaben bezeichneten Punkte sind jedenfalls antipodal. Nach Identifizieren antipodaler Punkte bleibt das halbe Rechteck übrig, dessen linke und rechte Kante aber in entgegengesetzter Richtung verklebt werden: man erhält ein Möbiusband.)

Wenn wir auf der 2-Sphäre jeweils antipodale Punkte identifizieren, bekommen wir also eine Kreisscheibe und ein Möbiusband, die entlang ihres Randes verklebt sind. Das war aber gerade unsere Definition der projektiven Ebene.

Man kann also den 3-dimensionalen Raum durch Hinzunahme der 2-dimensionalen projektiven Ebene zu einem 3-dimensionalen projektiven Raum kompaktifizieren.
Das selbe kann man analog auch für höher-dimensionale Räume machen.
Eigentlich geht es uns ja für den Beweis (nach Thurston) der Klassifikation der Selbstabbildungen von Flächen um die Kompaktifizierung des Teichmüller-Raums (der Fläche), die in diesem Beweis eine Rolle spielen wird. Der Teichmüller-Raum (der Fläche mit g Henkeln) ist ein 6g-6-dimensionaler Raum (TvF 149), den man dann also (analog zum 3-dimensionalen Raum) durch Hinzunahme eines 6g-7-dimensionalen projektiven Raumes kompaktifizieren kann. Natürlich nicht nur irgendwie topologisch (das ginge einfach genauso wie oben im 3-dimensionalen Fall), sondern mit einer Konstruktion, die einem zusätzlich noch etwas über die Wirkung der Selbstabbildungen der ursprünglichen Fläche verrät. Dazu nächste Woche.