Böcke als Gärtner und die fraktale Topologie der Zeit.
Nicht sehr überraschend finden sich im Zuge der aktuellen Plagiatsaffäre allerlei Trittbrettfahrer, die die Gelegenheit nutzen, um von einem Imageschaden für die Wissenschaft, über “Seilschaften, tendenziöse, interessengetriebene Interpretationen von Daten, in Einzelfällen handfeste Fälschungen” auch in den “harten” Naturwisenschaften, einem notwendigen Selbstreinigungsprozeß der Hochschulen etc zu fabulieren.
Ist es wirklich so schlimm? Einzelne Beispiele für Fälschungen wird man natürlich immer mal finden, aber im allgemeinen tragen die sogenannten “harten” Wissenschaften dieses Attribut, auch was die Ansprüche bei Dissertationen angeht, doch wohl durchaus zurecht – gerade auch, wenn man thematisch ähnliche Arbeiten in unterschiedlichen Fächern vergleicht.
Wer mit Allgemeinplätzen promovieren will, wird damit eher in den Erziehungswissenschaften als in einem naturwissenschaftlichen Fach Erfolg haben, wer als Physiker neue Ideen zur Enstehung der Relativitätstheorie hat, wird eher bei den Kulturwissenschaften als im Fachbereich Physik promovieren wollen (manchmal erfolgreich), wer originelle Ideen zu Hirnforschung und/oder Evolution hat, wird es damit nicht gerade beim Fachbereich Biologie versuchen, und wer sich als Mathematiker (oder Physiker,…) für hippe Anwendungen der Chaostheorie in irgendeinem angesagten Feld interessiert, wird dann wohl auch eher den Dr.phil. als den Dr.rer.nat. anstreben.
Mir sind auch nach einigem Nachdenken eigentlich nur zwei Beispiele von Doktorarbeiten über Mathematik oder Physik eingefallen, die ich als wirklich offensichtlichen Unsinn bezeichnen würde: zum einen die abstruse Einstein-Interpretation, die in den Kommentarspalten dieses Blogs ja schon mehrmals erörtert wurde und zum anderen eine Dissertation über die fraktale Topologie der Zeit, die neulich bei jason hasten verrissen wurde und die vielleicht ein recht prägnantes Beispiel dafür ist, was eben in einer Dissertation in (statt über) Mathematik wohl kaum durchgehen würde.
Eine Doktorarbeit über “Die fraktale Topologie der Zeit” – worum es dabei geht, erfährt man erst auf Seite 104:
What is a fractal model of time? Fractals seem to offer a promising mathematical model for time, because many of their properties parallel properties of time. For example, both fractals and time have unpredictable rates of change. The way we experience time as progressing slower, faster, or as standing still is similar to the unpredictable rate of change, or non-differentiability, of a fractal function. The nested reiteration of cycles builds both fractals and time. For time it is the cycles of the clock, the earth’s spinning, the earth’s cycles around the sun, and the moons phases, for example. Fractals and time both contain complex relationships between infinity and finiteness. Similar to a fractal’s paradox of infinite length and finite surface area, a moment is eternal in that it is always the container for experience and is at the same time finite, bounded by the past and future. These, among other properties, make fractals well suited for describing our temporal experience.
Das Video unten zeigt die ‘Dissertation defense’ am ‘California Institute of Integral Studies’ (Integrale kommen im Vortrag aber wohl nicht vor), ein Institut, das offenbar (so verstehe ich jedenfalls die Webseite) staatlich anerkannte Doktortitel vergibt – allerdings nicht in Mathematik, sondern in Psychologie und verwandten Fächern.
(Es sind insgesamt 9 Videos, am Ende jedes Videos folgt jeweils der Link zum nächsten. Ich muß zugeben, daß ich nur sehr kurz in das Video hineingeschaut habe, die Dissertation selbst war schon schlimm genug.)
Die Dissertation findet man hier, die Folien der Verteidigung hier. (via jason hasten)
Mein Lieblingssatz ist der:
Gödels theorem shows that there are truths that are unprovable. For Penrose and Nottale, this is fractals and quantum mechanics.
Fraktale sind unbeweisbar? Wegen Gödel? Ah Ha!
Solange man mit solchen Arbeiten nur in Philosophie (und eben nicht in Mathematik) promovieren kann, ist doch noch alles in Ordnung, würde ich sagen.
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